In der Politik gibt es leider nur selten etwas zu lachen, das gilt auch für die deutsche Politik. Aber der 25. September war ein lustiger Tag. In der Berliner Akademie der Wissenschaften feierten CDU und CSU nachträglich den 70. Geburtstag der Altkanzlerin Angela Merkel, er lag schon einige Wochen zurück. Als Festredner hatte Merkel sich den Kunsthistoriker Horst Bredekamp gewünscht. Der Vortrag dauerte eine Stunde, Zuhörer beschrieben ihn anschliessend als recht fordernd. Friedrich Merz übernahm die Gratulation, er ist jetzt wie einst Merkel Parteivorsitzender und sitzt demnächst vielleicht auch im Bundeskanzleramt. Bei ihrem Dank wünschte Merkel dem «lieben Friedrich» Erfolg bei seiner Kanzlerkandidatur.

Kameras zeigten dabei Merz, der schaute wie ein Schüler, der auf die Note in einer wichtigen Klassenarbeit wartet. Neben ihm sass sein Rivale und Partner, der CSU-Chef Markus Söder, dem es nicht ganz gelang, sein deutschlandweit berühmtes süffisantes Lächeln zu unterdrücken.

 

Zeit für einen Haken

Draussen interviewte ein Reporter der «Heute-Show» des ZDF die Parteiprominenz. Fast alle fingen an irgendeiner Stelle des Interviews an, zu kichern. Paul Ziemiak, in Merkels Epoche zeitweise CDU-Generalsekretär, von Merz ausgewechselt, sagte mit spitzbübischem Grinsen: «Es war richtig nett.» Die frühere Ministerin Julia Klöckner sagte, ebenso heiter wie vieldeutig: «Nächstenliebe heisst auch, aushalten zu können.» Auf Welt TV amüsierte sich mein Welt-Kollege Robin Alexander, einer der besten Kenner des Berliner Politikbetriebs, ausserdem sagte er: «Robert Habeck» – also der Kanzlerkandidat der Grünen – «zieht durch Berlin und erzählt jedem, er ist der eigentliche Merkel-Erbe.»

Das stimmt ja auch irgendwie.

Was war so lustig? Das Irreale der Situation. Alle spielten Theater. Merkel hat Merz 2002 als Fraktionschef gestürzt und politisch ins Abseits manövriert, wie vorher schon Helmut Kohl, bald danach begann die Verhabeckung der CDU. Nach Merkels Abschied aber kämpfte sich Merz trotz fortgeschrittenen Alters gegen das immer noch starke Merkel-Lager in der Partei zurück an die Spitze. Es war ein beinharter Fight über mehrere Runden. Jetzt führt er die CDU zumindest in etwa wieder dahin, wo sie politisch vor Merkel stand, die Meinungsumfragen sprechen für diese Strategie. Das alles ist keine ideale Basis für eine Freundschaft zwischen ihm und ihr.

Merz’ Interesse an einer Versöhnungsparty, und wirke sie noch so verlogen, war offenkundig. Es ging da um die Einheit seiner Partei, die er braucht, auch um den Versuch, Kontinuität zu konstruieren, und sei es auf Teufel komm raus. Aber was war Merkels Motiv? Da ist man, wie oft bei ihr, auf Spekulationen angewiesen. Sie war in den letzten Jahren so sehr auf Distanz zur CDU gegangen, die immerhin ihr Karrierewerkzeug gewesen ist, dass es auf das nichtgrüne, nichtlinke Publikum auf geradezu plakative Weise illoyal wirkte. Sie schlug den Ehrenvorsitz aus, verliess die Konrad-Adenauer-Stiftung, mied Parteitage und Wahlkämpfe.

Wer möchte schon gern als Charakterschwein dastehen? Es war für Merkel wieder einmal Zeit, einen Haken zu schlagen, wie so oft bei ihr. Die entscheidende Frage bei dieser Szene lautet: Ist das, was Merz und Merkel da tun, verwerflich? Unaufrichtig ist es ja zweifellos.

 

Riesige Dummheit

Ich glaube, das, was hier geschieht, ist ganz einfach Politik, und das meine ich nicht abwertend. In der Politik geht es darum, Ziele zu erreichen, im Idealfall vernünftige und legitime Ziele, persönlicher Ehrgeiz ist dabei nicht verboten. Die Wege führen nicht immer geradeaus, Partner und Gegner kann man sich nicht immer aussuchen. Wer sich nicht verstellen kann, wer nicht zur Selbstüberwindung oder sogar Selbstverleugnung fähig ist, dazu, den richtigen Moment zum Rückzug oder zum Angriff zu erkennen, der oder die wird voraussichtlich scheitern. Politik sollte einen moralischen Kompass besitzen. Aber sie muss nicht bei jedem einzelnen Schritt in die richtige Richtung höchsten moralischen Ansprüchen genügen.

Robert Habeck zieht durch Berlin und erzählt jedem, er ist der eigentliche Merkel-Erbe.

Als die deutsche Aussenministerin vor einiger Zeit dem chinesischen Präsidenten ins Gesicht sagte, dass sie ihn für einen Diktator hält, sprach sie ehrlich aus, was sie denkt, mehr noch, sie sagte die Wahrheit. Aber sie beging damit eine riesige Dummheit. Sie schadete Deutschland, weil sie zur Selbstüberwindung nicht in der Lage war. Letztlich handelte sie aus Eitelkeit. Deshalb wäre es wünschenswert, dass jemand wie Friedrich Merz nächster deutscher Bundeskanzler wird und nicht jemand wie Annalena Baerbock.

 

Harald Martenstein zählt zu den bekanntesten Kolumnisten Deutschlands. Demnächst erscheint von ihm: Es wird Nacht, Señorita. C. Bertelsmann, Fr. 33.90.