Neophyten sind in aller Munde. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die einen sprechen darüber, häufig mit einem negativen Unterton oder in Kombination mit dem Adjektiv «invasiv». Andere – beziehungsweise wir alle – essen sie. Denn unser Speiseplan wäre ohne Neophyten sehr arm. Nur gerade Pastinaken, Haselnüsse, Walderdbeeren und ein paar wenige weitere Arten stünden darauf, hätte nicht schon früh ein Austausch zwischen den Kulturen stattgefunden.

Dass Kartoffeln, Mais und Kürbis erst nach der Entdeckung Amerikas zu uns gelangten, ist gemeinhin bekannt. Dass aber selbst die Vorfahren der heute gebräuchlichen Äpfel, Karotten oder von Weizen nicht aus Mitteleuropa stammen, geht oft vergessen. Allerdings sind diese schon ungleich länger bei uns in Verwendung. Entsprechend spricht man hierbei von Archäophyten. Das sind Pflanzen, die zwar nicht ursprünglich von hier kommen, aber vor der Entdeckung Amerikas, also vor 1492, zu uns gelangten. Was danach hinzukam, wird Neophyt genannt.

 

Zurück zum Ursprung

Wie aber findet man heraus, welche Pflanze ursprünglich von wo stammt? Es war der russische Wissenschaftler Nikolai Wawilow, der Anfang des 20. Jahrhunderts über hundert Expeditionen unternahm, um die Ursprünge unserer Nutzpflanzen zu finden. Sein Vorhaben hatte einen guten Grund: Er ging davon aus, dass in den wilden Vorfahren Eigenschaften vorhanden sind, welche unseren Nutzpflanzen im Laufe ihrer Züchtungsgeschichte abhandenkamen, die sie aber widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Schädlinge machen könnten.

Auf seinen Expeditionen in 64 Länder identifizierte Wawilow acht verschiedene «Ursprungszentren», auf welche die 640 untersuchten Nutzpflanzenarten zurückzuführen sind. Diese Einteilung wurde seither verfeinert, ist aber grundsätzlich noch immer gültig. Allerdings wird heute eher von «Vielfaltszentren» oder «Genzentren» gesprochen, denn es sind die Orte, an denen die grösste Vielfalt innerhalb der jeweiligen Art vorkommt. Hier wurden sie vermutlich domestiziert. Darüber, ob sie auch nur hier ursprünglich vorkamen, lässt sich aktuell aber oft nur spekulieren.

Auffällig ist, dass etliche dieser Vielfaltszentren im Einzugsgebiet der Seidenstrasse zu finden sind. Über dieses Wegnetz, das ungefähr von 115 vor unserer Zeitrechnung bis ins 13. Jahrhundert für den Austausch von Gütern, Wissen und Kulturen in Eurasien wichtig war, kamen denn auch viele Arten zu uns. Die wenigsten wurden direkt von China in die Schweiz spediert. Vielmehr breiteten sie sich nach und nach entlang den Karawanenrouten aus und wurden von den dort ansässigen Menschen angebaut und wieder weitergegeben.

So konnten sich einerseits die Pflanzen laufend an die neuen Bedingungen bezüglich Boden und Klima anpassen. Andererseits konnte sich auch das Wissen rund um Anbau und Verwendung dieser Arten etablieren und ausbreiten. Deutlich früher, als die Seidenstrasse wichtig wurde, spielte sich im Fruchtbaren Halbmond Entscheidendes ab. In der Gegend entlang den Flüssen Euphrat und Tigris im heutigen Irak, Syrien und Libanon entwickelte sich der Ackerbau. Die klimatischen Bedingungen waren damals günstiger als heute, und es gab dort einen grossen Reichtum an essbaren Wildpflanzen.

Deshalb begannen die Menschen jener Region schon vor über 13 000 Jahren damit, Feigenbäume anzupflanzen, vor 11 000 Jahren domestizierten sie Weizen, es folgten Erbsen, Linsen, Oliven, Weintrauben und viele weitere Kulturen, die nach und nach zu uns kamen und noch heute einen Grossteil unserer Ernährung ausmachen.

Im Folgenden tauchen wir in die oft Tausende Jahre zurückreichende Geschichte einiger unserer Nahrungspflanzen ein und verraten Ihnen den aktuellen Wissensstand dazu.

