Dieser Text erschien zuerst auf dem Blog von Scott Ritter, einem ehemaligen US-Offizier, Uno-Waffeninspektor und Autor.

Vor dreissig Jahren trafen sich gleichgesinnte Lehrer, Sozialarbeiter und Mediziner in einem Dorf rund 65 Kilometer ausserhalb von Zürich. Ihr Ziel war es, eine Diskussionsgruppe zu gründen, die sich der Idee des mutigen Strebens nach einem ethischen Leben widmete – «Mut zur Ethik».

Drei Tage lang – vom 1. bis zum 3. September – traf sich die Gruppe, die sich seit drei Jahrzehnten für ihre Sache einsetzt, nun in einem Konferenzzentrum im malerischen Schweizer Ort Sirnach zu ihrem dreissigsten Meeting. An der Konferenz nahmen Redner aus der ganzen Welt teil – aus Peru, dem Kongo und Afghanistan, aber auch aus Europa und Nordamerika. Der bekannte Journalist Patrick Lawrence und seine wunderbare Frau Kara waren ebenfalls anwesend. Ich war neben ihnen der einzige Amerikaner unter den weit über 200 Anwesenden, von denen noch viele per Videokonferenz teilnahmen.

Es wurden viele Themen erörtert, die von Amerikas globaler Sonderstellung bis zum Lithiumabbau und fast allem dazwischen reichten. Aber das Thema, das mir besonders am Herzen lag, war die Schweizer Neutralität. Vielleicht lag es daran, dass ich die Gelegenheit hatte, mit zwei Schweizer Offizieren Zeit zu verbringen, von denen einer als Beobachter in der demilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea diente und der andere mit der OSZE in der Ukraine unterwegs war. So erfuhr ich aus erster Hand, wie wichtig eine neutrale Präsenz in Konfliktgebieten ist, die von heftig konkurrierenden Zielen und Ideologien beherrscht werden.

Vielleicht war es die Anziehungskraft der einzigartigen Schweizer Tradition der direkten Demokratie, die von den Befürwortern der Schweizer Neutralität genutzt wurde, um diese Praxis in der Schweizer Verfassung zu verankern. Das Wichtigste, was ich von der Konferenz «Mut zur Ethik» mitnehmen konnte, war die absolute Notwendigkeit, dass die Schweiz dauerhaft neutral bleibt, und wie wichtig dies aus der Perspektive der nationalen Sicherheit Amerikas ist.

Die aktuelle Debatte über die Schweizer Neutralität brach nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 aus. Die Europäische Union (EU) hat zusammen mit den Vereinigten Staaten eine Reihe von strengen Wirtschaftssanktionen gegen Russland und russische Interessen verhängt. Die Schweiz schloss sich den EU-Sanktionen an und provozierte eine russische Rüge in Form einer Aufnahme in die Liste der von Russland als «unfreundlich» eingestuften Länder.

Wie real das war, wurde deutlich, als Russland sich weigerte, mit den USA in Genf zusammenzukommen, wo traditionell Rüstungskontrollgespräche stattfinden, und dies damit begründete, dass die Schweiz aufgrund ihrer Entscheidung, Russland zu sanktionieren, ihren neutralen Status verloren habe.

Die Schweiz hält sich weiterhin an die geltenden Gesetze, die die direkte Lieferung von Waffen an Nationen, die sich im Krieg befinden, verbieten. Darüber hinaus bedarf die Wiederausfuhr von in der Schweiz hergestellten Waffen durch Drittländer der Genehmigung durch die Schweizer Regierung. Im aktuellen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine haben mehrere europäische Regierungen, deren Militärs über Bestände an in der Schweiz hergestellter Munition verfügen, um eine solche Genehmigung ersucht, die jedoch bisher nicht erteilt wurde.

Hier kommt Scott Miller, der US-Botschafter in der Schweiz, ins Spiel: Miller hat die Schweiz nachdrücklich aufgefordert, die Wiederausfuhr von Munition zuzulassen, und erklärt, dass das Verbot «dem Aggressor [Russland] zugutekommt, der gegen alle Grundsätze des Völkerrechts verstösst».

Miller argumentiert auch, dass die Schweiz mehr für die Sanktionierung Russlands tun sollte, einschliesslich russische Vermögenswerte einfrieren. Der US-Botschafter hat zwar eingeräumt, dass die Schweiz russische Guthaben in Höhe von 8,37 Milliarden Dollar in Schweizer Banken eingefroren hat, er wies jedoch darauf hin, dass es weitere 50 bis 100 Milliarden Dollar an russischen Vermögenswerten gibt, die von der Schweiz beschlagnahmt werden sollten. «Sanktionen», sagte Miller vor kurzem gegenüber Schweizer Reportern, «sind nur so stark wie der politische Wille, der dahinter steht. Wir müssen so viele Vermögenswerte wie möglich ausfindig machen, sie einfrieren und, wenn nötig, beschlagnahmen, um sie der Ukraine für den Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen». Miller nahm Anstoss an Äusserungen der Schweizer Staatssekretärin für Wirtschaft, Helene Budliger, die auf Zweifel innerhalb der Schweizer Regierung am Nutzen von Sanktionen hinwiesen.

