Ein altes Golf-Shirt genügt, ebenso eine Hose, die ihre besten Tage hinter sich hat, sowie die Schuhe, die mich einst über jenes Turnier im Engadin getragen haben, als ich zwölf Löcher über meine Verhältnisse spielte und dann komplett mein Spiel verlor und mich noch nie davor und auch kaum mehr danach so erfolglos gefühlt habe.

Ich konnte die Geschichten und das Lachen der anderen Golfer nur schlecht ertragen. Diese Sätze wie «Ich habe das Golf meines Lebens gespielt» oder «Noch nie ist mir ein Birdie auf der 14 gelungen». Ich lief aus dem Klubhaus, nahm meinen Bag und ging zur Driving Range, liess sechzig Bälle raus, stellte mich hin mit einem Eisen 9, und die Bälle flogen. Mit dem Eisen 8 auch, das ganze Set hindurch. Dann ging ich zurück in das Klubhaus und betrank mich ein wenig.

 

Eine zweite, dritte, dreissigste Chance

Ich bin wirklich gut auf der Driving Range, im Grunde zu meinem Leidwesen. Wenn nur die Hälfte dessen, was ich auf der Driving Range so rauslasse, mir auf dem Platz gelingen würde, ich sage nur: Single-Handicap. Wahrscheinlich ist es ein Viertel, an guten Tagen ein Drittel, aber wie viele solcher Tage hat man als Golfer pro Saison? Drei, fünf, sieben allenfalls?

Der traurigste aller Könige ist der Driving-Range-King, weil er kein wirkliches Königreich besitzt, nur einen Spielplatz, der sich gelegentlich anfühlt wie ein Kindergarten. Ein König ohne Land. Natürlich ist die Driving Range wichtig, man kann sich austoben, seinen Schwung zum hundertsten Mal leicht verändern, von ein paar Metern mehr und selbstverständlicher Konstanz träumen, man kann den Ball mal mehr links oder mehr rechts positionieren, all das. Man bekommt eine zweite, eine dritte, eine dreissigste Chance. Ohne Driving Range wäre mein Golf wahrscheinlich nur eine Art weitensüchtiges Minigolf.

Inzwischen aber glaube ich, dass zu viel Driving Range, also mehr als drei Mal die Woche, zu gravierenden mentalen Problemen führen kann und zu einer Art Infantilisierung des Golfs. Es ist wie bei einem Jungen, der stundenlang einen Ball gegen ein Garagentor drescht. Das heisst noch nicht, dass er im wirklichen Leben dann auch ein Tor schiesst. Auf der Driving Range, das habe ich inzwischen erfahren, gilt der Paracelsus-Satz: «Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.»

Im Grunde denkt man ja, je mehr Training, je mehr Schläge, desto besser wird’s auf dem Platz, aber ich bin mir da nicht so sicher. Ich habe gerade eine kleine Verletzung hinter mir, drei Monate kein Golf, keine Range. Ich dachte lange, dass ein Leben ohne regelmässiges Golf kein erfülltes sei. Seltsamerweise vergass ich Golf nach einer Weile und war erstaunt, wie viel mehr Zeit ich besass.

 

René ist auch da

Vor ein paar Wochen ging ich das erste Mal wieder hin, mit einem ziemlich legeren Mindset, einer Mischung aus Grosszügigkeit gegenüber mir selbst und Fatalismus gegenüber dem Golf im Allgemeinen. Ein bisschen angespannt war ich, aber die Bälle flogen, besser als zuvor. Natürlich hatte ich in diesen drei Monaten nicht nichts gemacht. Ich nahm täglich einen Schläger und machte im Rahmen meines Home-Fitness-Programms Trockenübungen, ich sah mir hin und wieder Videos von McIlroy und Rahm an, aber dieser Stachel, den Golf in Herz und Hirn sticht und dort Schmerzen, Entzündungen und hin und wieder die Erlösung davon verursacht, die wir dann als vermeintliches Glück empfinden, war verschwunden. Fast jedenfalls, es war seltsam. Es gibt vermutlich doch ein Leben ohne Golf.

Der Puls auf der Fahrt zur Range schlägt normal, geht nicht hoch wie im Vorfeld einer Runde, die zählt.

