Im Grunde ist es einfach so: Ich feuere alle Nationalmannschaften an, die gegen England spielen. Ausser vielleicht Deutschland und Japan, wegen des Zweiten Weltkriegs. Dann wiederum muss ich zugeben, dass ich für Italien – den dritten Arm der Achsenmächte – war während des Finals der Uefa Euro 2020, der im Sommer 2021 ausgetragen wurde. «Forza Italia!», rief ich zehn Minuten vor dem Anpfiff von meinem Balkon, und ich war nicht einmal betrunken.

Warum feuere ich nicht das Land an, in dem ich geboren wurde, aufwuchs und immer gelebt habe? Nun bin ich zwar nicht stolz darauf, Engländerin zu sein – man sollte nicht stolz auf etwas sein, was man nicht persönlich erreicht hat –, aber ich freue mich sehr darüber und finde, mit seinem Witz und seiner Aufmüpfigkeit passt mein Land zu mir.

 

Herz und Seele

Das war einmal. England kommt mir nicht mehr witzig und aufmüpfig vor: In den letzten Jahren hat die Wokeness so ziemlich alle wichtigen Institutionen – von der Church of England über die BBC und den National Health Service bis zur Polizei – in den Würgegriff genommen, weshalb ich mich hier nicht mehr wirklich heimisch fühle. Und dieses Gift hat auch die englische Mannschaft erwischt: Multimillionäre gebärden sich plötzlich als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit. Kommt dazu, dass je mehr sie verdienen, desto weniger scheinen sie eine erstklassige Nationalmannschaft bilden zu können. Beim gegenwärtigen Turnier gebärden sich die Spieler selten so, als gehörten sie zu einem Team, sondern sie scheinen vielmehr eine All-Star-Nachahmung dessen zu geben, was sie in der Premier League und in den ausländischen Klubs tun, deren gehätschelte Lieblinge sie sind.

Viele unserer Fussballer sind so verdorben und korrupt wie unsere Politiker.

Der englische politische Theoretiker David Goodhart hat in seinem Buch «The Road to Somewhere» (2017) das Konzept zweier sozialer Gruppen entwickelt: Da gibt es die anywheres, also die Überall-Menschen, die Globalisten sind, und die somewheres, die Irgendwo-Menschen, die lokal orientiert sind und für den Brexit gestimmt haben. Die englischen Spieler scheinen als anywheres für all die Länder zu spielen, die ihnen am meisten zahlen, und nicht als somewheres für das Land, wo ihr Herz und ihre Seele ist oder vielmehr sein sollte.

Viele unserer Fussballer sind so verdorben und korrupt wie unsere Politiker. Sie sind keine Truppe von Rackern mit zerschrammten Knien, keine Mannschaft, die für all das steht, was anständig ist an diesem Land, sondern sie sind sportliche Pendants der Politiker, die Schande über sich gebracht haben. Schauen wir ihnen zu, fangen wir nicht etwa die Unschuld eines verlorenen Zeitalters sportlicher Fairness ein, sondern wir infantilisieren uns. In seinem neuen Buch «Infantilised: How Our Culture Killed Adulthood» beschreibt Keith J. Hayward das wahnsinnige Wachstum der Fussballverrücktheit. Er schreibt: «Erwachsene Männer kreischen in Foren wie hysterische Boyband-Fans.» Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um zu glauben, dass die Medienhysterie anlässlich dieses blöden Spiels letztlich dem Zweck dient, die Bevölkerung so weit zu infantilisieren, bis sie unwillig und unfähig wird, am politischen Leben Erwachsener teilzunehmen.

 

Hau ab, weisser Retter

Wir wissen, wie bösartig Kinder sein können, weil ihre Emotionen stärker sind als ihre Denkfähigkeit. Wenn England spielt, steigt die Häufigkeit häuslicher Gewalt um 26 Prozent; verliert es, schnellt sie um 38 Prozent hoch.

Auch wenn ich mein Land viel weniger liebe als im 20. Jahrhundert, halte ich mich nach wie vor für eine Patriotin. Ich habe Respekt vor vielem, was dieses Land erreicht hat, von seinem Beitrag zur Abschaffung des Sklavenhandels bis zum einsamen Widerstand gegen Hitler. Doch gehört es sich heutzutage nicht, solch heroische Dinge zu erwähnen: Gebärde dich nicht als weisser Retter, du kolonialistischer Unterdrücker! Wenn man also während der EM Flagge zeigen darf, ist das etwa so, als gäbe man, um der alten Zeiten willen, einem Eunuchen ein paar Wochen lang seine Hoden zurück: damit er sie als Ohrenschmuck tragen kann.

War es das? Ach so: Ich bin kein grosser Fan der englischen Flagge. Sie kommt mir so langweilig vor im Vergleich zur umfassenden Pop-Art-Majestät des Union Jack. Aus all diesen Gründen werde ich also am Samstag an Ihrer Seite stehen, geistig mindestens, wenn auch nicht physisch. Hopp Schwiiz!

Aus dem Englischen von Thomas Bodmer