David Murray Quartet (Marta Sanchez, Luke Stewart, Russell Carter): Francesca. Intakt CD 422

Auch Riesen beginnen klein, sie fallen nicht in Übergrösse vom Himmel. Tenorsaxofonist und Bassklarinettist David Murray, geboren 1955, dessen Diskografie mit über 150 Titeln (nur schon die unter eigenem Namen!) allein quantitativ monströse Ausmasse hat, ist auch als Künstler zweifellos ein Gigant des modernen Jazz. Auch in dem Sinn, dass sein Spiel sowohl unverwechselbar als auch eine Summe vieler Spielformen schwarzer Musik ist. Es ist kein eklektizistischer Quilt, sondern die Verschmelzung vieler Erfahrungen zu einem eigenen, einem neuen Stil und Sound. Von dem sagte sein zeitweiliger Partner und Mentor Cecil Taylor: «Du hältst dein Ohr an die Tür, und du weisst sofort, das ist David.»

Murray wuchs als Sohn einer Gospel-Pianistin auf. Er spielte mit zwölf in einer Rhythm-’n’-Blues-Band, mit fünfzehn in einem eigenen Orgeltrio. Mit zwanzig übersiedelte er aus Kalifornien nach New York und machte schnell in der Loft-Jazz-Szene Furore. Er gründete das World Saxophone Quartet, eine der weltweit erfolgreichsten Formationen des Avantgarde-Jazz. Aber ohne seine Erfahrungen im Umfeld des Free Jazz zu verraten, bekannte er sich auch zu klassischen Vorbildern wie Coleman Hawkins, Paul Gonsalves, Ben Webster und Lester Young. Vom übermächtigen Einfluss John Coltranes habe er sich, anders als die meisten Tenorsaxofonisten seiner Generation, nie befreien müssen. Sein Mann sei Sonny Rollins gewesen.

Tatsächlich hallt noch auf dem jüngsten Album, das David Murray, inzwischen 69 Jahre alt, mit einer herausfordernd jüngeren Band aufgenommen hat («Wenn ich ihnen von meinen Erfahrungen erzähle, it’s kind of like grandpa’s telling stories»), als fernes Echo die Faszination des Teenagers für Rollins nach: im mächtigen Saxofon-Ton, in der Rhythmik der Phrasierung. Die gleichzeitig kühne und subtile spanische Pianistin Marta Sanchez, die nicht weniger energetischen Luke Stewart am brillanten Bass und Russell Carter am Schlagzeug entfachen in Grossvaters Rücken ein Feuer wie seinerzeit die Rhythmusgruppe um Tony Williams in Miles Davis’ zweitem Quintett. Viel Freiheit für alle, den Grossvater und die nächste Generation. Und viel Verankerung in kreativ über alles Konventionelle hinausgedachten Strukturen, zum Teil eigentlichen «Songs». Hinreissende, expressive, überraschende Musik.