Wenn Harley-Davidson ruft, dann kommen Zehntausende. Und wenn Harley-Davidson zum 120. Geburtstag nach Budapest ruft, dann kommen über 100 000 Töffbegeisterte aus aller Welt. Wer es sich zeitlich und geografisch erlauben konnte, reiste im vergangenen Juni natürlich auf der eigenen Harley an, die er oder sie während Jahren oder Jahrzehnten liebevoll individualisiert hat. Die alte Weisheit, wonach auf der ganzen Welt keine zwei ältere Harleys gleich sind, stellte auch hier ihre Gültigkeit unter Beweis. Es gab aber auch zahlreiche Teilnehmer aus anderen Weltgegenden, die per Flugzeug in die ungarische Hauptstadt kamen, um das rauschendste aller Harley-Feste zu feiern, in den Schatten gestellt höchstens von den Hauptfeierlichkeiten am Sitz des Unternehmens in Milwaukee, Wisconsin.

In der Ankunftshalle des Flughafens präsentiert sich ein Meer von orangenen Harley-Fahnen.Die Metropole an der Donau erweist sich als würdiger Austragungsort. Bereits bei der Ankunft am Flughafen lassen die ungarischen Gastgeber keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass sie sich mindestens ebenso über den Anlass freuen wie die von nah und fern angereiste Harley-Davidson-Gemeinschaft. Die Ankunftshalle ist in ein Meer von orangefarbenen Flaggen mit Harley-Emblem und Jubiläumsschriftzug getaucht. Ein Motiv, dass sich fortsetzt in grossen Teilen der Stadt.

Wir nehmen unsere Road Glide – in Baja Orange – in Empfang, die uns während des Festivals begleitet. Sie erweckt überall neugieriges Interesse. Aber unter hartgesottenen Harley-Fans auf Maschinen, die über Jahrzehnte die Patina ihres Besitzers angesetzt haben, kommt man sich auf so einem neuen Modell dennoch ein wenig wie ein Novize vor. Eine achtzigjährige Frau auf einem dreirädrigen Trike älteren Baujahres erzählt uns, dass sie so gut wie kein europäisches Harley-Happening verpasse.

Obwohl ein solcher Motorrad-Grossanlass sicherlich gewisse Komplikationen in Sachen Verkehrsführung mit sich bringt, gibt es keine bösen Worte oder wütenden Blicke. Im Gegenteil: Ganz Budapest, vom Kind bis zum Greis, scheint sich zu freuen über die Gäste. Rasch wird klar, dass hier nicht einfach der Geburtstag einer Motorradmarke gewürdigt wird, sondern die Harley als eine Art Ur-Motorrad und das mit ihr verbundene Freiheitsversprechen auf zwei Rädern.

Das eigentliche Festgelände befindet sich im Budapester Puskás-Aréna-Park rund um Ungarns grösstes Fussballstadion: Stände mit Ess- und Trinkgelegenheiten, Biker-Shops und Läden für Accessoires und Bekleidung bestimmen das Bild. Abends vibriert das Areal zu Rockmusik. Klingende Namen wie Airbourne und Wolfmother sind aus Australien gekommen, Larkin Poe aus den USA, The Picture Books aus Deutschland sowie The Darkness und Glenn Hughes aus Grossbritannien – und natürlich die ungarischen Bands Edda Müvek und Pokolgép. Die Töffbegeisterung verbindet sich mit den rockigen Klängen zu einem ausgelassenen, fröhlichen Volksfest.

 

Vom Stargoalie zum Harley-Dealer

Bei einem Abendessen erblicken wir in der Festivalmenge Christian Abbiati, den legendären früheren Torwart des AC Milan. Zwischen 1999 und 2016 stand er 380 Mal für die Mailänder im Goal. Wie sich herausstellt, ist der ehemalige Fussballer ein sehr engagiertes Mitglied der italienischen Harley-Szene. In Mailand betreibt er unter dem Namen Gate32 ein eigenes Harley-Davidson-Geschäft. Wie alle Besucher, mit denen wir gesprochen haben, ist Abbiati des Lobes voll für die gastgeberische Leistung der Ungarn. Er habe niemals mit so viel Gastfreundschaft gerechnet.

Wie bei solchen Zusammenkünften üblich, gibt es eine grosse Motorradparade. In diesem Fall rollen über 7000 Maschinen selbstbewusst durch die Budapester Innenstadt. Angeführt wird der Tross von Karen und Bill Davidson, zwei Urenkeln des Firmengründers William A. Davidson. Wir wechseln ein paar Worte mit Karen Davidson. Mit Tränen der Rührung nimmt die freundliche Frau die zahlreichen Dankesbekundungen dafür entgegen, was das Werk ihrer Familie für die Motorradwelt bedeutet.

Den letzten Tag des Ungarnbesuchs wollen wir der stillen, besinnlichen Seite des Harley-Fahrens widmen. Wir entschliessen uns zu einer kleinen Ausfahrt ins Umland von Budapest. Es ist nun einmal so, dass sich die landschaftlichen Schönheiten wohl auf keine andere Weise besser erkunden lassen als auf einer Harley-Davidson. Der tiefe Bass des Motorensounds und die Vibrationen der Maschine auf dem Asphalt verstärken die optische Wirkung der Umgebung; eine solche Ausfahrt ist ein 360-Grad-Erlebnis für alle Sinne.

Als Ausflugsziel haben wir uns einen kleinen See ausgesucht. Unterwegs halten wir für eine kurze Pause in einem rustikalen Gasthof. Auch hier zieht die Harley-Davidson Road Glide alle Blicke auf sich. Ein älterer Ungare mit einem langen weissen Bart setzt sich zu uns. In gut verständlichem Deutsch – der Mann hat einmal in Deutschland gearbeitet – erkundigt er sich nach unserer Herkunft und nach dem schönen Motorrad. Zu dem See, sagt er, sollten wir lieber nicht fahren. Da werde der Töff womöglich gestohlen.

Und so machen wir uns auf die Rückfahrt nach Budapest und auf den Rückflug in die Schweiz – um viele Begegnungen und um die Gewissheit reicher, dass man mit einer Harley-Davidson fast überall auf der Welt unter Freunden ist oder solche findet. Ein ähnliches Erlebnis versprechen, wenn auch auf etwas kleinerer Skala, die «Swiss Harley Days» im kommenden Sommer im Tessin.

Die «Swiss Harley Days» 2024 finden vom 5. bis 7. Juli zum siebten Mal in Lugano statt.