Grüne Gentechnologie hatte es in der Schweiz lange schwer. 2005 führte eine Volksinitiative zu einem Moratorium für die Verwendung gentechnologisch veränderter Organismen (GVO) in der Landwirtschaft. Es war befristet, wurde mehrmals verlängert, zuletzt bis 2025. Jetzt könnten neue Spielräume aufgehen mit einem Spezialgesetz. Was bedeuten die modernen Technologien für die Landwirtschaft, das Züchten, die Ertragskraft, die ökologischen Wirkungen, die Sicherung der Nahrungsproduktion? Wir fragen den Agrarwissenschaftler Achim Walter nach der Zukunft der Landwirtschaft, auch global gesehen. Er ist Leiter des Instituts für Agrarwissenschaften der ETH Zürich und hält eine Professur für Kulturpflanzenwissenschaften. Wir treffen ihn zum Gespräch in seinem Büro im traditionsreichen Gebäude in Zürich.

Weltwoche: Herr Walter, die Landwirtschaft soll die Ernährung der Menschheit sicherstellen und dabei effizient, schonend und ökologisch produzieren. Geht das?

Achim Walter: Den richtigen Weg für die Landwirtschaft zu finden, ist eine grosse Herausforderung, die in unterschiedlichen Regionen der Welt unterschiedlich angegangen werden muss. Da gibt es keinen Königsweg, keine Wunderlösung, die Herausforderungen im globalen Süden sind andere als bei uns in der Schweiz oder in Mitteleuropa.

Weltwoche: In welcher Hinsicht?

Walter: Im globalen Süden leben viele Menschen in kleinbäuerlichen Strukturen, und diese muss man stärken, damit möglichst viele Nahrungsmittel dort produziert werden, wo die Bevölkerung auch stark wächst. Das kann auch den Druck mildern, dass so viele Menschen von dort nach Europa wollen.

Weltwoche: Wie gut macht es die Schweiz?

Walter: Da ist es angezeigt, die Landwirtschaft noch nachhaltiger zu gestalten, so dass auch wir bei uns möglichst viel selber produzieren können. Aber das ist ein ganz anderes Spiel als im globalen Süden. Dort sind über 50 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, bei uns noch 2 bis 3 Prozent.

Weltwoche: Was heisst denn «nachhaltiger»?

Walter: Weiter auf verbesserte technisierte Lösungen setzen, aber auch auf Lösungen, die näher an der Natur sind als die heutigen.

Weltwoche: Mehr in Richtung Bio?

Walter: Es gibt wirklich keinen Königsweg für die Landwirtschaft. Es braucht hochtechnologisierte Ansätze wie Gentechnologie oder neue Spritzmittel. Wir werden nie ganz ohne Pestizide leben können. Aber auch ökologische Ansätze sind voranzubringen, Artenmischungen, Fruchtfolgen zu verbessern. Wichtig ist die Vielfalt der Systeme. Wir verstehen immer besser, wie die Landwirtschaft in den unterschiedlichen Regionen und Ökosystemen die natürlichen Lebensgrundlagen beeinflusst.

Weltwoche: Aber Landwirtschaft ist doch nicht einfach lokal, es gibt ja Agrarmärkte.

Walter: Ja, ohne Vernetzung über hochentwickelte Agrarmärkte könnte man unsere Gesellschaften nicht aufrechterhalten. Weder in Wüstenregionen, wo die Bevölkerung sich nicht selbst ernähren kann und es Lieferungen von aussen braucht, noch in wohlhabenden Ländern, wo niemand zurückwill zu Obst und Gemüse ausschliesslich vom eigenen Feld. Das Rad der Zeit kann und will man nicht zurückdrehen.

Weltwoche: Können die Märkte die Hungerprobleme lösen?

Walter: Es gibt heute noch über 800 Millionen Menschen auf der Welt, die hungern. Die Situation hat sich in den vergangenen fünf bis zehn Jahren nicht verbessert, vor allem weil die Welt politisch unruhiger geworden ist. Die Verteilung funktioniert mangelhaft.

