Die Süddeutsche Zeitung war im Januar in Jubelstimmung: «Deutschlands Strom wird grüner», titelte das Blatt. Es gehe voran mit dem Ausbau der Erneuerbaren. Denn im vergangenen Jahr sei die installierte Leistung von Wind-, Wasser-, Solar- und Biomasse-Strom um satte zwölf Prozent auf 190 Gigawatt gestiegen. Das ist so viel wie die 190-fache Leistung des AKW Gösgen. 2024 sei der Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion darum schon fast bei 60 Prozent gelegen.

Das stimmt zwar – und doch ist die Wirklichkeit anders als gedacht. Es handelt sich um einen Durchschnittswert, der nichts über die Probleme aussagt, die mit dem Ausbau des «Flatterstroms» einhergehen. Weil Wind und Sonne nur dann liefern, wenn das Wetter günstig ist, herrscht während sogenannter Dunkelflauten Ebbe im Netz.

 

Wie im Mittelalter

Das musste Deutschland in diesem Winter mehrmals erfahren. So fiel die Produktion von Wind- und Solarstrom am 11. und 12. Dezember fast komplett aus. Damit die Lichter nicht ausgingen, warf das Land alle verbliebenen Kohlekraftwerke an und importierte kräftig Strom. Trotzdem stieg der Strompreis an der Börse bis auf das neue Allzeithoch von 936 Euro pro Megawattstunde – mehr als zwanzig Mal mehr als normal.

Das war für einige stromintensive Industriebetriebe zu viel. Die Giesserei Siempelkamp in Krefeld reduzierte ihre Produktion vorübergehend um 30 Prozent, um nicht ruiniert zu werden. Auch der Metallbetrieb Anke in Essen entschied, einige seiner Öfen herunterzufahren. Das Elektrostahlwerk Feralpi in Riesa stoppte die Produktion gar komplett. Bei Siempelkamp sprach man von «reinem Irrsinn», bei Anke von einer «volkswirtschaftlichen Katastrophe».

Damit wird bei Dunkelflauten Realität, wovor Kritiker der Energiewende warnten: Die deutsche Wirtschaft muss sich wie im Mittelalter nach dem Wetter richten – ohne dass der Strom effektiv rationiert wird.

Das ist aber nur eine Seite. Noch schlimmer als die Dunkelflaute sei die «Hellbrise», schreibt der Energieexperte Fritz Vahrenholt: Wenn die Sonne in Deutschland scheint und gleichzeitig viel Wind weht, entsteht wegen der gewaltig grossen installierten Leistung so viel Strom, dass dem Netz der Infarkt droht. Was passieren könnte, war pikanterweise in der Fotovoltaik-Zeitschrift pv magazine zu lesen. Dort hat man «mal in die Glaskugel geschaut» und ein Schreckensszenario entworfen: «Am Ostersonntag 2025 sinkt die Stromnachfrage während der Mittagsstunden auf etwa 40 Gigawatt, während Solaranlagen auf Dächern allein bis zu 34,2 Gigawatt produzieren. Zusammen mit acht Gigawatt konventioneller Must-run-Kapazität und weiteren 11,7 Gigawatt aus netzgekoppelten erneuerbaren Energien, die nicht abgeregelt werden, ergibt sich ein Gesamtangebot von 53,9 Gigawatt.»

 

Überschüssige Leistung

Das sei viel zu viel Strom im Netz. Trotz Notmassnahmen wie Stromexport oder dem nutzlosen Heizen von Eisenbahnweichen würden mehrere Gigawatt überschüssige Leistung verbleiben. «Dies könnte zu gravierenden Netzproblemen führen, darunter ein Anstieg der Netzfrequenz, Abschaltungen von Fotovoltaik-Wechselrichtern, Schäden an Maschinen und potenzielle Brownouts . . .» Brownout bedeutet, dass ganze Sektoren des Netzes stillgelegt werden müssen, um einen Kollaps des Stromsystems insgesamt zu verhindern.

Konkret muss sich die Industrie bei günstigem Wetter also genauso auf Produktionsstopps einstellen wie bei schlechtem Wetter. Doch die CDU/CSU, die voraussichtlich die nächste Regierung anführen wird, will den Ausbau der Erneuerbaren weiter vorantreiben. Oje, Deutschland!

 

Alex Reichmuth ist Redaktor beim Nebelspalter.