Beim Griff in die Wortschatzkiste fanden Journalisten in den 1990er Jahren das Wort Ikone. Es stammt vom russischen ikona für (Heiligen-)Bild und vom griechischen eikóna bzw. eikón für Bild im Allgemeinen und beschreibt «Kultbilder der byzantinisch-orthodoxen Kirche». Der Begriff wurde gekapert und wechselte aus der Welt des Sakralen in die Welt des Profanen. Eine Umwidmung, die Journalisten sprachlich leicht bewältigen: Man nehme ein Substantiv und verbinde es mit dem Wort Ikone. Nun hatte die Ikone erreicht, wofür der Duden heute zwei Bedeutungen nennt: 1. «Person, deren (Kleidungs-)Stil von vielen als nachahmenswert empfunden wird», sowie 2. «Gegenstand, der für einen bestimmten Stil gilt und als erstrebenswert oder vorbildhaft empfunden wird».

 

Noch mehr Worthülsenfrüchte?

Zuerst entdeckten Hochglanzmagazine die Stil-Ikone. Anfangs beschrieb sie zumeist Frauen, die stilbildend im 20. Jahrhundert wirkten wie Coco Chanel, Marlene Dietrich oder Jackie Kennedy. Im Sturm medialen Hochjubelns wurden jedoch unendlich viele eine Stil-Ikone (und jeder Verpackungsgestalter ein Design-Papst). Zur Stil-Ikone kann quasi jede und jeder aufsteigen, was Nichtse wie Paris Hilton, Victoria Beckham oder Kim Kardashian bewiesen. Neben der Stil- und Mode-Ikone erfand man die Pop-Ikone (Madonna), die Schlager-Ikone (Helene Fischer), die 68er-Ikone (Rainer Langhans) und natürlich auch die Porno-Ikone Jenna Jameson (w), Rocco Siffredi (m); unlängst ist die Sumoringer-Ikone Akebono Taro gestorben. BASF ist eine deutsche Wirtschafts-Ikone. Der Kelly Bag eine Handtaschen-Ikone und der Porsche 911er eine Design-Ikone. Noch mehr Worthülsenfrüchte? Beauty-Ikone! Instagram-Ikone! TV-Ikone!

Die Nazi-Ikone aber – undenkbar! Einzig Horst Wessel und der Rennfahrer Bernd Rosemeyer kamen kurz in den Medien zu der Ehre, aber nicht Leni Riefenstahl. Jack the Ripper, gewiss die Serienmörder-Ikone, wurde nie als solche bezeichnet, und Kaiser Nero auch nie Pyromanen-Ikone genannt. Nur Stil-Ikonen gibt’s wie Sand am Meer. Dennoch: Weil alles statistisch erfasst wird, meldet die Gesellschaft für deutsche Sprache im Bereich «Quantitative Linguistik», dass der Eintrag «Stil-Ikone» Position 60 324 in der «Rangliste der Häufigkeitsverteilung» belegt. Das ist doch beruhigend.