London

Es gibt zahllose Roboterfiguren in der Filmgeschichte. Viele von ihnen sind so bekannt geworden wie die Menschen, mit denen sie interagieren. Der Android T-800 etwa, dargestellt von Arnold Schwarzenegger in «Terminator 2 – Tag der Abrechnung» (1991), hat sich mit «Hasta la vista, baby» und «No problemo» einen Namen gemacht.

Film-Androiden können Helden sein oder Schurken wie Ash in «Alien» (1979) und der Revolverheld in «Westworld» (1973). Sie können sogar Komödianten sein, wie Lieutenant Commander Data in «Star Trek Generations» (1994) oder R2-D2 und C-3PO in «Star Wars» (1977), aber mein Lieblingsroboter ist der Android Batty, gespielt von Rutger Hauer in Ridley Scotts «Blade Runner» (1982). Der Schlussmonolog des sterbenden Batty, gerichtet an seinen Gegenspieler Deckard, einen von Harrison Ford gespielten «Prämienjäger», dürfte die bewegendste Ansprache eines Kino-Androiden sein.

«Ich habe Dinge gesehen, die ihr nicht glauben würdet. Gigantische brennende Schiffe draussen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, die im Dunkel nahe dem Tannhäuser-Tor schimmerten. All diese Momente werden mit der Zeit vergehen, wie Tränen im Regen. Zeit zu sterben.»

 

Fantasie von Drehbuchschreibern

Diese Szene vermittelt das Bild von empathiebegabten humanoiden Robotern. Während The Stepford Wives (1975) noch Automaten waren, ist Rachael Rosen, Deckards Geliebte in «Blade Runner», eine weitere Entwicklung in dieser Fantasiewelt. Batty weiss, dass er ein Android ist, im Gegensatz zu Rachael, dem jüngsten Modell eines «Replikanten». Erinnerungen sind ihr so perfekt implantiert worden, dass Rick Deckard nicht nur nicht ahnt, dass Rachael ein Roboter sein könnte, sondern sich auch in sie verliebt. Eine Fantasie von Drehbuchschreibern vielleicht, aber könnte der realen Welt so etwas bevorstehen?

Die Vorstellung, dass Mensch und Maschine interagieren, ist keineswegs neu. Der Begriff Roboter wurde erstmals von dem tschechischen Schriftsteller Karel Capek in seinem Bühnenstück «Rossum’s Universal Robots» (1920) verwendet, aber Menschen versuchen schon seit langem, ihre Produktivität auf mechanischem Weg zu erhöhen. Roboter oder zumindest Komponenten von Robotern gibt es seit Jahrtausenden.

Im 2. Jahrhundert v. Chr. ersannen die alten Griechen den Mechanismus von Antikythera, mit dem sie die Position der Planeten und Sonnenfinsternisse vorhersagen konnten. Im 18. Jahrhundert sorgte Jacques de Vaucanson mit einer mechanischen Ente, die quakte, die Flügel ausbreitete, den Kopf vorstreckte, ein Korn pickte und das Verdaute auf einem silbernen Teller ausschied, für Erstaunen am Hof des Sonnenkönigs. Voltaire bezeichnete de Vaucanson als «Rivale des ruhmreichen Prometheus, der, die Natur nachahmend, nach dem himmlischen Feuer griff, um die Körper zu beleben».

In der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte der englische Universalgelehrte Charles Babbage die difference engine, die erste Rechenmaschine der Welt. Technologische Fortschritte haben oft eine militärische Vorgeschichte. Massive Rüstungsausgaben im Zweiten Weltkrieg ermöglichten eine rasche Entwicklung dank Kombination von mathematischen Berechnungen und elektromechanischen Apparaten. Der britische Major A. V. Kerrison konstruierte den sogenannten Predictor, einen primitiven Analogcomputer zur Verwendung für die 40-mm-Bofors-Flugabwehrgeschütze. Später entwickelte General Electric ein Steuerungssystem für die Fernbedienung der vier Browning-Maschinengewehr-Türme der Boeing B-29 «Superfortress».

