Es gebe einen «Geist der Zusammenarbeit und einer neuen politischen Kultur», sagte der neue Thüringer Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) nach seiner Wahl. Das ist nett gesagt. Der neue «Geist der Zusammenarbeit» im Erfurter Landtag lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Alle gegen einen. Und weil dieser eine die AfD ist, die mit 32,8 Prozent die Wahl gewonnen hatte, kann man durchaus von einer neuen Kultur sprechen.

Mit dieser Wahl fällt für die Union ein geradezu eherner Grundsatz, den viele lange Zeit für einen Bestandteil der programmatischen DNA der CDU hielten. «Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab», heisst es im Beschluss des 31. Parteitags vom Dezember 2018. Ein Beschluss, der im Grunde so selbstverständlich war, dass man sich damals wunderte, dass er überhaupt gefasst werden musste.

Jetzt, keine sechs Jahre später, wird Voigt nicht nur mit der umbenannten Linken-Abspaltung namens Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) koalieren, sondern sich auch mithilfe eines eigens ins Leben gerufenen «3 plus 1»-Gremiums die fehlenden Stimmen der Linkspartei des bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow sichern. Grundsätze sind gut, Regierungsämter sind besser.

War da was?

«Die Linkspartei ist Rechtsnachfolgerin der SED. Die SED war verantwortlich für die totalitäre Diktatur in der DDR mit Unterdrückung, Planwirtschaft und dem Schiessbefehl an der Berliner Mauer. Politische Gegner und Andersdenkende wurden in der DDR nicht nur bespitzelt und verfolgt, sondern auch ermordet ... Wie kann man angesichts dieser Schicksale von der CDU verlangen, dass wir mit der SED-Nachfolgepartei zusammenarbeiten, die sich von diesem Unrecht mehr schlecht als recht distanziert?», heisst es in dem Beschluss, der 2020 noch einmal vom CDU-Bundesvorstand bekräftigt wurde.

Papier ist geduldig, die Wähler sind es nicht. Im Trendbarometer (Forsa) von RTL/N-TV verlor die Union bereits einen Prozentpunkt auf 31 Prozent. Die Union war immer eine pragmatische Machtpartei, deren genetischer Antikommunismus aber kein leeres Ritual war, sondern aus der tiefen Generationen-Erkenntnis gespeist wurde, dass Verstaatlichung, Kollektivismus, Planwirtschaft und Zentralismus zwingend den Keim einer unfreien, repressiven Gesellschaft in sich tragen.

Es gehört zu den bitteren Wendungen der Geschichte, dass ausgerechnet im Osten, wo diese Auswüchse erlebt wurden, die Kooperation mit kommunistischen Wiedergängern nun offen zelebriert wird.

Granden wie Helmut Kohl († 2017) bewahrten diese Überzeugung auch dann noch, wenn sie im Dienste der Menschen in der DDR etwa SED- und DDR-Staatschef Erich Honecker nach Bonn einluden und gegen alle Widerstände an der deutschen Einheit festhielten. Ihre politischen Enkel verscherbeln dieses Erbe jetzt in Erfurt und womöglich demnächst auch in Dresden.

Ein Vorgang, der umso höhnischer und verlogener widerhallt, je bewusster man die erst kürzlich noch lauthals gesungenen heiligen Schwüre noch im Ohr hat: «Für Präsidium, Parteivorstand und die übergrosse Mehrheit unserer 400.000 Mitglieder steht unverrückbar fest: Eine Zusammenarbeit mit Linkspartei oder AfD wäre nicht nur ein Angriff auf unsere Identität und ein Verrat an unseren christdemokratischen Werten. Sie würde auch unser wichtigstes Gut beschädigen: unsere Verlässlichkeit und unsere Glaubwürdigkeit.»

Ein fatalistischer Merksatz für die Wähler der Union lautet: Wer Union wählt, bekommt alles, was er nie wollte, nur ein wenig später. Künftig wird für Unionswähler eine weitere Angebotslücke geschlossen: Mit der Stimme für die CDU bekommt man künftig auch Bündnisse mit Linken und umbenannten Kommunisten. Eine Volkspartei als «Vollsortimenter», wie man im Einzelhandel sagen würde. Nicht ganz. Kooperationen mit der AfD sind derzeit noch nicht lieferbar. Noch nicht.

«So wahr mir Gott helfe», sagte Mario Voigt am Ende der Vereidigung. Der solcherart Beschworene wird sich die Augen reiben …

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.