Squid Game 2 (Südkorea 2024) Von Hwang Dong-hyuk. Mit Lee Jung-jae. Acht Folgen. Auf Netflix

Glücklich wurde er nicht mit seinen 45,6 Milliarden Won (etwa 35 Millionen Franken), dem Gewinn aus dem monströsen Squid-Game – als einziger Überlebender! Das schlechte Gewissen beutelt den einstigen sozial verwahrlosten Egoisten, der nur Schulden machte und sich deshalb dem makabren Game unterwarf. Auf Kosten anderer, die alle ins Gras beissen mussten.

Jetzt will er es wieder gutmachen und setzt den Gewinn ein, um den Drahtzieher des Sadistenspiels aufzuspüren und ihm das Handwerk zu legen. Nur wie? Er meldet sich erneut, um als eine Art trojanisches Pferd mit der Spielernummer 456 den Horrorladen von innen zu zerstören.

Es drängen sich natürlich wieder Hunderte, die bereit sind, über Leichen zu gehen, um an die Milliarden zu kommen. «Squid Game 2» kann beginnen. Der Serienerfinder Hwang Dong-hyuk konnte die durch und durch perfide Gesellschaftssatire über die menschliche Gier um eine besondere Variante steigern. Gi-hun (Lee Jung-jae), der vom Saulus zum Paulus mutierte Spieler Nummer 456, kennt die Spiele. Neu ist die Regel, dass es nach jedem Spiel zu einer Abstimmung kommt: Wenn die Mehrheit der Spieler für den Abbruch votiert, wird der bisher angesammelte Gewinn unter den Spielern aufgeteilt.

 

Rechtsradikal oder linksradikal?

Das Perverse daran ist nur, dass sich immer eine geldgierige Mehrheit findet, die – nach dem Motto: «Noch ein Spiel, noch mehr Leichen und folglich noch mehr Geld» – weitermachen will. Denn wer das nächste Spiel überlebt, sagt sich: Es hat doch geklappt, also noch mal eins. Weil dann aber, angesichts des zunehmenden Bluts in der Halle, eine Pattsituation entsteht, wird aus dem makabren Spiel eine nicht weniger makabre Spiegelung des Spiels: Jene, die unbedingt weitermachen wollen, brauchen eine Mehrheit; um die zu erreichen, killen sie während der Nacht ein paar aus dem Lager der Gegner. Gi-hun versucht, das auszunutzen, um ins Herz dieser Finsternis einzudringen. Doch leider gibt es Verräter.

Besteht eine unterschwellige Allianz zwischen dem mörderischen Spiel (und seinen Spielern) und uns?

In Joseph Conrads «Herz der Finsternis» heisst es einmal, «die Bestien» seien «auszurotten». Es war die Kolonialzeit, und gemeint waren die «Wilden», falls sie sich nicht zivilisieren liessen. «Rottet die Bestien aus» wäre auch als Motto für «Squid Game» brauchbar. Die «Bestien» sind hier, wie einer der maskierten Bewacher zu Nummer 456 sagt, «der Abschaum», auf den man getrost verzichten könne. Eine Szene, die brutal, knapp und präzise beschreibt, um was es hier geht: mit asozialer Ego-Gier locken und die Verlockten zugleich vernichten.

Ist das eine rechtsradikale Gesinnung? Oder eine linksradikale? Denn der «Abschaum», die «Minderwertigen» auf der Jagd nach dem Goldenen Kalb, sind Betrogene des Kapitalismus. Und Nummer 456 will dem ja ein Ende setzen. Was aber ist mit den Drahtziehern, die mit der perfekt organisierten und ausgestatteten Einrichtung auf einer Insel diese Geldorgel schufen?

«Squid Game» ist eine Satire, aber in eine bestimmte politische Ecke lässt sie sich nicht einordnen. Jede wäre falsch. Es bleibt die Frage, wie sich der weltweite Riesenerfolg der Serie vor diesem Hintergrund erklären lässt. Besteht eine heimliche, unterschwellige Allianz zwischen dem mörderischen Spiel (und seinen Spielern) und uns? Naomi Klein, Autorin der brillanten Gegenwartsanalyse «Doppelgänger», behauptet, in Abwandlung von Sartre («Die Hölle, das sind die anderen»), dass die wahre Hölle unserer richtungslosen Zeit die Spiegel seien.

Wenn das stimmt, hat «Squid Game» ins Schwarze getroffen.