Viele Schweizer sind besorgt über die aus ihrer Sicht eklatante Einmischung der USA und ihrer europäischen Verbündeten in die Schweizer Neutralität. Im vergangenen Jahr lancierte Pro Schweiz, ein der konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) nahestehender Verein, eine Kampagne mit dem Ziel eines Referendums, wonach die Neutralität der Schweiz bewahrt und ihr die Teilnahme an künftigen Sanktionen und Verteidigungsbündnissen untersagt wird. Erreicht werden soll dies durch eine Änderung der Schweizer Verfassung, die den Beitritt der Schweiz zu einem Verteidigungsbündnis nur dann zulässt, wenn sie direkt angegriffen wird, sowie durch ein Verbot «nichtmilitärischer Zwangsmassnahmen» wie Sanktionen.

Doch zunächst muss Pro Schweiz bis zum Frühjahr 2024 100.000 Unterschriften zur Unterstützung des Referendums sammeln, bevor die Massnahme zur Abstimmung gebracht werden kann. Jüngste Umfragen zeigen, dass mehr als 90 Prozent der Schweizer Stimmbürger dafür sind, die Neutralität beizubehalten. Doch diese Zahl täuscht: 75 Prozent der Schweizer Stimmbürger sind der Meinung, dass Sanktionen mit der Schweizer Neutralität vereinbar sind, und rund 55 Prozent glauben, dass die Schweiz wieder Munition in die Ukraine exportieren können sollte.

Wenn Pro Schweiz die erforderlichen 100.000 Unterschriften sammeln kann (bis zur Konferenz «Mut zur Ethik» waren bereits rund 70.000 Unterschriften zusammengekommen), kommt das Anliegen vors Volk. Selbst wenn die Vorlage mit einer einfachen Mehrheit angenommen wird, muss sie den beiden Kammern des Parlaments, dem Ständerat und dem Nationalrat, zur Annahme empfohlen werden. Dazu ist eine doppelte Mehrheit erforderlich, das heisst, mindestens 24 der 46 Mitglieder des Bundesrates und 101 der 200 Mitglieder des Parlaments müssen dafür stimmen. Obwohl die Schweizerische Volkspartei mit 53 Sitzen im Parlament und sechs Sitzen im Bundesrat die grösste Partei im Schweizer Regierungssystem ist, bräuchte sie die Unterstützung der anderen Parteien, um die Annahme der Änderung zu gewährleisten, was nicht sicher ist.

Selbst wenn das Referendum angenommen wird, wird es die Schweiz nicht vor dem Druck schützen, der von US-Botschafter Scott Miller und anderen nichtschweizerischen Parteien ausgeübt wird. Als Amerikaner, der geschworen hat, die US-Verfassung zu wahren und gegen Bedrohungen aus dem In- und Ausland zu verteidigen, fühle ich mich durch die Vorstellung beleidigt, dass ein amerikanischer Botschafter und damit die US-Regierung den Willen des Schweizer Volkes, der in einem demokratischen Prozess frei und offen zum Ausdruck gebracht wurde, der das amerikanische Pendant in Bezug auf Transparenz und Zugänglichkeit weit übertrifft, so offen missachtet. Ich würde mir wünschen, dass meine Mitbürger diese Empörung teilen.

Eine Möglichkeit, künftige Einmischungen dieser Art zu verhindern, bestünde darin, dass das amerikanische Volk selbst ein wenig direkte Demokratie übt, indem es Briefe an seine gewählten Vertreter im US-Kongress schreibt und eine Änderung des US-Verteidigungs- und Aussenhandelsbudgets fordert, die es «verbietet, US-Gelder zur Unterstützung einer Politik auszugeben, die den von der Schweizer Regierung definierten Grundsätzen der Neutralität zuwiderläuft», und die «eine Politik fördert, die die Schweiz ermutigt, einen wirklich neutralen Status beizubehalten, da eine solche Haltung im besten Interesse der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten liegt, da sie die Prinzipien der friedlichen Koexistenz zwischen den Nationen fördert».

Dieser Änderungsantrag würde weit mehr tun, als nur den Willen des Schweizer Volkes zu respektieren. Eines Tages wird der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine beendet sein. Zu diesem Zeitpunkt werden die Vereinigten Staaten und Europa einen Weg finden müssen, Russland in die Formulierung eines neuen europäischen Sicherheitsrahmens einzubinden und die Frage der Rüstungskontrolle und nuklearen Abrüstung mit neuem Leben zu erfüllen. Angesichts des Misstrauens, das derzeit zwischen Russland und dem kollektiven Westen (den USA und Europa) herrscht, ist es schwer vorstellbar, dass solche Gespräche direkt stattfinden werden.

Es wird dringend eine neutrale Partei benötigt, die einen Zufluchtsort für die Gespräche und Verhandlungen bieten kann, die für die Erhaltung des Weltfriedens und der Sicherheit unerlässlich sind. Die Schweiz ist ideal positioniert, diese neutrale Partei zu sein, aber nur, wenn sie wieder das Ansehen erlangt, das sie vor dem Russland-Ukraine-Konflikt hatte. Dies kann nur geschehen, wenn die Vereinigten Staaten aufhören, die Schweiz zu drängen, ihre Neutralität aufzugeben, um eine kurzsichtige Politik zu verfolgen, die am Ausgang des Krieges in der Ukraine wenig ändern wird. Die Schweizer Neutralität ist nicht nur gut für die Schweiz. Sie ist auch für die nationale Sicherheit der USA unerlässlich und sollte um jeden Preis unterstützt werden.