Weltwoche: Wir treffen Sie in Ihrem Elternhaus, kurz bevor Sie für zwei Tage mit Ihrem Freund ins Ferienhaus im Skiort Celerina reisen.

Chiara Tamburlini: Als Kind wollte ich unbedingt Skirennfahrerin werden. Doch meine Eltern wollten nicht, dass ich im Engadin in den Skiklub gehe, weil der Aufwand zu gross sei. Bisher bin ich jeden Winter Ski gefahren. Doch nun habe ich beschlossen, darauf zu verzichten. Für ein kurzes Vergnügen ist das Verletzungsrisiko leider zu hoch. Trotzdem geniessen wir das Engadin: In den Bergen kann ich gut abschalten, mich etwas fit halten und zufrieden zurückschauen.

 

Weltwoche: Drei Siege in der vergangenen Saison, dazu sieben weitere Top-10-Klassierungen. Das bedeutete unter anderem den ersten Schweizer Sieg in der Jahreswertung der Ladies European Tour. Wie erklären Sie sich im Rückblick diesen überraschenden Erfolg im ersten Jahr als Profi?

Tamburlini: Ich hatte vor dem ersten Turnier in Kenia keine allzu hohen Erwartungen. Ich wollte in erster Linie meine Spielberechtigung sichern und war vor dem Event recht nervös. Der dritte Platz gleich beim ersten Turnier brachte wohl eine gewisse Leichtigkeit. Ich glaube, ich habe mich vor allem mental deutlich verbessert. Das hat mir geholfen, besser mit schlechten Schlägen umzugehen.

 

Weltwoche: Das Problem kennt jeder Golfer.

Tamburlini: Schlechte Schläge passieren bekanntlich immer wieder. Entscheidend ist, wie man darauf reagiert, und hier habe ich sicher grosse Fortschritte gemacht. 2024 habe ich mehr Cuts verpasst, als mir lieb war. Aber ich habe gelernt, auch dies zu akzeptieren. Die Welt geht nicht so schnell unter, wie man manchmal nach einer Enttäuschung denkt. Auch das habe ich im Verlauf dieser verrückten ersten Saison auf der Ladies European Tour gelernt.

 

Weltwoche: Was hat sich verändert nach Ihren drei Siegen und Ihrem Rang eins auf der Ladies European Tour?

Tamburlini: Ich glaube, ich bin die gleiche Person geblieben. Klar interessieren sich die Medien etwas mehr für mich, ich werde hie und da angesprochen, aber das Leben ändert sich nicht wirklich. Dank dem Sieg in der Jahreswertung habe ich mir schon für die kommenden sechs Jahre die Tourkarte auf der Ladies European Tour gesichert. Ich organisiere die Reisen weiterhin selber, kümmere mich um die Buchhaltung und bin im Kontakt mit meinen Sponsoren. Nach der intensiven Zeit am College mit Studium und Golf hatte ich zunächst die Befürchtung, es könnte als Profi eher langweilig sein. Das Gegenteil ist der Fall. Ich kümmere mich als Selbständige um sehr vieles und bin gleichzeitig froh um die Unterstützung durch meine Mutter und das ganze Team.

 

Weltwoche: Wie wichtig war die Zeit an der Universität von Mississippi für Ihre Entwicklung?

Tamburlini: Sie war matchentscheidend. Zum Start des Studiums war Golfprofi noch kein Thema. Dann kamen die Erfolge in einem sensationellen Team. 2021 gewannen wir die in den USA extrem wichtige College-Meisterschaft. Ab diesem Zeitpunkt überlegte ich mir diesen grossen Schritt immer intensiver, und ab August 2023 ging es dann viel schneller, als ich gedacht hatte.

 

Weltwoche: Dann wechselten Sie ins Profilager und gewannen gleich ein kleineres Turnier in Schweden.