Weltwoche: Früher herrschte mehr Optimismus zur Ernährungslage.

Walter: In den 1970er und 1980er Jahren hatte sich die Welternährungssituation tatsächlich stark verbessert, auch durch die grüne Revolution in der Landwirtschaft. Aber damals waren nur etwa halb so viele Menschen auf der Erde wie heute. Die Anzahl Hungernder ist etwa gleich hoch geblieben. Das grosse Ziel der Uno, den Welthunger zu beseitigen, wurde bisher verfehlt.

Weltwoche: Es gab ja die lange Debatte um die These des Ökonomen und Pfarrers Robert Malthus, der um 1800 herum sagte, dass die Bevölkerung viel schneller wachse als die landwirtschaftliche Produktion und es deshalb irgendwann zur Nahrungsnot komme. Bisher geschah dies nicht. Aber könnte man doch einmal an die Limite gelangen?

Walter: Die Malthus-These, wonach die Bevölkerung zu schnell wächst für die Steigerung der Ernährungsproduktion, muss man geografisch differenziert betrachten. Bei uns in Mitteleuropa, in den wohlhabenden Regionen, haben wir es immer geschafft, die Produktion noch weiter zu steigern. Zudem hat sich die Bevölkerungsentwicklung verlangsamt. Im globalen Süden dagegen wächst die Bevölkerung noch stark, da ist es schwierig, bei der Nahrungsproduktion mitzuhalten.

Weltwoche: Grob gesagt: Der Norden ist fähig zur Überproduktion, um dem Süden zu helfen?

Walter: Einige Länder des Nordens sind dazu in der Lage, zuvorderst die USA, aber auch Länder im Osten Europas, die Ukraine oder Russland, die grosse Mengen produzieren können, sofern nicht Krieg und Politik Produktion und Export stören. Im Zug des Klimawandels werden auch Kanada und Regionen Sibiriens an Produktionspotenzial gewinnen. Aber ob der Welthandel mit diesen Produkten dem Süden wirklich so stark hilft, ist aus meiner Sicht fraglich.

Weltwoche: Weshalb?

Walter: Dieser Markt ist auf Hilfsstoffe wie Dünger und Pflanzenschutzmittel angewiesen. Ohne diese würde die derzeitige intensive Produktion in den USA, in Australien, Russland, der Ukraine und anderen Staaten mit grossen Ackerflächen nicht funktionieren. Diese Art von Landwirtschaft kann man aber nicht als nachhaltig einstufen.

Weltwoche: Weswegen?

Walter: Nehmen Sie die Zerstörung natürlicher Ressourcen etwa in Brasilien oder die übermässige Bewässerung in der Nähe des Aralsees. Durch diese Bewässerung von Weizen- und Baumwollfeldern ist der See heute weitgehend ausgetrocknet, mit grossen Konsequenzen für die Ökosysteme wie auch die Menschen dort, die von der Fischerei im Aralsee gelebt haben. Eine derart von künstlicher Bewässerung abhängige Landwirtschaft kann vielerorts nicht mehr lange so betrieben werden, das gilt auch für die USA.

Weltwoche: Weil das Wasser fehlt? Oder weil Schaden entsteht?

Walter: Wegen beidem. Einerseits sind die Wasservorkommen, die in den USA teilweise für intensive Feldbewässerung genutzt werden, Grundwasserreservoirs, die mit der Zeit zur Neige gehen. Andererseits leiden auch die Bodenstrukturen, die Böden versalzen, wenn übermässig bewässert wird, und es kommt auch zu Erosion.

Weltwoche: In einigen Ländern sieht man in der Entsalzung von Meerwasser eine mögliche Lösung.

Walter: Entsalzung kann für Länder mit unmittelbarem Meereszugang interessant sein. Sie ist heute aber sehr kostspielig und braucht viel Energie. So etwas können sich in nächster Zeit wohl nur sehr reiche Länder leisten, wie die Golfstaaten oder Saudi-Arabien, nicht die Staaten Afrikas, speziell Zentralafrikas, wo das Hungerproblem am gravierendsten ist.

