Der Mythos Schweiz liegt im Reduit. In Zonen, die vor Albrecht von Hallers Hymnus «Die Alpen» (1729) weitherum als unbewohnbar galten. Ich (wenn ich mir diesen Ausflug in die Autobiographie gestatten darf) bin ein Liebhaber der Peripherie. Aufgewachsen am Bodensee, lange wohnhaft in Basel und von dort aus oft Gast in der Ajoie, seit mehr als einem Vierteljahrhundert ansässig im Südtessin, gehört der alpinen Schweiz zwar mein Respekt, zumal für ihre Volksmusik. Ansonsten ist mir instinktiv so etwas wie der weite Blick unentbehrlich. Die alpine Schweiz im Rücken, sozusagen.
Meine Vorliebe für das Schaffhauser Klettgau, diesen oft vergessenen paradiesischen Winkel zwischen Rhein und Randen, muss damit zu tun haben. Hier ist der Himmel gross, Licht und Luft sind anders. Wenn ich mir (zu selten!) unter den hohen Kastanien auf der Terrasse neben dem Gasthaus Bad Osterfingen ein Glas einschenke, überkommt mich auf Anhieb ein Gefühl wie Heimat.
Manchmal ist es ein Wein mit dem Namen «ZWAA». Der meint im Klettgauer Dialekt («Chläggi») nichts anderes als «Zwei». Zwei Produzenten, zwei Terroirs, ein Wein. Der eine, Michael Meyer, ist der Hausherr daselbst, im Bad Osterfingen, ein vorzüglicher Koch, aber auch ein wunderbarer Winzer, der auf den sechs Hektaren leichter kiesiger Böden eine Vielzahl von Trauben pflegt, vor allem aber einen sehr besonderen Pinot Noir. Der zweite der zwaa, die sich 1994 auf dieses «joint venture» einliessen, ist Ruedi Baumann. Er bewirtschaftet in Oberhallau mit seiner Familie gleichfalls etwa 6 ha, schwerere, kalkhaltige Lehmböden. Aus gemeinsamer Kelterung von Trauben halb-halb entstand dieser sehr harmonische. aber in mehrfachem Sinn spannende gemeinsame Nenner von einem Klettgauer Pinot Noir (hier genannt Blauburgunder): cool und komplex in einem, rote Beeren, Kirschen, aber auch sehr würzig (diverse Kräuter), ein frischer, gleichzeitig rassiger und eleganter Pinot Noir.
Baumanns Familienbetrieb hat 2023 Sohn Peter übernommen, unter Wahrung aller Kontinuität. Der superbe Spitzen-Pinot Noir heisst lapidar «R», was nicht von Vater Baumanns Vornamen abgeleitet ist, sondern von «Röti», einer besonderen Südlage in Oberhallau. «R» ist die Exzellenz unter Baumanns Weinen: mit Aromen von Kirschen, Cassis, Himbeeren, aber auch etwas Minze, nebst dunklen floralen Anwehungen. Am Gaumen mit kernigem Widerstand, vom Ausbau in teilweise neuen Barriques kaum eine Spur Vanille, dafür etwas rauchige Noten. Kompakt, sehr elegant. Ein Glanzstück von einem Klettgauer Pinot Noir.