Tamburlini: Ja, ich wollte eigentlich noch meine letzte Weltmeisterschaft als Amateur bestreiten, doch zusammen mit Coach Jeremy Carlsen habe ich mich dazu entschlossen, mein Glück als Proette zu versuchen. Ich fühlte mich von Anfang an wohl auf der familiären kleinen LET-Access-Tour. Ein zweiter Sieg in Grossbritannien hat natürlich auch geholfen, und so qualifizierte ich mich schnell für die grosse europäische Frauentour.

 

Weltwoche: Wie würden Sie sich selber charakterisieren?

Tamburlini: Sicher positiv, ich rede gern und viel und bin wohl auch zielstrebig. Ich wollte schon als Kind immer etwas mehr machen als andere, sowohl in der Schule als auch im Sport. Heute würde man das als hard-working bezeichnen, das hat mich geprägt und zahlt sich bis heute aus.

 

Weltwoche: Sie verliessen als Vierzehnjährige das Elternhaus, um in Tenero das Sportgymnasium zu absolvieren. Wie schwierig war das?

Tamburlini: Ich wollte dies unbedingt, auch wenn ich zu Beginn kein Wort Italienisch sprach. Tamburlini ist ein italienisches Geschlecht, mein Urgrossvater wanderte in die Schweiz ein, doch ich hatte keinen Bezug zur Sprache. Das erste Semester war natürlich hart, aber nach dem ersten Jahr ging es schon ganz gut. Dank Nachhilfe und guten Lehrern schaffte ich nach fünf Jahren die Matura auf Italienisch. Auch das war ein prägendes Erlebnis. Ich habe früh gelernt, selbständig zu sein. Das hilft mir jetzt auf den vielen Reisen. Gleichzeitig treffe ich überall tolle Menschen. Was will ich mehr!

 

Weltwoche: Ihr Freund lebt in Finnland, Sie reisen um die halbe Welt. Wie kann man so eine Beziehung pflegen?

Tamburlini: Es ist eine Herausforderung und braucht eine gute Planung. Ich bin neben den 24 Turnierwochen ja auch noch in Trainingslagern. Zum Glück ist mein Freund in Helsinki flexibel. Manchmal begleitet er mich auch als Caddy. Wir versuchen, gemeinsame Ferien zu machen, auch wenn es manchmal nur wenige Tage sind. Zum Glück gibt es das Telefon.

 

Weltwoche: Wäre es möglich, Mutter zu sein und gleichzeitig Golfprofi?

Tamburlini: Für mich ist es derzeit kein Thema. Es ist sicher nicht einfach, weil man so viel unterwegs ist. Auf der amerikanischen Tour der LPGA gibt es einen speziellen Service für die kleinen Kinder der Spielerinnen. Bei uns müssten sich die Mütter selber zu helfen wissen.

 

Weltwoche: Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

Tamburlini: Hoffentlich immer noch auf dem Golfplatz. Die amerikanische Tour der LPGA bleibt ein grosses Ziel, dort geht es nicht nur punkto Preisgeld auf ein anderes Level. Allerdings braucht es dort unter anderem einen professionellen Caddy, und den habe ich bisher noch nicht gefunden. Ich hatte vergangene Saison fünfmal einen Profi an meiner Tasche, dabei habe ich vier Cuts verpasst. Auf der anderen Seite halfen mir bei allen drei Siegen sogenannte lokale Caddys, die das hobbymässig betreiben. Das scheint von aussen nicht logisch und ist wie vieles im Golf auch nicht einfach zu erklären. Für mich muss es auf dem Platz in erster Linie menschlich stimmen. Ich bin mir mittlerweile gewohnt, selbständig zu entscheiden. Klar kann ein guter Caddy helfen, aber vorerst plane ich auch die Saison 2025 ohne fixen Caddy. Allerdings kann sich dies auch wieder ändern.

 

Weltwoche: Wie wichtig ist Ihr Coach Jeremy Carlsen?

