Mark Twain bereiste einmal Deutschland, führte darüber Tagebuch – und machte den Fehler, deutsche Tageszeitungen zu lesen. Seine Kritik war vernichtend. Es herrsche gähnende Langeweile, man möge es beschaulich, hin und wieder etwas hochgestochen, und der Gipfel der Auflockerung sei eine elaborierte Buchkritik. Ansonsten lese man eine Kinderhandvoll Telegramme. «Eine deutsche Tageszeitung ist die langweiligste und traurigste und ödeste Erfindung der Menschheit», wusste Mark Twain damals schon.

Die Presse muss der Stachel im Fleisch der Mächtigen sein. Sonst ist sie belanglos. Inzwischen ist sie mehrheitlich der Stachel der Mächtigen geworden, um die Untergebenen zu quälen. Diese mussten zuletzt viel ertragen: Artikel, die «mehr Diktatur» empfehlen, Vergleiche von Corona-Kritikern mit Blinddärmen, die Verunglimpfung Ungeimpfter als Pandemietreiber, also gefährliche Omamörder, die es zu meiden und aus dem gesellschaftlichen Leben auszuschliessen gilt. Volksverhetzung im Sinne der staatlichen Agenda gegen Ungeimpfte oder Märchenerzählungen über rechtsradikale Deportationspläne («Wannsee 2.0») sind heutzutage preiswürdiger Journalismus. Wenn man sich in der Gruppe stark fühlt, gibt es kaum Hemmungen. Der Mainstream als publizistische Clan-Kriminalität.

 

Wie es der Zufall will

Umgekehrt hingegen ist die Haut dünn. Schon blosse Kritik am Staat auf Twitter kann zu einem geheimdienstlichen Beobachtungsfall werden. Kritiker sind potenzielle Verfassungsfeinde. Alternative Medien gefährliche Delegitimierer des Staates. Bald auch Terroristen? Landesverräter? Wehrkraftzersetzer? Erich Kästner notierte, dass der Widerstand beginnen sollte, bevor er Landesverrat genannt wird. Dann ist es zu spät.

Das Compact-Magazin von Jürgen Elsässer ist ein widerständiges, souveränistisches Presseorgan, welches nun in die Schusslinie der Politik geraten ist, wie das bei freien Medien auf vielfältige Weise bereits länger der Fall ist. Die bundesdeutsche Innenministerin Nancy Faeser verbot das Magazin vor kurzem unter Verweis auf das Vereinsrecht und die angeblich verfassungsfeindliche Ausrichtung. Das ist nichts anderes als eine pauschale Massenzensur von Artikeln, die zuvor rechtlich nicht zu beanstanden waren. Wie es der Zufall will: All das wenige Monate vor wichtigen Landtagswahlen, die für die Regierungskoalition zum Fiasko werden dürften. In einem Eilverfahren kippte das Bundesverwaltungsgericht nun das Verbot und bemängelte unter anderem dessen mögliche Unverhältnismässigkeit. Erst ein Hauptverfahren, das Jahre dauern kann, wird endgültig Klarheit bringen.

«Eine deutsche Tageszeitung ist die langweiligste und traurigste und ödeste Erfindung der Menschheit.»

Gleichwohl ist das Gericht der Auffassung, in Artikeln des Compact-Magazins eine kämpferisch-aggressive Haltung gegen Verfassungsprinzipien erkennen zu können. Welche Verfassungsprinzipien oder tragenden Säulen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sollen das sein? Können geschriebene Worte Regierungen und Systeme stürzen?