Weltwoche: Wie sehen Sie es denn ganz pauschal betrachtet? Gefährdet die Landwirtschaft in der heutigen Art der Produktion grundsätzlich ihre Grundlage?

Walter: Landwirtschaft ist etwas, was die Menschheit auf ewige Zeiten betreiben muss. Sie ist unsere Lebensgrundlage, die unbedingt zu bewahren ist, Nahrungsmittel sind eine Existenzfrage. Innerhalb kurzer Zeit ist die Menschheit von vier auf über acht Milliarden angewachsen, und die Art und Weise, wie wir uns ernähren, verändert das Bild des Planeten dramatisch. Die Frage, wie sich die Landwirtschaft in den nächsten fünf bis zehn Jahren weiterentwickeln kann, ist eine zentrale Herausforderung für alle Länder der Erde.

Weltwoche: Kann man darauf vertrauen, dass man lernt und reagiert, wenn grosse Probleme auftreten?

Walter: Genau, da bin ich Optimist. Ich sehe nicht den Niedergang der Menschheit durch die Landwirtschaft. Landwirtschaftssysteme weiterzuentwickeln, ist meiner Ansicht nach eine tolle Aufgabe. Dabei muss darüber gestritten werden, welcher Ansatz je nach Region und politischem Umfeld der richtige ist.

Weltwoche: Die sogenannte grüne Revolution wurde und wird viel kritisiert wegen ihrer technischen Ausrichtung und des Einsatzes von Dünger und Hilfsstoffen.

Walter: Stimmt, man muss sich aber in die Zeit versetzen, in der sie entstanden ist, nach dem Zweiten Weltkrieg, als friedlichere Zeiten anbrachen und die Menschheit wachsen konnte. Es gab massive Hungerprobleme in vielen Staaten, allen voran in Mexiko, auch in asiatischen Ländern wie China. Die Verbesserung von Sorten und Anbautechniken war damals enorm wichtig, um rasch mehr Lebensmittel produzieren zu können. Und beim damaligen Stand des Wissens setzte man eben auch stark auf neue Pestizide, um Pflanzenkrankheiten in den Griff zu bekommen.

Weltwoche: Aus dieser Sicht ein Erfolgsmodell?

Walter: 1970 ging der Friedensnobelpreis an den Vorreiter dieser grünen Revolution, Norman Borlaug. Das wurde damals weithin als absolut gerechtfertigt angesehen.

Weltwoche: Sieht es heute anders aus?

Walter: Diese Massnahmen dann über viele Jahrzehnte weiterzuführen, hat uns die Probleme gebracht, die wir heute diskutieren: Dass ein übermässiger Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln die Lebensgrundlagen der Menschen und anderer Organismen, die im Ökosystem für uns wichtig sind, gefährdet.

Weltwoche: Ist die Biolandwirtschaft eine Alternative? Gewisse Probleme würden vermieden, aber Fachleute halten deren Produktivität für zu gering, um die Menschheit zu ernähren.

Walter: Die Biolandwirtschaft nahm ihren Ausgang in den 1920er Jahren, um kleinbäuerliche Strukturen zu erhalten. Auch Schweizer Pioniere waren massgeblich beteiligt, wichtiges Ziel war, die einheimische Bevölkerung selbst den Wert produzieren zu lassen und nicht abhängig zu werden von Grossindustrie, von Grosschemie.

Weltwoche: Das Ertragsniveau ist aber relativ niedrig.

Walter: Die Biolandwirtschaft hat viel geleistet, auch für die heutigen konventionellen Systeme. Sie hat die Bedeutung gesunder Fruchtfolgen aufgezeigt, des Tierwohls, auch der sozialen Aspekte in der Landwirtschaft. Aber ja, die Biolandwirtschaft kommt bei den grossen kalorienproduzierenden, ackerbaulichen Kulturpflanzen wie Weizen, Raps oder Kartoffeln nicht auf so hohe Erträge wie die konventionelle Landwirtschaft.