 

Der gute alte Apfel

Unser heutiger Kulturapfel, der ausser in der Antarktis auf allen Kontinenten kommerziell angebaut wird, entstand aus mehr als einem wilden Vorfahren. Man geht davon aus, dass ein grosser Teil seiner Genetik auf den Asiatischen Wildapfel (Malus siversii), der im Tian-Shan-Gebirge in Zentralasien zu Hause ist, zurückgeht. Diese Bäume tragen grosse und häufig rote Früchte mit unterschiedlichen Aromen. Sie wurden schon vor 6000 Jahren genutzt. Mit den Menschen kamen sie nach und nach Richtung Westen und verkreuzten sich mit den unterwegs vorkommenden Wildapfelpopulationen. Die Genetik von mindestens vier verschiedenen Wildapfelarten konnte im heutigen Kulturapfel nachgewiesen werden. Eine davon ist der bei uns heimische Holzapfel (Malus sylvestris).

 

Orange Karotte

Wie der Apfel ist auch unsere orange Karotte das Resultat zufälliger Verkreuzungen mit Partnern aus dem Osten. Zwar wächst bei uns die Wilde Möhre (Daucus carota subsp. carota). Diese ist aber weiss, und ihre nur knapp fingerdicke, oft stark verzweigte Wurzel schmeckt herb. Sie wurde deshalb auch eher als Würze oder Medizin genutzt, denn als eigentliches Nahrungsmittel. Im heutigen Iran und Afghanistan hingegen wachsen violette und gelbe Daucus-Vertreter. Diese gelangten über die bekannten Handelsrouten nach Europa, wo sie vermutlich im 15. oder 16. Jahrhundert von holländischen Bauern mit weissen Karotten gekreuzt wurden. Es entstand eine orange Variante. Diese war nicht nur süsser, sondern Forschende entdeckten inzwischen auch, dass orange Karotten einen höheren Gehalt an Alpha- und Beta-Carotin aufweisen, das im Körper zu Vitamin A umgewandelt wird, als weisse, gelbe oder violette Varianten.

 

Chinesische Stachelbeere?

Kiwi heisst der Nationalvogel Neuseelands, und sogar die Bewohner und Bewohnerinnen nennen sich Kiwis. Es wäre nur logisch, dass die Kiwifrucht von dort stammt. Aber weit gefehlt. Die Frucht stammt aus China. Zwar wurde sie schon in den 1740er Jahren nach Frankreich importiert, stiess dort aber auf wenig Interesse. Ende des 19. Jahrhunderts kamen entsprechende Pflanzen nach Europa und in die USA, die grüne Vitaminbombe blieb jedoch ein Kuriosum. Erst eine Lehrerin, die 1904 Kiwipflanzen unter dem Namen «Chinesische Stachelbeere» nach Neuseeland einführte, half der Frucht auf die Sprünge. Schon bald entwickelte sich der Anbau erfreulich, und 1952 wurden die ersten Kisten mit diesen Früchten nach England exportiert und bald auch nach Amerika. Mitten im Kalten Krieg war der Name «Chinesische Stachelbeere» jedoch wenig verkaufsfördernd, und so nannte man sie kurzerhand in Kiwi um. In der Schweiz wurde sie 1984 in Allaman am Genfersee erstmals angebaut, wo heute noch 80 Prozent der in der Schweiz produzierten Kiwis wachsen.

 

Vorurteile gegen die Aubergine

Wie Tomate, Peperoni und Kartoffel gehört die Aubergine zu den Nachtschattengewächsen. Im Gegensatz zu ihren Verwandten stammt sie aber nicht aus Südamerika, sondern aus Indien. Vermutlich lernten die Araber die Aubergine ungefähr im 7. Jahrhundert in Persien kennen und brachten sie auf ihren Handelsreisen via Spanien nach Europa. Auch sie hatte hier zu Beginn einen schweren Stand. Leonhart Fuchs schreibt 1543 in seinem Kräuterbuch: «Melanzan, Mala insana [ungesunde Apfel], Poma amoris: Melanzan ist ein fremdes Gewächs (. . .) Will denselben Wert haben wie die Kurbisse und Melonen (. . .) Doch esset man die Apfel an manchen Orten mit Öl und Salz und Pfeffer wie die Pfifferling (. . .) Doch solche Speise lieben allein die Schleckmäuler, die nicht hoch achten, wie gesund ein Ding sei, wenn es nur wohl schmeckt. Die andern so der Gesundheit wollen pflegen, sollen sich vor dieser Frucht hüten, dann sie ungesund . . . ist.»

