Niedergang eines Klassikers. Fast schon beiläufig lässt die rechtsextreme – die AfD-Nähe lässt unausgesprochen aber unverkennbar grüssen – den bürgerlichen Oppositionsführer mitschuldig an der blutigen Geiselnahme im sonntäglichen ARD-«Tatort» aus Stuttgart: «Die kleinen Paschas haben ihm den Kiosk zerlegt, und als er sich wehrte, war er der Rassist…», sagt die militante Rechtsterroristin zur Motivation ihres Kompagnons.
Bestimmt ganz zufälligerweise spricht die rechte Geiselnehmerin im Tatort wie Friedrich Merz von „kleinen Paschas“ und viel mehr muss man über den ÖRR im Wahlkampffieber eigentlich eh auch nicht wissenpic.twitter.com/12RDmneXV5
— Anna Schneider (@a_nnaschneider) January 20, 2025
«Kleine Paschas»? CDU-Chef und Unionskanzlerkandidat hat mit dieser Wendung im September 2023 auf das herrschaftliche Auftreten migrantischer Schüler an Grundschulen hingewiesen, deren Eltern nicht selten Probleme im Umgang mit Lehrerinnen haben und ihre Kinder gegen jeden erzieherischen Impuls verteidigen. Dass diese Wendung nun im Kontext einer Geiselnahme mit mehreren Toten leichtfüssig ins Drehbuch des lange Zeit beliebtesten deutschen Krimis eingeflochten wird, hat nur eine Botschaft: Merz als Stichwortgeber und heimlicher Brandstifter der militanten Rechten.
Dass der «Tatort» schon lange eine politische Schlagseite hat, die Kriminellen fast durchweg wohlhabende bis schwer reiche Unternehmer sind und Normalbürger-Täter meist aus sozialen Notlagen heraus morden, gehört zum Sozial-Kitsch, an den sich Krimi-Freunde fast schon gewöhnt haben. Auch artifizielle Verstiegenheiten wie gesplitteter Bildschirm oder in Theater-Monologe abgleitende Figuren nach Art experimenteller Fernsehfilme, bei denen offenbar Avantgarde-Künstler bürgerliche Sehgewohnheiten aufbrechen wollen, nerven seit geraumer Zeit.
Die parteipolitische Anspielung dieser Folge allerdings ist dann doch eine Nummer brisanter. «Tatort»-Produktionen haben zum Teil jahrelangen Vorlauf. Ihn zum Beginn eines Wahljahres mit klarer Anti-AfD-Botschaft auszustrahlen, war erwartbar. Den Spitzenkandidaten der bürgerlichen Opposition aber gleich noch mit madig zu machen, ist dann doch eine neue Qualität.
Pikant ist der Vorgang aber auch, weil sich die politische Schlagseite der ARD-Unterhaltung auch unter der Aufsicht von Programmdirektorin Christine Strobl zuträgt, die bis April 2021 die Chefin der ARD-Einkaufs- und Produktionstocherfirma Degeto war. Die Programmdirektorin ist Tochter des CDU-Urgesteins Wolfgang Schäuble (gest. 2023) und mit Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) verheiratet. Dass nun ausgerechnet der jüngste «Tatort» aus Stuttgart den von Schäuble und dem gesamten CDU-Landesverband Baden-Württemberg immer unterstützten Merz en passant in die rechte Ecke stellt, wirft ein weiteres beunruhigendes Streiflicht auf die politische Kampfgesinnung im öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieb. Denn dass die «kleinen Paschas» versehentlich ins Drehbuch gerutscht sind, glaubt nicht mal die ARD-Märchenfee.