Genf

Ein Ausländer als Rektor der Universität Genf? Warum auch nicht. Schliesslich war schon ihr Begründer, der Reformator Jean Calvin, ein Zugezogener aus Frankreich. Seither hatte die Hochschule allerdings nie einen ausländischen Rektor. Und dass der Neue von einer anderen Universität kommt, ist auch ungewöhnlich. Traditionell werden Vertreter aus dem eigenen Haus gewählt, das einen vorzüglichen Ruf geniesst. In der Schanghai-Rangliste der weltbesten Hochschulen belegt die Université de Genève den guten Platz 62.

Eric Bauce ist der Mann, der künftig die Geschicke der altehrwürdigen Genfer Institution lenken soll: ein Professor für Holz- und Waldwirtschaft an der Universität Laval in Québec, Vizerektor, Kanadier. Auf den internationalen Ranglisten steht die Universität Laval bis zu 300 Ränge hinter Genf. Dafür hat sie in der Woke-Hochburg Kanada offenbar als erste Universität die CO2-Neutralität erreicht. Zweimal scheiterte Bauce beim Versuch, an seiner heimischen Wirkungsstätte zum Rektor aufzusteigen. Geht es nach der Genfer Findungskommission, soll er nun in der Schweiz erreichen, was ihm in Kanada verwehrt geblieben ist.

Angriffe auf Dozenten

Durchaus zum Missfallen vieler Einheimischer. Wenn sich Genf wie Seldwyla gebärdet, spricht man von einer «Genferei». Le Temps befürchtet eine «Provinzialisierung» und stellt die richtige Frage, ohne sie zu beantworten: «Warum wollen keine Genfer Rektor werden?» Mit dem kärglichen Wald im Stadtkanton kann es nichts zu tun haben, dass ein Förster aus der Ferne zum Handkuss kommen soll. Schon eher ins Bild passt Bauces politische Mission: Er will die Alma Mater des protestantischen Roms zum «sozioökologischen Modell» machen. Immerhin hat sich die Universität Genf als Spielplatz der Schweizer Woke-Bewegung etabliert.

Vor allem Trans-Aktivisten stören regelmässig Veranstaltungen. So geschehen bei den renommierten französischen Psychoanalytikerinnen Céline Masson und Caroline Eliacheff, die in einem Buch die Trans-Identität als «Mode einer ideologischen Subkultur mit sektiererischen Zügen» beschreiben. Am schlimmsten traf es den Sorbonne-Professor Eric Marty, der Gender als «letzte ideologische Botschaft des Westens» bezeichnet. Marty wurde an der Universität Genf bespuckt und tätlich angegriffen, seine Peiniger entwendeten ihm sein Manuskript und zerrissen es. Vorwurf: «Transphobie». Mehr noch: Wochenlang führten die Trans-Aktivisten auf ihrer Internetseite – mit offizieller Uni-Adresse – eine unsägliche Hetzkampagne gegen den renommierten Literaturwissenschaftler.

Rektor Yves Flückiger, dessen Amtszeit im Sommer ausläuft, lässt die Chaoten gewähren. «An der Uni ist die Meinungsfreiheit bedroht», räumte er in der Lokalpresse zwar ein. Doch die angekündigte Klage wurde nie eingereicht: Man habe mit den Studenten gesprochen, sie seien einsichtig. Immerhin verschwanden die schlimmsten Beschimpfungen gegen Marty aus dem Internet, ebenso die Bildmontagen, die ihn mit geknebeltem Mund zeigten. Konsultiert wurde Marty allerdings nie. Das Verhalten der Universität nennt er «eine Schande».

Kurz vor Weihnachten konnte im letzten Moment ein Tortenwurf auf SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz verhindert werden. «Vermummte, schreiende Menschen stürmten auf mich los», beschrieb die Politikerin die Situation. Sie bezichtigt Rektor Flückiger, den Vorfall zu verniedlichen. Immerhin erwachte jetzt die Kantonsregierung. Erziehungsdirektorin Anne Emery-Torracinta (SP) forderte ein hartes Vorgehen der Uni, die sich mit ihrer Klage wegen Hausfriedensbruchs sehr viel Zeit liess.

Nur ein einheimischer Kandidat

Schon im November hatte ein anderer Skandal die Republik aufgeschreckt. Aus dem Wahlgremium mit 45 Mitgliedern, die den Nachfolger von Rektor Flückiger bestimmen sollten, waren strafrechtlich relevante Informationen an die Öffentlichkeit gelangt. Aus ihnen ging hervor, dass sich unter den vierzehn Kandidaten nur ein Vertreter der eigenen Uni befand: Chemieprofessor Jérôme Lacour, der Dekan der naturwissenschaftlichen Fakultät. Warum er für schlechter empfunden wurde, bleibt strenggehütetes Amtsgeheimnis der Kommission.

Sie schränkte die Auswahl auf einen Belgier und einen Kanadier ein. Beide widersprechen dem Anforderungsprofil. Am Ende machte der Kanadier Bauce das Rennen. «Er ist lernfähig», teilte das Wahlgremium mit. Rektor Flückiger hatte erfolglos für einen «Kenner des Hauses» als seinen Nachfolger plädiert, Staatsrätin Emery-Torracinta eine «Genfer Persönlichkeit» empfohlen, notfalls jemanden aus einer «Westschweizer Hochschule». Der künftige Rektor müsse das Schweizer Bildungssystem kennen und mit den wissenschaftlichen Beziehungen der Schweiz zu Europa vertraut sein.

Jetzt kann nur noch die Kantonsregierung das Verfahren stoppen. Sie hat schon auf die Indiskretionen im November irritiert reagiert. Aber ob sich wirklich noch etwas tun wird? Die neuerliche Genferei erinnert an die Ernennung des früheren französischen Direktors des Kunsthistorischen Museums. Er wurde damals mit der Erklärung begrüsst, dass man sich leider keinen Besseren leisten konnte.