In einer scharfsinnigen Analyse stellt James Galbraith, Wirtschaftswissenschaftler und Hochschullehrer an der University of Texas at Austin, die vorherrschenden Ansichten über die westlichen Sanktionen und ihre angeblichen Auswirkungen auf Russland in einem Youtube-Video in Frage. Galbraith deckt Ergebnisse für die russische und europäische Wirtschaft auf, welche den weitverbreiteten Vorstellungen widersprechen. Es folgt eine Zusammenfassung:

Die primären Ziele der Sanktionen seien vielschichtig gewesen, sagt Galbraith. Erstens habe der Westen versucht, den Russen die Finanzierungsgrundlage für den Krieg zu entziehen, indem Russland um Exporteinnahmen hätte gebracht werden sollen. Zweitens habe man versucht, Russland den Zugang zu kritischen Technologien zu verwehren. Schliesslich habe die Strategie vorgesehen, dass letzten Endes die Zivilbevölkerung und die Oligarchen Druck auf das russische Regime ausüben. «Das übergeordnete Ziel bestand darin, Russlands militärische Kapazitäten und die russische Regierung zu schwächen», meint Galbraith.

Die Sanktionen hätten ihre Erwartungen nicht erfüllt. Trotz der Behauptungen von Befürwortern, die Sanktionen würden Russland militärisch und wirtschaftlich dauerhaft schwächen. Galbraith geht der Frage nach, ob die irreführenden Aussagen auf sachlichen Ungenauigkeiten, Fehlinterpretationen oder fehlerhaften Analysen beruhen.

«Ein bemerkenswerter Aspekt der Sanktionspolitik war die Verringerung der russischen Öl-, Gas- und Metallströme. Entgegen den Erwartungen wirkte sich dies nicht wesentlich auf die internationale Kaufkraft Russlands aus. Selbst bei einer geringeren Menge an verkauftem Öl und Gas gelang es Russland, zu höheren Preisen zu verkaufen, so dass die Exporteinnahmen eher gestiegen als gesunken sind», so Galbraith.

Darüber hätten die Sanktionen, welche auch die Importe aus dem Westen einschränkten, zu geringeren Ausgaben für Konsumgüter für die russische Seite geführt, was zu einem Anstieg des russischen Leistungsbilanzüberschusses beigetragen habe.

Komponenten und Ausrüstungen, die für die Kriegsführung als wesentlich erachtet werden, hätten den Russen wegen der Sanktionen ebenfalls fehlen sollen. «Doch eine umsichtige Kriegsplanung der Russen sah eine Anlegung von Vorräten von solchen Komponenten wie zum Beispiel Halbleitern voraus. So gibt es keinen Beweis, dass den Russen wichtige Komponenten fehlten.»

Die Sanktionen hätten die Produktion bestimmter Güter wie Autos und Haushaltsgeräte unterbrochen, was zu einem starken Rückgang der Produktionsindizes im Jahr 2022 geführt habe. Die Produktionskapazitäten für diese Güter seien jedoch intakt geblieben. «Die Kapazität zur Herstellung dieser Produkte ist nicht einfach verschwunden – die Fabriken, die Arbeiter, die Ingenieure und die Manager sind immer noch vorhanden. Es mussten einige Entwürfe und Ausrüstungen mit Hilfe der Chinesen ersetzt werden, damit die Produktionslinien wieder in Betrieb genommen werden konnten.» Die Russen hätten zwar nicht das frühere Produktionsvolumen wiederhergestellt, das wird laut Galbraith mit der Zeit kommen. Jedoch mit einer Industrie, die nicht mehr auf den Westen angewiesen sei.

«Vor den Sanktionen war die russische Wirtschaft stark von westlichen Unternehmen geprägt, insbesondere in Sektoren wie der Automobil-, Flugzeug- und Fast-Food-Industrie. Der Rückzug dieser Firmen, ob unter Druck oder freiwillig, führte zu einem Transfer von ehemals westlichem Vermögen in russisches Eigentum.», sprach Galbraith weiter an.

Entgegen den Erwartungen habe sich die russische Wirtschaft, angetrieben durch niedrige Rohstoffkosten, ohne westliche Firmen weiterentwickelt. Galbraith betonte: «Die Sanktionen haben unbeabsichtigt Marktchancen für fähige russische Unternehmen in einem Bereich geschaffen, der zuvor von westlichen Unternehmen dominiert wurde.»

Der Vorteil gegenüber Europa sei, dass die russische Wirtschaft mit sehr niedrigen Rohstoffkosten vorankomme, weil Russland ein riesiger Rohstoffproduzent sei. Die Europäer würden selbst praktisch doppelt so viel für ihre Energieversorgung bezahlen wie vorher.

Galbraith betont, dass dieser wirtschaftliche Wandel ohne die Sanktionen nicht stattgefunden hätte. Die russische Regierung sei 2022 nicht in der Lage gewesen, den Ausstieg westlicher Firmen und Oligarchen zu erzwingen. «Die Möglichkeiten, die die Sanktionen bieten, begünstigten die langfristige unabhängige Entwicklung der russischen Wirtschaft.», schlussfolgerte Galbraith.

Er argumentiert, dass die mit den Sanktionen verfolgten Ziele unerreichbar seien. «Im Gegensatz zu Inselstaaten wie Kuba oder rohstofforientierten Ländern wie Venezuela war Russland mit seiner riesigen Landmasse, seinen reichhaltigen Ressourcen, der beeindruckenden Kompetenz in Wissenschaft und Technologie sowie seinen globalen Handelspartnern wie China, Brasilien, Mexiko, den Brics-Staaten und afrikanischen Ländern gut positioniert, um sich an die Herausforderungen der westlichen Sanktionen anzupassen und sie zu meistern.»

In einer unerwarteten Wendung hätten die westlichen Sanktionen, die Russland isolieren und schwächen sollten, unbeabsichtigt die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die russische Wirtschaft unabhängig habe florieren können.

Galbraiths Fazit: «Die Sanktionen sind zu einem unbeabsichtigten Geschenk an Russland geworden. Durch die vom Westen verhängten Sanktionen wird Europa von Ressourcen abgeschnitten, die es braucht – während Russland von Gütern abgeschnitten wird, die es nicht braucht und auf die es verzichten kann.