Aufmerksame Leserinnen und Leser wissen es: Ihr Kolumnist ist nicht der Meinung, Sam Bankman-Fried, Gründer und ehemaliger Chef der Kryptobörse FTX, gehöre in eine Zelle gesperrt und der Schlüssel weggeworfen. «MvH denkt nicht, Bankman-Fried sei unschuldig. Doch den Betrug des Säkulums hat er weder geplant noch ausgeführt», schrieb ich vergangenen Oktober. Inzwischen wurde das Urteil über den heute 32-Jährigen gefällt – schuldig des Betrugs und der Geldwäsche, «die Geschworenen kamen nach nur wenigen Stunden zu dieser Einschätzung», Financial Times. Jüngst verkündete der zuständige Richter das Strafmass: 25 Jahre Gefängnis.

SBF, wie man ihn nennt, hat Glück gehabt, und Pech. Die Höchststrafe für seine Verbrechen – er stahl Kundinnen und Kunden acht Milliarden Dollar laut den Geschworenen und dem Richter – wäre 110 Jahre Haft gewesen (die Staatsanwälte hatten 40 bis 50 Jahre gefordert; seine Verteidiger schlugen sechseinhalb Jahre vor). Doch verglichen mit anderen White-Collar-Fällen, Wirtschaftskriminellen, wurde er eher hart bestraft – Michael Milken, Junk-Bond-König der Wall Street, bekam 1990 eine Strafe von zehn Jahren wegen Wertschriftenbetrugs (er verbrachte bloss zwei Jahre im Gefängnis). Bernard «Bernie» Madoff wurde 2009 zu 150 Jahren verurteilt, weil er Anlegervermögen in Milliardenhöhe im grössten Schneeballsystem der Geschichte vernichtete (er starb zwölf Jahre später in Haft, mit 82). Und Elizabeth Holmes, Gründerin des Diagnoseunternehmens Theranos, befindet sich zurzeit im Vollzug; die 41-Jährige erhielt 2022 wegen Täuschung von Investoren elf Jahre Freiheitsentzug.

«Mein nutzvolles Leben ist wahrscheinlich vorbei», sagte der 32-Jährige nach dem Urteil.

8 000 000 000 Dollar – so viel fehlte SBF plötzlich, er hatte Mittel von Kunden seiner Firma, dank der man in Kryptowährungen investieren konnte, für eigene Geschäfte genutzt. Einige davon liessen sich kaum als Geschäfte beschreiben, es waren eher Wetten auf Jungunternehmen, die er abgeschlossen hatte. So weit jedenfalls der Stand Ende 2022, als seine Kryptobörse Pleite machte (nachdem zu viele Anleger ihr Geld zurückforderten).

Inzwischen allerdings trat ein, was der Verurteilte die längste Zeit beteuert hatte: Zahlreiche seiner Geschäfte waren so schlecht nicht gewesen, er hatte Wetten gewonnen. Weshalb das Acht-Milliarden-Loch mittlerweile gefüllt ist mit frischem Geld – FTX kann ihre Kunden make whole, wie man in Amerika sagt, ihnen die Einlagen zurückzahlen (dabei kam Bankman-Fried entgegen, dass Kryptowährungen nach dem «Winter», der von Mitte 2022 bis Ende 2023 dauerte, im Augenblick neue Höchstpreise erreichen). Verkürzt: Der Schaden ist wieder gutgemacht, es dürfte keine Opfer geben, die wegen seines Betrugs dauerhafte Verluste erleiden.

Worauf Staatsanwälte entgegneten, das nütze Kunden wenig, die damals, als FTX kein Geld zurückzahlen konnte, in finanzielle Schwulitäten gerieten (und der Richter stimmte dem zu). Stellvertretend wird der Kunde Sunil Kavuri wiedergegeben: Der Konkurs habe seine Zwei-Millionen-Anlage vernichtet, damit habe er ein Haus kaufen und die Ausbildung seiner Kinder zahlen wollen. Mein Mitgefühl mit Mister Kavuri hält sich in Grenzen – so einer ist kein Anleger, sondern ein Zocker. Er hat nicht investiert, sondern gespielt wie im Casino, und verloren (vorübergehend, jetzt bekommt er sein Geld retour; Dollar-Einlage Stand November 2022). Ich bin, nur zum Sagen, auch in Kryptos investiert, mit zirka einem Prozent meines Vermögens – heute hätte ich natürlich gern mehr in the game, vor einem Jahr lieber weniger drin gehabt. Für Sam Bankman-Fried ändert das kaum was. Denn die Staatsanwälte sowie der Richter meinten den Esel – und schlugen den Sack. Der Esel sind Kryptowährungen, gegen sie kämpfen Behörden weltweit, weil sie schwer zu beaufsichtigen sind. Der Sack ist SBF, und er sagte nach dem Urteil: «Mein nutzvolles Leben ist wahrscheinlich vorbei.» Ich hoffe dennoch, er kommt aus dem Knast, bevor er 57 ist, lange vorher.

Seit vor wenigen Monaten einfachere Anlagemöglichkeiten zugelassen werden mussten, sind mehr als siebzig Milliarden Dollar in sogenannte ETFs auf Bitcoin et cetera geflossen. Dagegen können auch übereifrige Beamte nichts tun.