In den letzten zwei Jahren ist es auf der Erde sprunghaft wärmer geworden. 2023 war das bisher heisseste Jahr mit einer Temperatur, die um 0,16 Grad über der von 2016 lag, dem bisherigen Rekordjahr. Und auch in den bisherigen Monaten des Jahres 2024 wurden fast durchgehend Temperaturhöchststände verzeichnet.
Das ruft Mahner auf den Plan – etwa António Guterres. «Wir spielen mit unserem Planeten russisches Roulette», orakelte der Uno-Generalsekretär im Juni wegen der jüngsten Erwärmung um mehrere Zehntelgrade. Wie viele andere warnte er vor der Wirkung menschengemachter Klimagase wie CO2 und Methan.
Doch es verhält sich wohl anders als gedacht. Im Mai erschien in einem Fachmagazin der renommierten Nature-Gruppe eine Studie von Forschern der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa. Demnach sind neue Vorschriften in der weltweiten Schifffahrt der hauptsächliche Grund für die Erwärmung seit dem Jahr 2020.
Konkret führte die Internationale Seeschifffahrtsorganisation 2020 eine Verordnung ein, wonach der Treibstoff nur noch ein Siebtel so viel Schwefel enthalten darf wie zuvor. Das führte dazu, dass der Ausstoss an Schwefeldioxid von Schiffen um satte 77 Prozent abgenommen hat.
Schwefeldioxid ist ein Luftschadstoff. Die neue Verordnung steht im Zeichen des Gesundheitsschutzes. Doch Schwefeldioxid wirkt auch auf das Klima. Denn die Substanz bildet in der Stratosphäre Sulfat-Aerosole. Das sind kleinste Schwebeteilchen, die die Wolkenbildung beeinflussen. Sie haben eine kühlende Wirkung: Sie werfen das Sonnenlicht in das Weltall zurück und führen zu helleren Wolken, die das Licht ebenfalls reflektieren.
Vulkane und anderes
Weil die Sulfat-Aerosole wegen der neuen Schifffahrtsvorschrift abgenommen haben, ist ein Teil des Kühleffekts verschwunden. Darum, so folgern die Nasa-Forscher, sind 80 Prozent der seit 2020 verzeichneten Erderwärmung nicht auf mehr Treibhausgase zurückzuführen, sondern auf die strengeren Abgasvorschriften für Schiffe.
Generell spielt die Abnahme von Aerosolen in der Atmosphäre punkto Erderwärmung eine erhebliche Rolle. Diese Schmutzteilchen reflektieren das Sonnenlicht und haben darum einen Dimmeffekt. Bekannt ist dieser Effekt von Vulkanausbrüchen, die eine erhebliche temporäre Abkühlung zur Folge haben können.
In den letzten Jahrzehnten gelangten wegen verstärkter Luftreinhaltung aber immer weniger Aerosole in die Luft, so dass die Kühlwirkung abnimmt. Gemäss britischen und amerikanischen Forschern ist ein wesentlicher Teil der Erwärmung seit dem Jahr 2000, nämlich 0,4 Grad, auf die Abnahme der Aerosolkonzentration zurückzuführen. Der beschriebene Effekt in der Schifffahrt ist dabei nur ein Teil der Wirkung.
Es gibt weitere Faktoren, welche die Erwärmung der letzten zwei Jahre mutmasslich verstärkt haben: Wir befanden uns bis etwa Mitte dieses Jahres in einer El-Niño-Phase. Bei El Niño handelt es sich um ein Wetterphänomen über dem tropischen Pazifik, das mit veränderten Meeresströmungen und Winden einhergeht und jeweils weltweit zu einer vorübergehenden Temperaturerhöhung von 0,3 bis 0,5 Grad führt.
Zudem ist 2022 im Südpazifik der unterseeische Vulkan Hunga Tonga ausgebrochen, der fast 150 Millionen Tonnen Wasser in die Stratosphäre geschleudert hat. Wasserdampf in der Atmosphäre aber treibt die Temperaturen hoch. Gemäss wissenschaftlichen Schätzungen führt dieser Vulkanausbruch während drei bis fünf Jahren zu einer Erhöhung der Globaltemperatur um immerhin 0,05 Grad. Man merke: Nicht immer sind menschengemachte Klimagase schuld an der Erwärmung.
Alex Reichmuth ist Redaktor beim Nebelspalter.
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