Der «Fichenskandal» offenbarte Ende der 1980er Jahre, dass die Organe des Staatsschutzes im Geheimen gegen eine Million schriftliche Informationen über die Schweizer Bürger gesammelt haben. Die Linke konnte damals den «Schnüffelstaat» nicht dröhnend genug anprangern. Allenthalben erscholl der Ruf nach Transparenz und politischer Kontrolle. Doch mittlerweile bespitzeln die Schweizer Schlapphüte wieder wie ehedem Journalisten und einzelne Medien. Die Weltwoche hat letzte Woche publik gemacht, dass der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) das Organ Zeit-Fragen der russischen Propaganda bezichtigt. Dies, weil der frühere US-Oberst und Uno-Waffeninspektor Scott Ritter dort der Schweiz geraten hatte, ihre Neutralität zu bewahren. Mit dieser Einmischung in die Neutralitätsdebatte würden – so die Unterstellung der Berufsspione – die eidgenössischen Wahlen vom 22. Oktober in unzulässiger Weise beeinflusst.

 

Keine russische Fälschung

Am Wochenende legte die NZZ am Sonntag mit einem ihr zugespielten Geheimdokument nach: «Russland versucht den Schweizer Wahlkampf zu beeinflussen» titelte das Blatt völlig ironiefrei. Demnach beurteile unser Nachrichtendienst die hunderttausendfache Verbreitung eines Filmchens auf der Plattform X als Beeinflussung der Wahlen für das eidgenössische Parlament durch das Putin-Regime. Das Kurzvideo zeigt einen dunkelhäutigen Mann, der im aargauischen Baden auf den Boden uriniert. Nicht die Tatsache dieser misslungenen Assimilierung eines Migranten scheint jedoch ein Skandal, sondern die Tatsache, dass die unappetitliche Szene breitgestreut wurde. Denn bei den Accounts, die das Video verbreiteten, handle es sich sehr wahrscheinlich «um russische Beeinflussungskonten». Statt diese Einmischung des Nachrichtendienstes als ungehörig zu verurteilen, sehnt sich die liberale NZZ am Sonntag danach, «die Betreiber der grossen Kanäle in die Pflicht zu nehmen». Das Heil komme von den Zensurmassnahmen der EU: «Die Schweiz tut gut daran, nun rasch nachzuziehen.»

Die SP betet die Verschwörungstheorie aus den Dunkelkammern unserer Spione begeistert nach.

Nun wäre der Alarmismus unserer Geheimdienstler ja noch nachvollziehbar, wenn sie nachweisen könnten, dass es sich um eine plumpe oder gar raffinierte Fälschung Russlands handelt. Doch die Echtheit des Videos aus der Stadt Baden wird vom Nachrichtendienst nicht einmal angezweifelt. Verbreitet wird indessen das Märchen, Russland greife aktiv in den schweizerischen Wahlkampf vom 22. Oktober ein. Wie wenn jenes Land derzeit keine anderen Sorgen plagen würden. Und die SP betet die Verschwörungstheorie aus den Dunkelkammern unserer Agenten begeistert nach und behauptet, Wladimir Putin versuche, die eidgenössischen Wahlen zugunsten der SVP zu beeinflussen. Damit die Sozis am Wahlabend eine faule Ausrede haben.

Derselbe fichierende Geheimdienst, den die Linken in den achtziger und neunziger Jahren noch mit allen Mitteln bekämpft haben, ist für sie heute plötzlich Quelle lauterer Wahrheit und Kronzeuge für ihre abstrusen Polit-Konstruktionen. Sie SP ruft nach rigoroser parlamentarischer Kontrolle. Zu Recht. Aber diese muss gegenüber einem Geheimdienst durchgesetzt werden, der gegen Gesetz und Verfassung Innenpolitik macht und direktdemokratische Prozesse zu beeinflussen versucht. Denn Artikel 5 des Nachrichtendienstgesetzes zieht für den NDB messerscharfe Grenzen: «Er beschafft und bearbeitet keine Informationen über die politische Betätigung und über die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit in der Schweiz.» Der NDB verneint, dass er «eine Schweizer Zeitung ‹beobachtet›».

 

NDB macht auf CIA

Statt geltendes Recht durchzusetzen, findet das fragwürdige nachrichtendienstliche Treiben offenbar Unterstützung bei Mitte-Bundesrätin Viola Amherd. Und unsere Geheimdienstler glauben wohl, Amherds Meinung dienstfertig entgegenzuarbeiten, wenn sie den Einsatz für die schweizerische Neutralität unter Verdacht stellen und kriminalisieren. Denn es ist mittlerweile sattsam bekannt, dass die Walliser Verteidigungsministerin von dieser immerwährenden, bewaffneten Staatssäule wenig hält. Sie macht ja ihrem Defätismus in aller Öffentlichkeit Luft, indem sie die Schweizer Armee für nicht mehr verteidigungsfähig hält.

Wer unsere Spezialisten vom Nachrichtendienst noch ernst nimmt, ist selber schuld. Sie tappten vollkommen im Nebel vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Sie hatten im Vorfeld keine Ahnung davon, was sich dieser Tage im Nahen Osten abspielt. Aber unsere Nachrichtenspezialisten wissen ganz genau, welcher ausländische Staat die Schweizer Wahlen beeinflusst. Ausser es handle sich um den Influencer Wolfgang Schäuble (CDU), der im Tages-Anzeiger verkündet, es könne «im Grunde keine Neutralität mehr geben». Diese Stimme aus Deutschland ist für den Nachrichtendienst selbstverständlich keine Einmischung in den Wahlkampf.

Unser NDB macht schamlos auf CIA, welcher bekanntlich vor der Trump-Wahl im Jahr 2016 dem amerikanischen Volk genauso vorlog, die Russen hätten die Präsidentschaftswahlen manipuliert. Dabei müssten unsere Geheimdienstler den Russen höchstens noch einen warmen Dank abstatten. Denn dank der angeblich russischen Verbreitung des Videos aus Baden weiss mittlerweile auch hierzulande jedermann Bescheid, wie sich Asylbewerber öffentlich erleichtern.