Kurz vor Jahresende wurde den Mitarbeitern von Wintershall Dea eröffnet, dass ihr Unternehmen von den Eigentümern BASF und Letter One an die britische Harbour Energy verkauft werde. Die Standorte Hamburg und Kassel werden geschlossen. Für Belegschaft und Management ist das ein Schock. Politisch und wirtschaftlich ist der Verkauf von Wintershall Dea ein Armutszeugnis für den Standort Deutschland. Seit dem Ukraine-Krieg wird eine grössere Energieunabhängigkeit gepredigt. In der Realität aber verliert Deutschland nun sein einziges Unternehmen, das Gas und Öl fördern kann. Was in Wietze in der Lüneburger Heide 1858 mit der ersten Erdölbohrung der Welt durch Konrad Hunäus begann, findet 2024 ein jähes Ende.

 

«Carbon Strategy»

Dass die Bundesregierung eine Deinvestition im Öl- und Gasbereich nicht ablehnt, mag man aufgrund der Überlegungen zu energiepolitischer Autonomie bedauern. Verwundern aber kann das angesichts der bekannten Grundsatzentscheidung gegen die fossilen Energien nicht. Viel gewichtiger und klimapolitisch problematisch ist es dagegen, dass Deutschland und damit auch die EU mit dem geplanten Verkauf auch die Kompetenz im Bereich Carbon capture and storage (CCS) verliert. Wintershall Dea ist innerhalb der EU einsame Spitze bei Abscheidung, Transport und Speicherung von CO2. Es beherrscht mit seinen Partnern wie Heidelberg Materials, Open Grid Europe und Fluxys die gesamte technologische Wertschöpfungskette und hat diese mit dem Projekt Greensand bereits erfolgreich umgesetzt.

CCS wird vom Weltklimarat IPCC als mitentscheidende Technologie bei der Bekämpfung des Klimawandels angesehen. Die EU bezeichnet CCS als «grün» und fördert sie. Überall auf der Welt – in Australien, den USA, Kanada, China und in Europa – sind im letzten Jahrzehnt CCS-Projekte entstanden. Deutschland, noch Anfang des Jahrtausends führend in dieser Technologie, hatte 2011 durch seine Gesetzgebung CCS de facto untersagt. Bundesminister Robert Habeck hat im Januar 2022 nach dem Besuch in Norwegen, wo Equinor seit zweieinhalb Jahrzehnten CCS sicher praktiziert, die Kehrtwende ausgerufen und eine «Carbon Strategy» angekündigt. Obwohl an dieser auch zwei Jahre später noch gearbeitet wird, gibt es inzwischen einen verbreiteten Grundkonsens in der deutschen Politik, dass CCS benötigt wird.

Wintershall Dea ist innerhalb der EU einsame Spitze bei Abscheidung, Transport und Speicherung von CO2.

Wintershall Dea hat deshalb diese Technik vorangetrieben und Lagerstätten für Millionen Tonnen CO2 aus der deutschen Industrie gesichert. Wenn das Unternehmen jetzt verkauft wird, wird Deutschland auch auf diesem Gebiet abhängig vom Ausland. Auch Harbour Energy plant mit CCS, denkt dabei aber naturgemäss zuerst daran, das britische Humber-Industriezentrum zu dekarbonisieren. Norwegen, Dänemark, Island, Grossbritannien – sie alle machen aus CCS ein Geschäftsmodell. Deutschland dagegen verkauft seine technologische CCS-Fähigkeit in ein Land ausserhalb der EU.

Auf der Weltklimakonferenz in Dubai war greifbar, dass CCS neben erneuerbaren Energien und Wasserstoff eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung der Erderwärmung einnehmen wird. Da viele Länder auch in den nächsten Jahrzehnten nicht auf fossile Brennstoffe verzichten wollen, wird CCS immer wichtiger. Das gilt übrigens auch für CCU, also den Gebrauch von CO2 als Rohstoff – zum Beispiel bei der Produktion von synthetischen Kraftstoffen. Hier könnten Deutschland und die EU mit Wintershall Dea wirklich ein globaler Vorreiter sein.

 

Technologischer Edelstein

Kann man der BASF einen Vorwurf machen? Kaum. Sie kann darauf verweisen, dass Öl- und Gasförderung von der Politik in Deutschland nicht mehr gewollt sind. Und bei CCS gibt es zwar diverse Absichtserklärungen, aber bis heute keinen Rechtsrahmen.

Kann man Harbour Energy einen Vorwurf machen? Sicher nicht. Die Briten haben einen technologischen Edelstein akquiriert. Kaum einer beherrscht die Ölförderung auch in schwierigem Terrain so wie Wintershall Dea. Seit den achtziger Jahren fördert man zum Beispiel störungsfrei Öl unter dem Wattenmeer in Schleswig-Holstein. Mehr noch: Das Unternehmen ist auch im aussereuropäischen Ausland ein Gewinn für die Briten – zum Beispiel in Ägypten oder Lateinamerika. Nicht zuletzt aber wird man die CCS-Fähigkeiten der Kasseler nutzen, die in Grossbritannien bei der Dekarbonisierung der Industrie, aber auch bei der Energieproduktion in grossem Stil Anwendung finden sollen.

Marktwirtschaftlich macht der Verkauf Sinn für die Beteiligten. Aber für die deutsche und europäische Politik stellt sich die Frage, ob nicht ein übergeordnetes staatliches Interesse am Erhalt der CCS-Fähigkeit besteht? Und ob es Möglichkeiten gibt, dieses gegebenenfalls durchzusetzen?

 

Friedbert Pflüger ist Geschäftsführer der Denkfabrik Clean Energy Forum (CEF). Er war von 1990–2006 Bundestagsabgeordneter (CDU) und Parlamentarischer Staatssekretär in der ersten Regierung Merkel.