Tamburlini: Er ist extrem wertvoll. Wir arbeiten seit mehr als fünf Jahren zusammen, und ich verdanke ihm viel. Er hilft mir, in jedem Bereich des Spiels immer noch etwas besser zu werden. Bekanntlich passt nie jederzeit alles zusammen. Das ist ja auch das Faszinierende an unserem Sport, und Jeremy hilft mir enorm, alles zusammenzubringen.

 

Weltwoche: Wie profitieren Sie als Mitglied des Swiss-Golf-Teams?

Tamburlini: Als Neo-Profi bin ich sehr froh um die Unterstützung durch den Verband. Es ist nicht so, dass etwa Flüge oder ähnliche Sachen bezahlt werden. Wir bekommen einen Zuschuss für bestimmte Projekte, bei mir ist das beispielsweise Fitness und das kurze Spiel. Für den Erfolg braucht es viele Komponenten, hier hilft der Verband mit gewissen Sachen, die sonst zu kurz kommen würden.

 

Weltwoche: Was kostet eine Saison auf der Ladies European Tour?

Tamburlini: Ich würde sagen mindestens 100 000 Franken für die Reisen, inklusive Flug und Unterkunft. Da sind die Ausgaben für Caddys nicht eingerechnet. Bei mir war es diese Saison sicher mehr. Den professionellen Caddys zahlt man unter anderem den Flug. Selber kann man die Ausgaben einigermassen gut steuern. Wir übernachten öfters in Airbnb-Wohnungen oder teilen uns ein Hotelzimmer. Auch auf der Ladies European Tour traf ich bisher fast ausschliesslich angenehme Leute. Ich fühle mich dort extrem wohl und bin glücklich, das wiederum hilft meinem Spiel.

 

Weltwoche: Bei 24 Turnieren haben Sie vergangene Saison gut 444 000 Euro mit Preisgeldern verdient. Was machen Sie damit?

Tamburlini: Ich investiere in mich und lege einen Teil auf die Seite. Das verdiente Geld hilft mir beispielsweise, das Coaching auszubauen und ein Trainingslager mehr zu organisieren. Man weiss nie, was als Nächstes passiert. Deshalb bin ich sehr froh, schon im ersten Jahr eine kleine Reserve anlegen zu können. Beim Spielen denke ich nicht ans Geld, ich will besser werden, egal in welchem Bereich. Dass ich damit am Ende Preisgeld bekomme, ist eher Bestätigung statt Motivation.

 

Weltwoche: In den vergangenen Jahren hat das Frauengolf punkto Preisgeld aufgeholt, allerdings fallen die riesigen Unterschiede zwischen den beiden Touren auf. Zuletzt gab es auf der LPGA einen Rekordscheck von vier Millionen Dollar für die Siegerin, bei einem durchschnittlichen Turnier in Europa teilt sich das ganze Feld 300 000 Euro. Wie lässt sich dies erklären?

Tamburlini: Einfach gesagt, ist Golf in den USA viel wichtiger, viel grösser, viel mehr im TV, und das bringt die Sponsorengelder. Das beginnt schon im College-Golf, das ich recht gut kenne. Schon dort werden unglaubliche Summen investiert, etwa für die beste Infrastruktur und die besten Coaches. Wir hatten eine eigene Pressesprecherin für das Team.

 

Weltwoche: Da ist die Schweiz natürlich meilenweit entfernt.

Tamburlini: Ja, wie gross der Stellenwert des Golfs in den USA ist, kann man sich hier kaum vorstellen. Auch wenn es gegenüber Baseball und anderen Sportarten nicht an erster Stelle kommt, zieht Golf in den USA die Massen an. Das gilt nicht überall in Europa und auch nicht in der Schweiz. Aber wer weiss, vielleicht ändert sich das auch. Das Image abzuschütteln, ist bekanntlich nicht einfach. Golferinnen und Golfer sind mittlerweile Athleten, die viel in die Fitness investieren. Das Klischee der reichen alten Männer auf dem Platz stimmt nicht mehr.