Als Alexander von Humboldt um 1800 die schlammigen Zuflüsse am Orinoco erforschte, lernte er den sagenhaften Zitteraal persönlich kennen. Schon hundert Jahre vorher war die Kunde nach Europa gelangt, in den warmen Flüssen Südamerikas lebe der temblador, der «Zitterer», ein bis zu zwei Meter langer, zwanzig Kilogramm schwerer, aalförmiger Fisch, der jedes fremde Lebewesen in seiner Umgebung mit elektrischen Blitzschlägen betäube und oft auch töte.

Humboldt wollte den elektrischen Fisch genauer untersuchen und brauchte lebende Exemplare. Obwohl er für jeden gesunden Zitteraal zwei Piaster versprach, war die Furcht der Einheimischen vor den Stromstössen offenbar so gross, dass während vieler Tage kein einziges Tier im Camp eintraf. Darauf kümmerte sich Humboldt selber um die Jagd. Er liess sich von den Indianern das «Fischen mit Pferden» organisieren.

Dazu holten die Einheimischen aus der Steppe um die dreissig ungezähmte Pferde und jagten sie ins Wasser. Humboldt berichtet: «Der ungewohnte Lärm vom Stampfen der Rosse treibt die Fische aus dem Schlamm hervor und reizt sie zu Angriffen. Die Indianer stellen sich mit langen Rohrstäben um den Teich und scheuchen mit wildem Geschrei die Pferde zurück, wenn sie aufs Ufer flüchten wollen. Die Zitteraale verteidigen sich durch wiederholte Schläge, und mehrere Pferde erliegen den unsichtbaren Streichen. Allmählich aber nimmt die Hitze des Kampfes ab und die erschöpften Aale schwimmen scheu ans Ufer des Teiches.» Mit kleinen, an langen Stricken befestigten Wurfspeeren holten nun die Indianer die Zitteraale aufs Trockene, dabei fünf grosse Exemplare.

Bis zu 860 Volt

Heute weiss man, wie der Zitteraal funktioniert und was dieses biologische Kraftwerk zu leisten vermag. Der Fisch trägt beiderseits der Wirbelsäule der Körperlänge entlang stromerzeugende Organe. Elektrisches Grundelement sind umgewandelte Muskelzellen, die als längliche Zellen schichtweise übereinanderliegen. Jeder dieser Elektrozyten ist über eine Schaltstelle an eine Nervenfaser gekoppelt und so mit einem Schrittmacherzentrum im Hirn verbunden. Kommt aus dem Schrittmacher ein elektrisches Signal, strömen Natriumionen durch die Zellmembran.

Dadurch entsteht eine Potenzialdifferenz von 150 Millivolt. Indem nun über 5000 Elektrozyten hintereinandergeschaltet sind, addieren sich die Spannungsdifferenzen zur enormen Gesamtspannung von bis zu 860 Volt, was Ströme von mehreren Ampere fliessen lässt. Wie raffiniert die Natur arbeitet, zeigt ein Detail: Damit alle Elektrozyten, seien sie nun nahe beim Hirn oder ganz am Schwanzende, den vom Schrittmacherzentrum gesendeten Befehl zum Losschlagen exakt im gleichen Moment erhalten, wird der Laufzeitunterschied der Erregungsimpulse durch feinabgestufte Längen- und Durchmesseränderungen im Verbindungsnerv kompensiert. So können die Funken der halben Million Minibatterien zum gewaltigen Blitz synchronisiert werden.

Der Zitteraal braucht seine elektrische Kraft zum Lähmen der Beute oder als Verteidigung gegen Feinde. Zitteraale können jedoch auch elektrisch sehen: Mit Spannungsimpulsen von nur etwa einem Volt, dies aber viele hundert Mal pro Sekunde, baut der Fisch ein elektrisches Dipolfeld um seinen Körper. Jeder Gegenstand in der Nähe stört nun das Feld, und der Fisch sieht fremde Objekte als «elektrischen Schatten». So kann sich der Zitteraal auch im trüben, dunklen Urwaldfluss orientieren und unterscheiden, ob das Objekt etwa ein ungeniessbarer Stein oder aber ein Fischchen ist. Und wenig verwunderlich, dienen die elektrischen Signale auch der Kommunikation zwischen Männchen und Weibchen.

Herbert Cerutti ist Autor und Tierexperte.