Denkbar knapp ging die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in der Türkei aus. Nachdem keiner der Kandidaten sich die absolute Mehrheit sichern konnte, gehen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan und Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu am 28. Mai in die Stichwahl.

Obwohl ein Machtwechsel weiterhin möglich ist, wird die «Schicksalswahl» in der türkischen Aussenpolitik wohl kaum den vom Westen erhofften und von Russland befürchteten Richtungswechsel bringen.

Zwar hatte Oppositionsführer und CHP-Chef Kilicdaroglu Andeutungen gemacht, die Türkei würde sich unter seiner Führung mehr in Richtung Westen orientieren, und manche russische Politologen halten es für möglich, sie könnte sich unter entsprechendem Druck seitens der USA und Grossbritanniens den antirussischen Sanktionen anschliessen, doch ist es unwahrscheinlich, weil nicht im Interesse der Türkei.

Diese hatte sich unter Erdogan zu einem starken internationalen Player entwickelt und ihre Unabhängigkeit auch im Umgang mit der Ukraine-Krise bewahrt, sich sogar als Vermittlerinstanz hervorgetan.

Weder die Mitgliedschaft in der Nato noch die engen und wirtschaftlich einträglichen Beziehungen zu Russland, darunter der mit Putin vereinbarte Deal über russisches Gas, das über die Türkei verteilt werden soll, haben das Land eindeutig in eine von beiden Richtungen bewegt.

Dass Kilicdaroglu im Falle eines Sieges in der Stichwahl das so mühsam aufgebaute internationale Gewicht der Türkei zugunsten einer Annäherung an den Westen über Bord schmeissen würde, zumal für einen Krieg, in dem sein grosser Handelspartner Russland auf der Gegenseite steht, erscheint vor diesem Hintergrund als westliches Wunschdenken.

Illona Pfeffer ist freie Journalistin mit Spezialgebiet Osteuropa und Zentralasien.