Die Clips gingen Ende 2024 viral: Im Oktober schlief eine Frau mit hundert Männern an einem einzigen Tag. Die 23-jährige Lily Phillips aus England filmte die «challenge», wie sie es nannte, für ihren Only-Fans-Kanal, mit dem sie bekannt wurde. Zuvor hatte sie ihre Abonnenten munter zur Anmeldung für das Treffen aufgerufen. In der Doku, die den Prozess begleitete, kämpfte sie mit den Tränen, als sie kurz nach dem Erlebnis darüber sprach. Es sei intensiver gewesen, als sie gedacht habe. Tränen habe sie, weil sie sich sorge, die Teilnehmer könnten keinen Spass gehabt haben, da alles sehr schnell habe gehen müssen. Trotzdem kündigte sie bereits ihre nächste Klicksensation an: Sex mit tausend Männern innerhalb von 24 Stunden.

Als der «Fall» ans Licht kam, forderte die bekannte Feministin Julie Bindel sofort auf X: «Jeder Mann, der involviert war, sollte eingesperrt werden.» Im Spectator schreibt sie, dass die Männer, die Phillips bei der Begegnung ausnutzten, die Nachfrage für solche Aktionen schafften und zur Verantwortung gezogen werden sollten. Bindel beschreibt Phillips als verletzliche junge Frau, die von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräften in solch extreme Situationen gedrängt wird. Only Fans (OF) solle verboten werden.

Die Plattform ist alles andere als ein sozialer Fortschritt, doch ein Verbot halte ich für illiberal. Dann müssten wir alles verbieten, womit manche Menschen nicht umgehen können oder was ihnen potenziell schadet. Dennoch frage ich mich, was in Phillips’ Leben passiert ist, dass sie annimmt, diese Aktion werde sie langfristig nicht einholen – und mental belasten. Berichten zufolge stammt sie aus einer wohlhabenden Familie, die ihre Arbeit sogar unterstützt; Geldnot kann also keine Rolle spielen. Und was sind das für Männer, die solchen Aufrufen folgen?

Wir leben in einer Gesellschaft, in der kaum noch etwas peinlich ist.

Wenn Frauen «schlechte» Entscheide treffen oder solche, die sie selbst nicht gut finden, ist der erste Reflex mancher Feministen stets der, zu behaupten, dass andere schuld seien (meistens die Männer); die Frau sei zu der Aktion gedrängt worden irgendwie – als ob die prominente OF-Darstellerin mit ihrer eigenen Lebensgestaltung nicht das Geringste zu tun hätte. Treffen Frauen jedoch gute Entscheide, handeln sie selbstbestimmt. Was Feministen wie Bindel eigentlich wollen, ist, dass Frauen nie für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden. Denkt man ihre Argumentation konsequent weiter, hiesse das ja, dass erwachsene und mental gesunde Frauen nicht in der Lage seien, Entscheide über ihren Körper zu treffen. Was wiederum bedeutet, dass jemand anders für sie entscheiden müsste, sie also eine Art Vormundschaft bräuchten. Aber das ist wohl auch nicht das, was sie wollen.

Die unbequeme Wahrheit ist: Nicht alle Menschen sind gleichermassen fähig, selbstdiszipliniert zu handeln und sich bei ungesunden Dingen zurückzuhalten. Vor allem junge Frauen können sich der Dynamik Selbstdarstellung–Bestätigung–Geld manchmal nicht so einfach entziehen. Vielleicht empfinden sie es als Selbstbestätigung, dass Männer ihre Nähe suchen – wenn auch nur auf sexuelle Art. Vieles, was wir tun, ist auch ein Abwägen: Wie viel ist man bereit zu investieren? Frauen wie Phillips scheinen zu vielem bereit; mit den unzähligen Klicks und Abos hat sie nun wohl finanziell für lange Zeit ausgesorgt.

(Sexuelle) Freiheit bringt Verantwortung mit sich – und die Freiheit, Entscheide zu treffen, die sich später als falsch erweisen könnten. Mit 23 darf man wählen, autofahren, Verträge unterschreiben. Es ist Phillips’ Wahl, sich mit den Männern einzulassen – eine Option, die ihr offenbar mehr zusagt als bei Aldi Regale einzuräumen. Entweder ist man mündig und verantwortlich für sein Handeln, oder man ist es nicht. Indem man stets die Schuld auf andere schiebt, stellt man Frauen nicht nur als grundsätzlich fremdbestimmte Wesen dar; man traut ihnen diese Verantwortung offenbar auch nicht zu.

 

Eines steht fest: Wir leben in einer Gesellschaft, in der kaum noch etwas peinlich ist und man sich selbst in den unrühmlichsten Momenten öffentlich zur Schau stellt. Zweifellos hat diese heute übersexualisierte Kultur, in der alles erlaubt ist und allein das Einverständnis zählt, die Bedingungen für solche Situationen geschaffen. Brauchen wir ein Umdenken? Vielleicht – hin zu einem würdevolleren Umgang mit Sexualität.

 

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