An Europas Kapitalmärkten spielen sich gewaltige Veränderungen ab, deren Auswirkungen auf die Menschen noch kaum abschätzbar sind. Nachhaltigkeit lautet das Zauberwort, aber wie kommt man dazu? Zunächst ganz nüchtern: Der Kapitalmarkt ist bei weitem der wichtigste Markt einer Volkswirtschaft. Hier erhalten Firmen gegen die Ausgabe von Aktien und Obligationen neues Kapital, das sie in die Entwicklung neuer Produkte investieren können.

Für erfolgreiche Firmen, deren Produkte bei den Kunden gut ankommen, ist dies günstiger als für nicht erfolgreiche, weil sie pro Aktie respektive pro Einheit Zins mehr Kapital erhalten. Aktien- und Obligationenpreise lenken so das anlagesuchende Kapital tendenziell zu den erfolgreicheren Firmen mit erfolgreicheren Produkten. Es wäre nicht auszumalen, wenn das anders wäre und nicht erfolgreiche Firmen günstiger zu Kapital kämen als Firmen, die in den Augen der Kunden gute Produkte herstellen.

In diesem Börsenumfeld können Anleger ihr Anlagekapital so nach Aktien und Obligationen streuen, dass sie genau jene Zins-, Fristen-, Kredit-, Markt- und Währungsrisiken halten, die optimal zu ihren Verpflichtungen passen. Es wäre auch auf dieser Marktseite fatal, wenn Mechanismen wirkten, die zu einer Fehlallokation der Mittel führten. Anleger würden dann systematisch in die Irre geleitet und ihr Kapital dort anlegen, wo andere Risiken wirken, als es den Anschein macht.

Durch dieses Zusammenspiel resultieren für alle Aktien, Obligationen und anderen Finanzinstrumente, aber auch für die erwähnten Zins-, Fristen-, Kredit-, Markt- und Währungsrisiken explizite Kurse oder implizite Preise, die alle genannten Aspekte und noch viele andere abbilden und zu einem Ausgleich der subjektiven Interessen führen. Entstehen neue Risiken, die systematisch sind, werden sich Aktien- und Obligationenkurse der entsprechenden Gesellschaften sofort anpassen, um diese adäquat abzubilden. Die impliziten Entschädigungen für diese Risiken schlagen auch ganz direkt auf die nicht kotierten Unternehmungen durch. So entsteht ein dynamisches Marktgleichgewicht, das zwar immer in Bewegung ist, die verfügbaren Informationen und die subjektiven Ziele der Marktteilnehmer aber stets abbildet.

Die EU-Bürokratie übernimmt

Bei der Umsetzung der Ziele der Unternehmungen und Anleger gibt es natürlich immer wieder Fehler, mit denen die optimale Kapitalallokation beziehungsweise optimalen Titelauswahl vorübergehend gestört werden können. Im Durchschnitt der Zeit werden die Risiken aber so bewertet, dass keine systematischen Gewinne, etwa durch den Kauf eines Risikos und den Verkauf eines anderen Risikos, gemacht werden können. Auch neu entstehende Risiken, beispielsweise im Umwelt- und Sozialbereich, werden sofort bewertet, wenn diese bekannt werden, systematisch und in den Augen der Anleger von Bedeutung sind.

Über dieses dynamische, sich selbst gut austarierende Marktgleichgewicht aller subjektiven Ziele, Wünsche und Pläne von Firmen und Anlegern stülpt nun die EU-Kommission im Rahmen des «Green Deal» die EU-Taxonomie (siehe Kasten). Damit legt die Kommission zum einen Kriterien fest, wann eine Wirtschaftstätigkeit nachhaltig im Sinne dieser Verordnung sei, um so private Investitionen in grüne und nachhaltige Projekte zu fördern. Zum anderen werden Finanzintermediäre, zum Beispiel Banken, verpflichtet, über den Anteil ökologisch nachhaltiger Investitionen im Sinne der Taxonomie zu berichten. In der EU soll so bis 2050 klimaneutral gewirtschaftet werden, wobei 2030 bereits eine Reduktion der Treibhausgase um 55 Prozent erreicht sein soll.

Obwohl ich sehr für den Schutz der Umwelt bin, sehe ich an dieser Taxonomieverordnung aus vielen Gründen gar nichts Positives, im Gegenteil. Sie wird viel Schaden anrichten.

Ich sehe nichts Positives. Diese Taxonomieverordnung wird viel Schaden anrichten.

Erstens: Beim Umweltschutz geht es immer ums Abwägen von Werturteilen. Soll das Landschaftsbild geschützt werden, oder soll vermehrt Windenergie zum Einsatz kommen? Soll Armut bekämpft werden, oder sollen Traktoren mit Dieselmotoren höher besteuert werden? Solche Fragen können nicht europaweit per Verordnung gelöst werden, sondern brauchen eine politische Abstimmung unter Einbezug der lokalen Bevölkerung und Gegebenheiten.