 

Hondas zweibeiniger Roboter

Zur gleichen Zeit bauten britische Wissenschaftler in Bletchley Park den ersten elektronisch programmierbaren Computer («Colossus»), der auf der bahnbrechenden Studie «On Computable Numbers» (1936) von Alan Turing beruhte. Nach dem Krieg stand der amerikanische Eniac-Computer ganz vorne in der technologischen Entwicklung. In den 1960er, 1970er und 1980er Jahren spielten IBM, Microsoft und Apple die Hauptrolle.

Die USA waren führend in der Entwicklung von Robotern, die jedoch ausschliesslich für Fliessbandarbeit gedacht waren. Unimation installierte 1961 in der Fabrik von General Motors in New Jersey den ersten Industrieroboter, dem ein Patent zugrunde lag, das George Devol 1954 angemeldet hatte. Die Entwicklung von Robotern verlagerte sich jedoch nach Asien, genau wie bei Computern. Ab den 1980ern dominierte das japanische Unternehmen Fujitsu Fanuc die Montageautomation. Ende der 1980er Jahre präsentierte Honda mit E0 den ersten ferngesteuerten zweibeinigen Roboter.

Heute sind die USA wieder führend auf diesem Gebiet. Boston Dynamics und viele andere Start-ups produzieren hochentwickelte Roboter. Atlas, einer von mehreren Humanoiden von Boston Dynamics, kann einen Salto rückwärts schlagen, auf den Füssen landen und dabei den Arm in scheinbarer Begeisterung in die Luft stossen. Diese Revolution wurde ermöglicht durch Fortschritte in der Miniaturisierung von Aktoren, Sensoren, Kameras und Batterien.

Auf lange Sicht könnten Roboter geeignet sein für die lange Expedition zur Erforschung des Weltraums.

Trotz dieses eindrucksvollen technischen Fortschritts sind Roboter bislang kaum mehr als hochentwickelte Automaten. An die Stelle der physischen Mechanismen von Vaucanson sind digitale Mechanismen getreten. Roboter arbeiten nach einem klar definierten Programm, das von Menschen entwickelt und betrieben wird.

Doch die Fantasie der denkenden Roboter in «Blade Runner» wird zunehmend Realität. Künstliches Leben, physisch, intellektuell und emotional, ist fast schon in der Welt. Und das hat hauptsächlich mit den bemerkenswerten Fortschritten in der Prozessortechnologie zu tun.

Auch dieser Durchbruch wurde in Amerika erzielt. 1958 entwickelten Jack Kilby, Elektroingenieur bei Texas Instruments, und der Physiker Robert Noyce von Fairchild Semiconductor den ersten integrierten Schaltkreis, also einen Computerchip, der über vier Transistoren verfügte. Inzwischen sind auf einem Chip von TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company) sagenhafte 153 Milliarden Transistoren auf einem dünnen Silikonplättchen untergebracht. Es ist vor allem diese Technologie, mit der das Zeitalter des denkenden Roboters in Reichweite rückt.

Das Chat-GPT-4-Modul von Open AI, dem Nvidias Grafikprozessor zugrunde liegt, ist eine revolutionäre Entwicklung. Die Nvidia-Chips können mit Hilfe gigantischer Datenmengen Chat GPT in die Lage versetzen, komplexe Fragen zu beantworten. Die Prozessoren, die die Neuronen des menschlichen Gehirns imitieren, trainieren neuronale Netzwerke anhand von Wahrscheinlichkeiten. Auf meine Frage, «Welche Technologien sind für die Konstruktion eines humanoiden Roboters notwendig?», gab Chat-GPT-4 binnen Sekunden eine gutformulierte und umfassende Antwort.