Weltwoche: Sie könnte also die Welt nicht ernähren?

Walter: Mit Blick auf die Welternährung gibt es Prognosemodelle, die besagen, dass diese auch mit Biolandwirtschaft erreichbar wäre, aber nur mit einem viel geringeren Anteil an Futtermitteln und damit der Fleischproduktion und des Konsums tierischer Lebensmittel, als wir dies im globalen Norden haben.

Weltwoche: Die Hälfte der Menschheit verdankt ihre Nahrung dem Kunstdünger, vor allem der Stickstoffsynthese. Ohne Chemie und Erdöl geht es nicht.

Walter: Ein grosser Teil des Kunstdüngers wird verwendet, um Tierfutter anzubauen, das zur Produktion von Fleisch und Milch dient. In Ländern mit stark industrialisierter Landwirtschaft wie den USA ist das einer der typischen Wege, auf dem aber relativ viel Energie, viele Kalorien verlorengehen. Der Einsatz von mineralischen Düngern muss sparsamer werden, nicht in hastigem Übergang, aber da kann wiederum die Technik viel helfen.

Weltwoche: Wie?

Walter: Überwachungen durch Satelliten, mit Drohnen oder Kameras an Maschinen können den Ernährungs- und Gesundheitszustand von Pflanzen messen, was genauere Dünger- und Pflanzenschutzmitteldosierungen ermöglicht. Man erkennt dank Fernerkundungstechniken Schadschwellen besser. Zudem automatisieren Unkrautroboter das Jäten. Diese Techniken werden sich durchsetzen, wo man sich das leisten kann.

Weltwoche: Arbeiten Sie selber daran?

Walter: Unsere Gruppe forscht in Techniken für die Präzisionslandwirtschaft, für sparsameren Hilfsmitteleinsatz sowie vor allem fürs Erkennen, welche Pflanzen bei Züchtungsarbeiten vielversprechend sind.

Weltwoche: Was heisst das?

Walter: Unsere Methoden sollen zum Beispiel quantifizieren, wie rasch Pflanzen den Boden bedecken oder wie sich Entwicklungsphasen zeitlich verteilen. Wir wollen beim Züchten erkennen, welche Pflanzen für den Anbau in bestimmten Gebieten mit erwarteten Klimaentwicklungen oder Wetterbedingungen besser zurechtkommen als Pflanzen, die zurzeit auf dem Markt sind.

Weltwoche: Was ist das Schwierige am Züchten?

Walter: Die Krux der Züchtung ist, dass man die natürliche Vielfalt verwendet, die vorliegt, dann die Pflanzen miteinander kreuzt und abwarten und schauen muss, was sich dabei ergeben hat. Im Ausgangsmaterial hat man meist bestimmte erwünschte Eigenschaften, etwa die Fähigkeit, mit dem Klima oder einem Bodentyp gut zurechtzukommen, hohe Ertragskraft, gute Qualität – und dann möchte man beispielsweise noch eine Krankheitsresistenz in diese Pflanze reinbringen.

Weltwoche: Dauert das lange?

Walter: Das geht vielfach hin und her. Man muss diese Pflanze in mehreren Zyklen wieder so weit rückkreuzen, dass diese Eigenschaft auch wirklich stabil und zuverlässig in der neuen Sorte drin ist. Das ist die grundlegende Arbeit der Züchter, die für Getreide etliche Jahre dauert, egal, ob in bio oder konventionell. Für Obstpflanzen dauert das noch wesentlich länger, weil diese mehrjährige Systeme sind, die nicht jedes Jahr wieder eine Generation von Nachkommen haben.

Weltwoche: Und Ihre Beobachtungstechniken machen das Züchten schneller?

Walter: Ja, da helfen die neuen optischen Beobachtungsmethoden, Schlagwort Phänotypisierung. Der Phänotyp ist die Ausprägung der Gestalt der Pflanze. Und das Aussehen können wir heute wesentlich genauer analysieren als früher, wir können daraus auch Prognosen erstellen etwa zur Pflanzenentwicklung in einem kalten Winter oder bei bestimmten Lichtverhältnissen. Mit Bildverarbeitung und Auswertung durch künstliche Intelligenz kommt man heute beim Züchten wirklich viel schneller voran.