Schon das ist ein grosser Unterschied: Zum Turnier fährt man mit einer Unruhe hin, die eine Mischung ist aus der Angst, zu versagen, und der Hoffnung, über sich hinauszuwachsen. Der Puls auf der Fahrt zur Range schlägt normal, geht nicht hoch wie im Vorfeld einer Runde, die zählt, inmitten eines Flights tatsächlicher Single-Handicapper.

Dann kommt man an, sieht schon an dem einen oder andern Auto, wer da ist. Tobi ist da, der Linksgolfer, netter Typ, immer bunt gekleidet, weil das Leben ja im Grunde grau genug sei, wie er sagt. Tobi kommt grad aus Salzburg, wo er, wieder einmal, einen Sensationstrainer gefunden hat. Er würde jetzt weiter und gerader schlagen.

Ich kann es sehen, wie immer, wenn ein Linksgolfer auf der Matte vor einem abschlägt. Tobi lässt sich mehr Zeit, ärschelt ein wenig, seit er in Österreich war, aber sonst spielt er eigentlich wie im Sommer.

René ist auch da. Single-Handicapper im wirklichen Golf. Die ganze Hardcore-Driving-Range-Szene fragt sich, ob er in seinem früheren Leben mal Schlangenmensch war, so wie er seinen Rücken verdreht. Maximale Bandscheibenbelastung. René schlägt meist mit dem Eisen 9 und zielt auf den Holzpflock bei 100 Metern. Einmal hat er ihn getroffen, sagt er, aber wie das so sei, keiner habe es gesehen.

Robert, sein Kumpel, soll noch kommen. Robert ist knapp zwei Meter gross und bringt je nach Saison zwischen 110 und 130 Kilo auf die Waage. Robert ist im Grunde ein Longhitter, die Range ist zu kurz für seine Länge. Allerdings hat er gerade eine kleine Komplikation mit seiner rechten Schulter, die nicht stabil bleibt, so dass die Bälle nach rechts weggehen. Er versucht und versucht, und irgendwann hat er die Schnauze voll und geht Putten.

Chen kommt immer nur über Mittag und aus Hong Kong, arbeitet hier in der Pharmaindustrie. Noch nie habe ich ihn in Golfkleidung gesehen, immer nur mit Bundfaltenhose und Hemd. Er hat kein Bag, sondern vier Schläger in der Hand: Eisen 8, 6 und 5 und den Driver. Cheng hat einen klasse Schwung, absolut ästhetisch, seine Dehnung sieht aus wie jene dieser Musterschläge in den Golfvideos auf Youtube.

Andrej ist auch da, wie immer, er ist Trainer hier, er lebt Golf. War in seinem früheren Leben irgendwas, dann entdeckte er Golf und entschied sich mit Mitte vierzig, Pro zu werden, zog in die Nähe des Golfplatzes, mähte zuerst die Wiese, fuhr mit dem Ballpicker hin und her und übte und übte. Letztes Jahr hat er es geschafft. Seither kostet die Stunde bei ihm viel mehr.

Dann sind da natürlich all die Rentner, die ihr Golf gerade verlieren oder die Golf gerade entdeckt haben. Sie sind okay, kein Sicherheitsrisiko, aber es ist doch etwas irritierend, wenn sie auf der Matte vor einem versuchen, ihren Körper zum Schwung zu zwingen.

 

Als die Sucht begann

Ich habe phasenweise fast auf der Range gelebt, als ich anfing mit Golf vor sieben Jahren und die Sucht begann. Ich war gerne süchtig und fast jeden Tag, ich erlebte all die Höhenräusche und die Abstürze, die zum Leben mit einer Sucht gehören. Und natürlich verdanke ich der Range das bisschen, was ich auf dem Platz hinkriege. Aber vor vielleicht anderthalb Jahren nährte mich die Sucht nicht mehr, ich nährte die Sucht. Einmal die Woche noch, zwei Mal höchstens gehe ich noch hin. Die Wahrheit, so habe ich begriffen, endlich, was ich schon stets wusste, liegt auf dem Platz.

Natürlich halte ich jeden Tag einen Golfschläger in der Hand. Mache ein wenig Drill oder chippe im Garten in einen fünf Meter entfernten Baumarkt-Kessel. Das macht gelegentlich sogar Spass, und wenn nicht, haue ich auf den Bambusstrauch ein, der mich schon lange nervt.