Die allgemeine Verwirrung über eine ohnehin undurchsichtige Europawahl ist gross: Sicher ist, dass sich alte Gewissheiten beträchtlich verschoben haben und die politischen Auswirkungen der Wahl für das Gefüge der EU mittelfristig grösser sein dürften als auf den ersten Blick abzusehen. Das gilt für Deutschland, aber auch europaweit.

Verlierer ist vor allen Dingen ein brüchig gewordenes EU-System. Die stabile «Mehrheit der Mitte» aus Konservativen, Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen ist futsch. Mit 404 Sitzen, die faktisch aber nicht ausreichen dürften, hat Ursula von der Leyen eine schwierige Mehrheitsbildung vor sich. «Gewinnerin» ist – ob man das mag oder nicht – die Italienerin Giorgia Meloni, die mit Blick auf die künftige Fraktionszusammensetzung im rechten politischen Spektrum, aber auch als potenzielle Mehrheitsbeschafferin für von der Leyen zum Königsmacher geworden ist.

Da hilft es auch nicht, europaweit einen «Rechtsruck» zu beklagen: Am 1. Juli wird Ungarn und damit Viktor Orbán, der sich dezidiert gegen Waffenlieferungen in die Ukraine ausgesprochen hat, die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. In Brüssel dürfte es ruckeln.

In Deutschland ist der Einbruch der Grünen um rund 8 Prozent für die ehemalige Friedenspartei wahrscheinlich das auffälligste Ergebnis, in Verbindung mit den aus dem Stand erzielten 6 Prozent für das Bündnis Sahra Wagenknecht, das sich eindeutig für Diplomatie und Waffenstillstand eingesetzt hat. Auf europäischer Ebene haben die Grünen insgesamt 19 Sitze verloren, die Liberalen gar 23 Sitze, vor allem durch den katastrophalen Einbruch von Emmanuel Macron, der deswegen hektisch Neuwahlen ausgerufen hat.

Auch wenn die Verluste der SPD geringer ausfallen – auf europäischer Ebene büsst der sozialdemokratische Zusammenschluss insgesamt zwei Sitze ein –, so dürfte auch hier der Kurs der einstigen Partei von Willy Brandt mit Blick auf die Ukraine und die ständige Verschiebung von «roten Linien» durch Olaf Scholz bei Waffenlieferungen abgestraft worden sein. Die Ampel hat fertig, möchte man sagen, in Deutschland wie in Europa.

Und das ist gut: Denn der Sieg der Parteien, die für Frieden sind, egal welcher politischen Richtung, ist nicht trivial. Jahrzehntelang war Europa das Friedensprojekt schlechthin, «Nie wieder Krieg» war der einschlägige Spruch auf allen europäischen Sonntagsreden! Dass Europa an diese Tradition, an sein Erbe gleichsam, wieder anknüpft, scheint europaweit das überragende Wählervotum zu sein, und daran ist erst einmal nichts Rechtes oder Linkes.

Es ist die Essenz des europäischen Projektes, die sich heute an der notwenigen Beendigung des Kriegs in der Ukraine entscheidet, in dem sich die EU-Staaten konsequent für Frieden und Diplomatie einsetzen, anstatt weiter auf Waffenlieferungen zu setzen und an der Eskalationsschraube zu drehen. Zum Frieden zurückzufinden und zugleich die Institutionen der EU wie die Rolle Europas in Zeiten des grössten geopolitischen Umbruchs hin zu einer multipolaren Welt grundsätzlich zu überdenken, daran dürfte sich nichts Geringeres als eine europäische Emanzipation und mithin die Zukunft des Kontinents festmachen lassen!

Die 3 Top-Kommentare zu "Wer hat bei der Europawahl gewonnen? Die kurze Antwort ist: Diejenigen Parteien, die für Frieden sind!"
  • Pauline Postel

    Wer bei der Wahl in Deutschland für Frieden war, hatte nur zwei Alternativen: die AfD oder die Wagenknechtpartei. Beide haben gewonnen und das macht Hoffnung.

  • per aspera ad astra

    Die Wahl haben weder Meloni, LePen noch Weidel/Chrupalla gewonnen - denn die Brandmauer steht und es wird in Brüssel so weitergehen wie es derzeit geht - unterirdisch zum Schaden der Nettozahler. Und Meloni sowie LePen würden eher mit den Grünen, Kommunisten oder dem Teufel stimmen um Geld aus Deutschland zu bekommen statt Geld aus Italien oder Frankreich nach Deutschland zu transferieren. Deutschland hilft keine Sieg der AfD - es hilft nur der Ausstieg aus der babylonischen EU-Gefangenschaft.

  • hoddi

    "Dazugewonnen" sollte es heissen. Noch ist die Allianz der Kriegstreiber zu stark.