Weltwoche: Jetzt gibt es ja gentechnologische Verfahren, mit denen man das Züchten noch mehr beschleunigen kann. Ist das vielversprechend?

Walter: Auf jeden Fall. Mit diesen Verfahren der sogenannten Genom-Editierung, wie die neuen Pflanzenzüchtungstechniken oft auch genannt werden, kann man gezielt in das Erbgut, das Genom von Pflanzen eingreifen. Man gewinnt Zeit, denn man weiss in manchen Fällen genau, an welcher Stelle des Genoms eine bestimmte Veränderung der Eigenschaften hervorgerufen wird. Solches würde auch natürlicherweise beim Züchten, beim Kreuzen von Pflanzen passieren, in biologischer oder konventioneller Landwirtschaft, wenn einzelne Genänderungen aus Mutationen spontan entstehen. Halt einfach per Zufall, zum Beispiel wenn sich die Gene der Vater- und der Mutterpflanze miteinander vereinigen.

Weltwoche: Ist denn Genom-Editierung Gentechnologie?

Walter: Die Genom-Editierung, englisch «Genome Editing» umfasst Verfahren, bei denen nur punktuell einzelne Gene aus der eigenen Art an bestimmten Stellen des Genoms eingebracht werden können. Oder bei denen bestimmte Gene, die im Organismus vorhanden sind, lahmgelegt werden oder aktiviert werden. Für die Methode Crispr-Cas wurde 2020 der Nobelpreis vergeben. Diese Verfahren, auch Genschere genannt, sind technisch etwas anderes, jedenfalls sehr stark weiterentwickelt als die Verfahren der Gentechnologie, die in den letzten dreissig Jahren intensiv diskutiert wurden.

Weltwoche: Wie kann man sich den Unterschied als Laie vorstellen?

Walter: Bei den früheren, seit 1996 angewendeten Verfahren hat man Gene irgendwo ins Genom des Organismus eingebracht, quasi blind. Man wusste nicht, an welcher Stelle die eingeschleusten Teile landeten, und musste dann in mühsamen Prozessen herausfinden, welche einzelnen Pflanzen ein neues Gen an einer sinnvollen Stelle eingeschleust erhalten hatten.

Weltwoche: Und geht das jetzt gezielter?

Walter: Ein anschaulicher Vergleich wäre, das Genom als Buch zu betrachten, als Gesetzestext. Mit der früheren Gentechnologie wurden neue Worte oder Buchstaben irgendwo hineingedrückt ins Buch, auch an unsinnigen Stellen, wurden vielleicht Passagen zerstört, die vorher Sinn ergaben. Nur in wenigen Fällen war das Ergebnis eine sinnvolle Änderung.

Weltwoche: Heute schreibt man präziser ins Buch?

Walter: Man kann dieses Buch ziemlich gut lesen und gezielt in einem Abschnitt eine Änderung einfügen. Deswegen auch der Begriff «editieren», wie bei einem Text. Aber klar, die Natur ist komplizierter als ein Buch. Die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Genomelementen, zwischen der DNA und anderen Bausteinen der Zelle, sind noch lange nicht so genau erforscht, dass man genau vorhersagen kann, wie dann der Organismus auf dem Feld funktioniert. Diese Überprüfung, das ist das tägliche Geschäft der Züchter und der Sortenprüfer, das kann man auch bei der Genom-Editierung niemandem abnehmen.

Weltwoche: Welche Erfolge stechen ins Auge?

Walter: Im Moment gibt es in Labors viele Erfolge, etwa bei der Kraut- und Knollenfäule der Kartoffel. Diese Krankheit ist seit vielen Jahrhunderten ein Problem, zumal sich die Krankheitserreger immer weiterentwickeln. Dann gibt es beim Feuerbrand bei Äpfeln Lichtblicke, und auch gegen Mehltau verspricht die Crispr-Cas-Technik viel. Aber das ist im Feldanbau im grossen Stil noch nicht getestet. In Europa darf man derzeit keine gentechnisch veränderten Organismen ausbringen. In den USA, in Brasilien, Südamerika ist das möglich.