Zweitens: Die EU-Taxonomie bezieht sich im Wesentlichen auf kotierte Firmen, die nur einen Teil der Wirtschaft abbilden. Schon bei Lieferanten der überwachten Firmen, geschweige denn bei Lieferanten der Lieferanten, ist unklar, was sich abspielt. Die Taxonomie ist ein potemkinsches Dorf, das nicht mehr Transparenz schafft, sondern die Fakten verschleiert.

Drittens: Nachhaltigkeitsaspekte im Sinne von ESG und weit darüber hinaus werden ihren Niederschlag – ohne Dazutun der Bürokratie – in Aktien- und Obligationenkursen und impliziten Risikopreisen finden, wenn diese Aspekte den Firmen und den Anlegern wichtig sind. Es ist fraglich, ob sich Unternehmungen und Anleger von nicht gewählten Kommissionsmitgliedern und EU-Bürokraten vorschreiben lassen sollen, welche Umweltaspekte wichtig sind.

Viertens: Die Kommission will die Kapitalströme auf Investitionen ausrichten, die in ihren Augen «nachhaltig» sind. Das heisst, dass die Werturteile der EU-Bürokratie wichtiger sind als jene des Marktes. Die Kommission will zudem, dass Nachhaltigkeit Bestandteil des Risikomanagements der Unternehmen, insbesondere der Finanzintermediäre, wird. Das ist nichts anderes als eine neue Form des Staatskapitalismus unter Mitarbeit der Privatwirtschaft.

Fünftens: Die Kommission will umweltfreundliche Technologien und nachhaltiges Wirtschaften im Sinne der Taxonomie belohnen und fördern. Das heisst, dass die Kommission erfolgreiche Firmen, die am Markt mit guten Produkten überleben können, durch Steuern bestraft und das Geld jenen Unternehmen gibt, die nicht überlebensfähig sind. Dass die Bestrafung erfolgreicher Firmen und die Förderung nicht erfolgreicher Unternehmungen keine sinnvolle Wirtschaftspolitik ist und in den Niedergang der Wirtschaft und in die Korruption führt, ist offensichtlich.

Sechstens: Um dem Anleger nachhaltige Anlagen schmackhaft zu machen, wird von Politikern und Finanzintermediären behauptet, dass ESG-Anlagen das Risiko solcher Anlagen verringerten und den erwarteten Ertrag erhöhten. Es braucht keine Studien, um zu wissen, dass zusätzliche Restriktionen aus logischen Gründen nie zu tieferen Risiken und einem höheren erwarteten Ertrag führen.

Das Arbeitspapier «The Economic Impact of ESG Ratings», das am Massachusetts Institute of Technology (MIT), an der HSG, an der Universität Zürich und am Swiss Finance Institute entstanden ist (31. März 2023), kann wie folgt zusammengefasst werden: «Der Impact von ESG-Investitionen in der realen Welt ist gering. Es gibt keine Evidenz, dass Firmen ihre Investitionen aufgrund von ESG-Ratings anpassen, stärker wachsen oder Reformen im sozialen oder ökologischen Bereich tätigen.»

Man kann also folgern, dass die Kommission mit ihrer Taxonomie krachend scheitern wird und wohl das Gegenteil erreicht von dem, was deklariert wird: Rückgang von Transparenz, Misswirtschaft und Korruption.

Der Ausweg

Umweltschutz besteht immer aus der Abwägung von Werturteilen. Dabei stellt sich die Frage, wessen Werturteile überwiegen sollen: jene der wirtschaftenden Menschen oder jene der Bürokraten? In einer Marktwirtschaft überlässt man die Gewichtung der Interessen dem Markt, der die subjektiven Vorstellungen aller Involvierter fallweise berücksichtigt, austariert und in den Preisen abbildet. Eine allgemeingültige Taxonomie widerspricht einer Marktlösung diametral und wird zu mehr Verschwendung, Greenwashing, zu falschem Verhalten und Umweltbelastung führen.

Dort, wo es offensichtlich ist, dass umweltbelastende Stoffe reduziert werden müssen, zeigt uns der Aufsatz von Ronald Coase, «The Problem of Social Cost» (1960), den Weg: Es braucht klar zugeordnete Eigentumsrechte und einen Markt. Konkret können handelbare Umweltzertifikate für solche Produkte emittiert und schrittweise – bei gleichzeitiger Reduktion der Steuern – vermindert werden. So steigen jene Firmen aus solchen Produktionsverfahren aus, die das relativ kostengünstig tun können.

Die EU-Kommission hat mit der Taxonomie einen Weg eingeschlagen, der nicht helfen wird, die deklarierten Umweltziele zu erreichen. Es kann zwar sein, dass die CO2-Emission reduziert wird. Aber es ist unklar, unter welchen Kosten und wer diese Kosten zu tragen hat.

 

ESG: Die drei Buchstaben stehen für die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit von Unternehmen: Environmental (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung).

EU-Taxonomie: Einheitliches Klassifikationssystem, das seit 2022 die Geschäftstätigkeit wesentlicher Branchen bezüglich Nachhaltigkeit kategorisiert und Berichtspflichten für institutionelle Anleger, Finanzinstitute, Vermögensverwalter und Unternehmen vorsieht.