Der Kommunikationsforscher Hans Mathias Kepplinger hat sich vor zwölf Jahren die Mühe gemacht, die Berichterstattung nach Tsunami und Reaktorunglück in Fukushima in Deutschland und anderswo auszuwerten. Das Ergebnis: Deutschsprachige Medien, also auch die in der Schweiz und in Österreich, haben über die Katastrophe in Japan wesentlich intensiver berichtet als die Medien anderer Länder.

Sie haben sofort die Bedeutung der Reaktorkatastrophe in Japan für die Kernenergie im eigenen Land bewertet – und damit ein Thema gesetzt, das in England und Frankreich keine grosse Rolle spielte. Die Medien in Deutschland und der Schweiz haben im Unterschied zu den Medien in Frankreich und England sehr häufig Forderungen nach einem Ausstieg aus der Kernenergie veröffentlicht. Und: Bei fast allen Medien bestand ein Zusammenhang zwischen den wertenden Aussagen der Journalisten zur Kernenergie und den Urteilen der zitierten Experten.

So wurden beispielsweise die positiven Aussagen über die Kernenergie der Journalisten in Le Figaro von positiven Expertenaussagen begleitet, die negativen Aussagen der Journalisten in der Süddeutschen Zeitung von negativen Expertenaussagen.

«Weil die Kernkraftwerke in den vier Ländern ähnliche Sicherheitsstandards besitzen und weil die Entfernung zur Gefahrenquelle in Japan ähnlich gross ist, kann man die Unterschiede nicht durch die Realität erklären», lautet das Fazit der Studie des Kommunikationsforschers. Er hätte auch formulieren können: Die Medien schrieben den Ausstieg herbei.

Heute, mehr als zehn Jahre später, sind es die gleichen Medien, die den Wiedereinstieg herbeischreiben. Angefangen hat es just 2022, als die letzten Atommeiler in Deutschland vom Netz gehen sollten. Ein Sachbuch des Kernphysikers Marc Ruberg macht die Runde, das die Renaissance der Kernenergie auch in Deutschland vorhersagt.

Eine neue Generation sicherer Kompaktkraftwerke, Fortschritte bei Fusionsreaktoren, der wachsende Energiebedarf und die Einstufung der Kernkraft als saubere Energiequelle sei dafür verantwortlich. Von Atomgipfel zu Atomgipfel wird die Berichterstattung freundlicher und gipfelt beispielsweise in einem Satz, mit dem die Zeitung Die Welt ihre Nachrichtenseiten aufmacht und der so lautet: «Während die deutsche Energiewende bisweilen gar als abschreckendes Beispiel gilt, eröffnet sich Europa mit den AKW-Plänen sogar die Chance auf eine neue Technologieführerschaft.»

Wenn Kommunikationsforscher Kepplinger recht hat, schreiben Journalisten gerade den Einstieg wieder herbei. Das kann man machen. Jeder der es liest, sollte aber im Hinterkopf haben, dass das mit den Risiken und Chancen, die diese Technologie bietet, in der Regel wenig, bis nichts zu tun hat. Es handelt sich schlicht um Meinungen, die heute so und morgen so ausfallen.