Humanoide Roboter brauchen aber mehr als nur Sprachfähigkeit. Erforderlich ist vor allem maschinelles Sehen, «Realwelt KI», und das kann nach der Art der Sprach-KI trainiert werden. Das weltweit grösste Lernsystem für neuronale Netzwerke wurde von Tesla mit Hilfe von Nvidias-A-100-Prozessoren entwickelt – mit dem Ziel, komplett autonome Autos zu produzieren –, im Grunde Roboter auf Rädern. Tesla beschränkt sich aber nicht auf Autos, sondern hat darüber hinaus einen zweibeinigen humanoiden Roboter namens Optimus entwickelt, der anhand derselben Technologie lernt. In einer ersten Phase sollen Tausende von humanoiden Robotern in den Tesla-Gigafabriken zum Einsatz kommen.

Weil Tesla aber keine Lust hat, einen Haufen Geld für Hunderttausende von Nvidia-Prozessoren (Stückpreis 10 000 Dollar bei einer Profitmarge von 70 Prozent) auszugeben, hat man kürzlich einen D1-Prozessor für die Konstruktion von Dojo entwickelt, eine Supercomputer-Plattform zum Trainieren der eigenen Lernmodelle. Bis Anfang nächsten Jahres will Tesla die Rechnerkapazität von einem Exaflop auf dreissig Exaflops erhöhen (ein Exaflop kann eine Trillion [1018] Gleitkommaoperationen pro Sekunde durchführen), womit er einer der fünf leistungsstärksten Computer der Welt wäre. Laut Prognosen soll Tesla im Herbst 2024 über 300.000 Prozessoren mit einer Rechenleistung von hundert Exaflops verfügen.

«Roboter werden imstande sein, alles besser zu erledigen als wir – ich meine uns alle», sagt Elon Musk.

Der weltweite Wettlauf in Sachen künstliche Intelligenz ist in vollem Gang. Gekämpft wird um Datensätze und Chips. Nachdem der Verkauf von Nvidia-Chips an China von der US-Regierung untersagt wurde, setzen Unternehmen wie Zhaoxin alles daran, nicht zurückzufallen. Für den Nvidia-A-100-Chip werden auf dem chinesischen Schwarzmarkt bis zu 20.000 Dollar geboten.

Dank dem exponentiellen Wachstum von Teslas neuronalen Lernmodellen hofft man, das Visionsproblem von Allzweckrobotern (ob auf vier Rädern oder zwei Beinen) lösen zu können. Doch das setzt voraus, dass Dojo-trainierte Fahrzeuge oder humanoide Roboter absolut zuverlässig und gefahrlos operieren können, ohne menschliche Eingriffe. Beobachter rechnen damit, dass es in sechs Monaten bis zwei Jahren zu einem Durchbruch kommen wird. Derweil wird darüber spekuliert, wann Open AI mit der Arbeit an GPT-5 beginnen wird.

 

Hassen sie uns?

Abgesehen davon scheint die Zukunft von Robotern praktisch grenzenlos zu sein. Die Entwicklung wird vorangetrieben durch das exponentielle Wachstum von Big Data und die Lernfähigkeit von neuronalen Netzwerken, kombiniert mit Fortschritten in Sachen Sprache und künstlicher Sprache sowie der Miniaturisierung elektromechanischer Komponenten. Gegenwärtig beträgt die maximale Geschwindigkeit von Robotern 9,5 km/h, aber irgendwann werden sie sich sehr viel schneller als Menschen bewegen. Im Zusammenwirken aller Technologiefelder werden denkende, geschickt agierende humanoide Roboter irgendwann Realität sein.

Für Elon Musk steht fest, dass «Roboter imstande sein werden, alles besser zu erledigen als wir – ich meine uns alle». Sie werden sich um den Garten kümmern, sie werden uns im Spital behandeln, und sie werden Beethoven-Sonaten spielen, womöglich sogar eigene Sonaten komponieren. Auf lange Sicht könnten Roboter besonders geeignet sein für die lange Expedition zur Erforschung des Weltraums. Vielleicht werden wir uns, wie Deckard in «Blade Runner», sogar in sie verlieben und sie sich in uns. Bleibt nur zu hoffen, dass sie uns nicht hassen oder, wie in «Terminator», uns verdrängen werden.

 

Aus dem Englischen von Matthias Fienbork