Wie würde das genau ablaufen, wenn ein Medienunternehmen den Staat aktiv bekämpfen will? Ertränkt man das Grundgesetz in Druckerschwärze, oder wirft man mit der Tastatur nach Porträts der Bundespräsidenten? Für Umstürze braucht es Menschen und Handlungen, Strategien und Werkzeuge. Alles, was Medien und Worte können, ist, das Meinungsklima mitzugestalten und mit neuen Perspektiven zu bereichern. Dies dürfen und sollen die Medien: im Rahmen der Strafgesetze. Zu Gewalt und Hass aufrufen, beleidigen oder den Holocaust leugnen dürfen sie nicht. Darüber hinaus aber eine ganze Menge und das auch in scharfer, bissiger, höhnischer Form. Doch selbst dann: Ein verändertes Meinungsklima macht noch keinen neuen politischen Sommer. Wer Worte freilich zu Handlungen umetikettieren will, wie es die woke Ideologie gerne tut, die schon in der Verwendung falscher Pronomina eine Mikroaggression sieht, für den gibt es nur noch Handlungen und damit Verschwörer, Konterrevolutionäre und Saboteure – überall.

Wenn sich diese Sicht durchsetzt, ist kritischer Journalismus tot. Denn es ist eben auch Teil der Kontrollfunktion der «vierten Gewalt», die stets nur eine gesellschaftliche Kraft ist, Politik zu delegitimieren. Kritische Journalisten sind die Termiten im politischen Leib. Sie leben von morschen Stellen. Der kritische Journalismus hat eine Zersetzungsfunktion. Er soll auf fehlende Legitimität, illegales oder korruptes Verhalten hindeuten, wo er nur kann. Dies ist nicht staatsgefährdend, es ist demokratieschützend. Denn nur durch die Aufdeckungsarbeit können bestehende Fehler behoben werden. Kritischer Journalismus gefährdet also allenfalls Machtansprüche von Politikern, die sich auf frischer Tat ertappt fühlen. Echter Journalismus stösst um – frei nach Nietzsche –, was ohnehin fallen soll.

Das ist auch notwendig. Nancy Faeser versteht unter Staats- oder Verfassungsschutz den Schutz der gegenwärtigen politischen Klasse. So missbraucht die Regierung die Formel von der «wehrhaften Demokratie» und verkehrt sie in ihr Gegenteil.

 

Wer sich auf das Grundrecht beruft

Spätestens seit Corona konnte jeder sehen, dass Kritiker selbst mit Aussagen, welche auf die Verfassung gestützt waren, ja sogar Demokratie und Menschenwürde explizit hochhielten und einforderten, als Verfassungsfeinde durchgehen konnten. Selbst das Spazierengehen mit dem Grundgesetz wurde während Corona gewaltsam von der Polizei unterbunden. Corona-Kritiker und Querdenker wurden Beobachtungsfälle des Verfassungsschutzes.

Wofür? Weil sie auf das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit hingewiesen haben? Oder auf den Nürnberger Kodex, der experimentelle Menschenversuche verbietet, die ein klarer Verstoss gegen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes sind? Oder weil sie auf Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit bestanden, auch in Pandemienotlagen, und diese Forderung auf Versammlungen kundtaten, was ebenfalls durch das Grundgesetz garantiert ist? Es ist eben, wie es immer ist und war: Wer sich dem Machthaber diametral entgegensetzt, lebt gefährlich, egal, ob dies vom Grundgesetz gedeckt ist oder nicht.

Kämpferischer Journalismus für die Verfassung ist Teil des Widerstandsrechts in Art. 21 des Grundgesetzes. Die unmissverständliche Kritik am Verfall der Demokratie will verhindern, dass eine demokratische Ordnung in den Totalitarismus abgleitet. Totalitäre Systeme verbieten übrigens unliebsame Presseorgane. Ist das Eintreten für Regime- und Politikwechsel dann nicht oberste Bürgerpflicht? Wer ist hier der Verfassungsfeind?

 

Milosz Matuschek ist Jurist, Publizist und Herausgeber von www.freischwebende-intelligenz.org. Zuletzt veröffentlichte er die Kolumnensammlung «Stromaufwärts zur Quelle» (BoD, 2023), mit der er sich derzeit auf Lesereise befindet (tinyurl.com/Lesung-Matuschek).