Das Fernsehen war noch ein schwerfälliger Saurier, schon musste es einen Bewährungstest der besonderen Art bestehen. Die Aufgabe war, aller Welt zu beweisen, was diese frühe Evolutionsstufe bereits zu leisten vermochte: Live um den Globus zu senden, bis in alle Wohnstuben! Die Olympiade 1972 in München bot diese Chance und war zugleich der Test – vor allem ab dem 5. September, als aus dem Sommertraum ein Albtraum wurde: Acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation «Schwarzer September» nahmen elf Israelis als Geiseln und forderten die Freilassung von 232 Palästinensern aus israelischen Gefängnissen. Es endete im Desaster.
Mehrfach wurde die Geschichte verfilmt. Von Arthur Cohns preisgekröntem Dokfilm «Ein Tag im September» (1999) über Steven Spielbergs «München» (2005) bis hin zum deutschen Fernsehspiel «München 72» (2012). Nie aber wurde die Tragödie aus der Perspektive jener erzählt, die die Olympiade erstmals weltweit live übertrugen. Mit insgesamt 121 Ländern stellte München einen Teilnehmerrekord auf. Für die TV-Sportreporter und -Kommentatoren eine gewaltige Aufgabe. Die mörderische Disruption des Völkerverständigungs-Events brachte das Fernsehen ins moralische Schlingern. Wie weit dürfen unter solchen Umständen bewegte Bilder gehen?
Der Schweizer Filmregisseur Tim Fehlbaum, der schon mit den originellen Endzeitfilmen «Hell» (2011) und «Tides» (2021) international auffiel, schrieb mit Moritz Binder das Drehbuch. Im Zentrum steht das seinerzeit dominierende amerikanische Network ABC, das die Bilder lieferte.
Nie sieht man, was draussen vor sich geht, man erfährt alles über die Bilder auf den Monitoren.Die Sendezentrale lag nahe am Olympiapark und war ausschliesslich auf Sportübertragungen beschränkt. So beginnt denn auch «September 5» mit der professionell gehandhabten Übertragung vom mehrfachen Sieg des amerikanischen Schwimmers Mark Spitz, ehe Mitarbeiter in der folgenden Nacht glauben, Schüsse gehört zu haben – worauf die Freude über den Goldmedaillengewinner sich in ein Schreckensszenario verwandelt.
Der ehrgeizige Producer Geoffrey Mason (John Magaro) erfasst die Situation und sieht eine einmalige Gelegenheit, Bilder der vermummten Geiselnehmer live zu senden, denn deren Aufenthaltsort befindet sich direkt gegenüber dem Studio. Dass die allerdings auch einen Fernseher haben und folglich sehen, was ABC sendet – und darauf entsprechend reagieren können –, treibt Mason und die Chefs in die Enge. Und dass auch Angehörige der Geiseln in den USA zusehen, bremst ihren Elan endgültig aus. Der Sendechef Roone Arledge (Peter Sarsgaard) jedoch hat noch etwas anderes am Hals: Die Polit-Kollegen aus New York fordern, dass er ihnen den Fall übergibt. Für Arledge ist das absurd, schliesslich sind er und seine Leute am Puls des Geschehens.
Hochkonzentrierte Reduktion
Im Film sind Journalisten gewöhnlich entweder Desperados, die für einen Scoop alle Gesetze des Anstands ausser Kraft setzen, oder heroische Retter von Moral und Meinungsfreiheit. Bei Fehlbaum sind sie weder das eine noch das andere, sondern profane Malocher, mit Launen, Fehlern, Vorurteilen. Etwa wenn die deutsche Dolmetscherin Marianne (Leonie Benesch) mit aggressivem Unterton gefragt wird, ob ihre Eltern «auch von nichts gewusst haben» und sie antwortet: «Ich bin nicht meine Eltern.» Bald dreht sich alles um die Frage, wie weit die Fernsehleute gehen dürfen. Zynisch verhält sich niemand – das Medium war noch jung, und derartige Herausforderungen waren neu.
Vor diesem Hintergrund entfaltet «September 5» seine gutdosierte Dynamik, einen Sog, dem sich niemand leicht entziehen kann. Wie findet die ABC-Truppe den richtigen Weg, den angemessenen Ton, um das Richtige zu senden, ohne anzuecken, explosive Situationen heraufzubeschwören? Nie sieht man, was draussen vor sich geht, man erfährt alles über die Bilder auf den Monitoren.
Zynisch verhält sich niemand – das Medium war jung, und derartige Herausforderungen waren neu.Der Newsroom erinnert an das Innere eines U-Boots mit diesig beleuchteten Gängen, Nischen, engen Büros, und an die frühen «Tagesschau»-«Schwitzkästen», aus denen gesendet und kommentiert wurde. Die Kamera (Markus Förderer) wird fast nur aus der Hand geführt, sitzt den Protagonisten im Nacken, zeigt ihre fahlen Gesichter; das Licht ist schütter, grobkörnig und evoziert Wirklichkeitsnähe.
Zusätzlich trägt zur Spannung dieses ersten grossen TV-Breaking-News-Dramas der peni-ble Einsatz historischen TV-Equipments bei, das die Herausforderung der damaligen Live-Berichterstattung potenziert. Schwerfällig waren die Studiokameras, die live senden konnten. Ansonsten drehte man noch mit 16-mm-Kameras, deren Filme erst entwickelt werden mussten. Selbst einfache Texteinblendungen waren extrem umständlich. Ein besonderes Problem war die Satellitenverfügbarkeit; sie war limitiert, was für den Sendechef zum Pro-blem wird, als die New Yorker Zentrale ihn um die Übergabe der Berichterstattung ersucht. «September 5» ist in seiner hochkonzentrierten Reduktion der tragischen Ereignisse auf den TV-Sender ABC ein origineller Dampfkesselfilm
Ich habe diesen Film gesehen: nicht überzeugend, sondern eher langweilig. Er vermochte die Tragik der Geiselnahme und anschliessenden Ermordung der israelischen Sportler durch islamische Attentäter in keinster Weise zu vermitteln.