 

Irreführender lateinischer Name

Als der Handel via Seidenstrasse vor gut 2000 Jahren Fahrt aufnahm, gelangte schon bald der Pfirsich aus Indien nach Persien und etablierte sich dort rasch. Lange Zeit glaubte man deshalb, dass er ursprünglich von dort stamme, was sich in seinem lateinischen Artnamen Prunus persica widerspiegelt. Fossile Funde belegen jedoch, dass schon vor mindestens 7500 Jahren entlang dem Jangtsekiang in Südchina Pfirsiche angebaut wurden. Aus Persien, dem heutigen Iran, gelangte der Pfirsich nach Europa und weiter nach Amerika.

 

Von Wildgras zum Weizen

Im Fruchtbaren Halbmond wachsen viele Süssgrasarten, die sich für die menschliche Ernährung eignen. Sie bilden schon in der Wildform stärkehaltige Samen aus, die Kalorien liefern. Mehrere dieser Grasarten waren an der Entstehung von Einkorn, Emmer und schliesslich Weizen beteiligt. Der Zuchterfolg: mehr und grössere Samen, die besser an der Ähre haften und somit einfacher geerntet werden konnten. In Mitteleuropa wurde lange deutlich mehr Gerste, Emmer und Einkorn angebaut als Weizen. Erst mit dem Aufkommen von Weissbrot, das ungefähr im 11. Jahrhundert in Mode kam, gewann der Weizen an Bedeutung.

 

Zitronen als Statussymbol

Die Zitrusfrüchte stammen ursprünglich aus den südöstlichen Ausläufern des Himalayas und wurden dort schon seit Jahrtausenden in ganz unterschiedlichen Formen verwendet. Im 9. Jahrhundert begannen arabische Siedler, Bitterorangen und Zitronen in den eroberten Regionen am Mittelmeer anzubauen. Im 13. Jahrhundert kamen die Zitronen auch an den Gardasee, wo sie ab dem 18. Jahrhundert im grossen Stil angebaut wurden. Dazu wurden eigens Glashäuser errichtet, die im Winter geschlossen und in ganz kalten Nächten mit Feuern geheizt werden konnten. Es war für rund 150 Jahre das nördlichste kommerzielle Anbaugebiet von Zitronen weltweit.

Vom Gardasee wurden nicht nur Früchte in den Norden exportiert, sondern auch Zitruspflanzen. Für die lange Reise über die Alpen mussten sie aufwendig verpackt werden, um unbeschadet an den europäischen Fürstenhöfen anzukommen. Denn dort gehörte es ab dem 16. Jahrhundert zum guten Ton, Sammlungen von Zitrusbäumen und anderen exotischen Gewächsen anzulegen, die in Orangerien überwintert wurden. Eine Pflanzenkrankheit und das Aufkommen von synthetisch hergestellter Zitronensäure machten dem Zitronenanbau am Gardasee den Garaus.

 

Kräuter

Auch die allerwenigsten Kräuter, die unserer Küche das gewisse Etwas verleihen, stammen ursprünglich aus Mitteleuropa. Basilikum, den man spontan wohl in Italien verorten würde, da keine italienische Gewürzmischung ohne ihn auskommt, stammt ziemlich sicher aus Indien. Dort gilt er als heilig und ist Teil religiöser Riten. Vor 5500 Jahren wurde Basilikum aber auch schon in Ägypten als Grabbeigabe verwendet, und in unseren Gefilden empfiehlt ihn Hildegard von Bingen im 12. Jahrhundert zum Anbau in Klostergärten. Einen ähnlichen Weg legte der Dill zurück. In der Bibel wird er gar als Währung erwähnt, mit der man seine Steuern zahlen konnte.

Tatsächlich aus dem Mittelmeerraum stammen jedoch Rosmarin, Thymian und Salbei, während Oregano, auch Echter Dost genannt, schon immer auch bei uns an warmen Standorten auf kalkhaltigem Untergrund gedieh. Auch der Küchenklassiker Schnittlauch kam schon immer wild bei uns vor, allerdings eher im Gebirge, wo er feuchte, nährstoffreiche Böden bevorzugt. Die vermeintlich urschweizerische Petersilie hingegen, die noch heute manchen geschmacksneutralen Tomatenschnitz neben dem Schnitzel begleitet, stammt aus Südosteuropa.

 

Nicole Egloff ist Journalistin mit Fokus Garten, Natur und Landwirtschaft

Dieser Text erschien zuerst im Pflanzenfreund Nr. 5/24.