Arno Geiger: Reise nach Laredo. Hanser. 272 S., Fr. 36.90

Arno Geigers bisher eindrücklichstes Buch heisst «Der alte König in seinem Exil» (2011). Darin erzählte er die berührende Geschichte seines an Alzheimer erkrankten Vaters, an dessen Pflege sich auch der Sohn intensiv beteiligte. Wie die ganze Familie brauchte Arno Geiger lange, bis er die Krankheit akzeptieren konnte und eine Nähe zum Vater wiederfand, die ihn bei allem Schmerz auch Glücksmomente erleben liess.

Der Held von Geigers neustem Roman ist ein wirklicher König, der Habsburger Karl V. (1500–1558), Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und als Carlos I. der erste König Spaniens. Der Monarch herrschte über ein Reich, in dem dank seinen Besitzungen in Übersee «die Sonne nicht unterging», wie man sagte. Im Buch lernen wir ihn aber nicht als mächtigen Herrscher kennen, sondern als dem Tod geweihten «Privatmann Karl». Zwei Jahre zuvor, 1556, hat er von all seinen Ämtern abgedankt, sein Reich zwischen seinem jüngeren Bruder und seinem ältesten Sohn aufgeteilt.

Als letzten Rückzugsort hat er sich einen bescheidenen Palast in der Extremadura bauen lassen, der direkt an das Kloster von Yuste angrenzt – aus seinem Bett sieht er durch eine Verbindungstür in den Altarraum des Klosters. Denn der König kann kaum mehr gehen, die Gicht hat seine Gelenke zerfressen, Malariafieber-Schübe quälen ihn, der Mann ist ein Wrack. Das zeigt sich gleich zu Beginn in einer grossartig geschilderten Szene, in der Karl im Klosterhof gebadet wird. Unter den Augen seines Hofstaats – gegen fünfzig Bedienstete hat er nach Yuste mitgenommen – wird der König mit einem Kran, den sein persönlicher Uhrmacher erfunden hat, in einen Zuber gehievt. Karl hat es satt, ständig nur mit Puder abgerieben zu werden – weil das Waschen gefährlich sei, wie sein Leibarzt sagt. Sein Sekretär, sein Beichtvater, der Majordomus, die Frauen, die das Wasser aufkochten, verfolgen gebannt die Prozedur. «Sie versuchen, dem alten Mann das Gefühl zu geben, er sei der Mittelpunkt von allem, doch in Wahrheit warten sie auf seinen Tod.»

 

Schräge Abenteuerreise

Das tut er selber auch, obwohl sich die Hoffnung nicht erfüllt hat, die er mit seiner Abdankung verband: Der König hat nicht herausgefunden, was er ohne seine Kronen eigentlich für ein Mensch ist. «Er erkennt nur, dass er nichts Wichtiges über sich weiss und dass wenig Zeit bleibt, dahinterzukommen.» Er sehnt sich «nach Gefühlen, die er vielleicht nie hatte: Unbeschwertheit, Leichtigkeit, Gelassenheit». In seiner Verlassenheit und Leere findet er Trost nur noch in der betäubenden Droge Laudanum. Was ihm im Leben versagt bleibt, erfüllt sich ihm im Opiumrausch: In seiner letzten Nacht flüchtet er mit dem elfjährigen Geronimo, seinem illegitimen Sohn, aus Yuste und macht sich auf die Reise nach Laredo, ans Meer, zu sich selbst.

Mit Pferd und Esel sind die beiden unterwegs, wie einst Don Quichotte und Sancho Pansa, mit dem Unterschied, dass hier der König auf dem Esel reitet, weil er das Pferd nicht zu erklimmen vermag. Was den beiden widerfährt, könnte aus einem der Ritterromane stammen, die Don Quichotte so liebte. Als Erstes befreit Karl todesmutig ein Mädchen und ihren Bruder aus der Hand einer Bande von Schurken – die beiden werden mit ihrem Fuhrwerk zu ihren Begleitern auf dem beschwerlichen Weg nach Laredo. Sie müssen über die Berge, wo sie auf verlassene Silberminen stossen und hängenbleiben in der kaum mehr bewohnten «Toten Stadt», im einzigen Gasthaus, das von einem abstossenden, betrügerischen Wirt geführt wird. Gerade noch im letzten Moment entkommen sie aus seinen Fängen.

Man lässt sich von Arno Geiger gern auf diese schräge Abenteuerreise mitnehmen, er erzählt sie farbig, prall und unterhaltsam. Er lässt den König im Glauben sterben, auf seiner letzten Reise seinem wahren Ich nahegekommen zu sein – den Leser überzeugt er nicht davon. «Die Reise hatte ihm viel Neues gezeigt, Unerwartetes, Offenes, Lohnendes»: Das ist ein etwas gar dürres Fazit für eine Geschichte, die mit einem derart vielversprechenden Auftakt aufgewartet hat.