Weltwoche: Warum diese grosse Skepsis gegenüber der grünen Gentechnik?

Walter: Die Menschen sehen den Nutzen nicht so direkt. Bei einem bäuerlichen Bevölkerungsanteil von 2 Prozent sind Pflanzenkrankheiten fürs breite Publikum ein sehr abstraktes Thema. In den Läden ist ja immer Essen verfügbar.

Weltwoche: In Medizin und Pharma ist Gentechnologie aber voll akzeptiert.

Walter: Die Menschen sehen eben, wie neue Medikamente Heilung versprechen. Ob diese mit transgenen Bakterien erzeugt werden oder nicht, wird nicht gefragt.

Weltwoche: Wie alt ist die Züchtung in der Geschichte der Menschheit?

Walter: Züchtung in der einfachsten Form gibt es, seit es Ackerbau gibt. Bei der Domestikation vor 10 000 Jahren haben die Menschen gezielt die Pflanzen ausgewählt mit den besten Eigenschaften, den grössten Samen, die am besten schmeckten, die sich lange lagern oder einfach ernten liessen. Gezieltes Kreuzen von Pflanzen kennt man etwa seit 1750. Das begann mit der Zuckerrübe.

Weltwoche: Warum gerade die Zuckerrübe?

Walter: Das kam in Schwung, als Europa mit Napoleon während der Kontinentalsperre abgeschnitten war von der Zufuhr von Zuckerrohr aus Kolonialgebieten. Man hatte entdeckt, dass in der Runkelrübe relativ viel Zucker steckte, und machte dann gezielte Kreuzungsprozesse. Die Zuckerrübe war der erste Meilenstein der gezielten Züchtung im heutigen Sinn.

Weltwoche: Weitere Meilensteine?

Walter: Meiner Ansicht nach die Züchtung beim Raps, der schon seit langem bei uns angebaut wird, aber lange viele Bitterstoffe aufwies. Erst in den vergangenen Jahrzehnten wurden diese durch Züchtung so weit eliminiert, dass Rapsöl heute ein physiologisch sehr hochwertiges Speiseöl ist, ein Konkurrent zum Olivenöl.

Weltwoche: Und weiter?

Walter: Gewaltig sind sicher die Errungenschaften der grünen Revolution. Bei Weizen, Mais und Reis gelang es, stabile, sichere Erträge zu erzielen. Seit den 1960er und 1970er Jahren stieg das Ertragsniveau enorm bei diesen drei Pflanzen, die jede zweite weltweit verbrauchte Kalorie bereitstellen.

Weltwoche: Quasi «3 R»: Rübe, Raps, Revolution?

Walter: Und daneben die vielen kleinen Meilensteine mit Blick auf Krankheitsvermeidung, Resistenzen, Anpassungen an unterschiedliche Böden und Klimabedingungen.

Weltwoche: Und läuft die Maschine weiter?

Walter: Sie muss weiterlaufen, weil die Schädlinge, die Krankheitserreger sich eben auch ständig verändern. Die haben sehr kurze Generationszeiten. Ein Bakterium kann sich in zwanzig Minuten vermehren und bei entsprechenden Genmutationen mit neuen Formen angreifen. Wir müssen die Lebensmittel schützen. Züchtungsprozesse müssen in alle Richtungen gehen.

Weltwoche: Wie sehen Sie die Aussichten, dass sich die moderne Gentechnologie durchsetzen kann?

Walter: Das Verständnis dafür wächst, dass diese Techniken gezielter sind als die alten. Ich denke, dass wir in den nächsten Jahren Krankheitsproblematiken bei Kulturpflanzen erleben werden, die ohne eine schnelle Weiterzüchtung der Sorten nicht zu bewältigen sind. Der Druck wird steigen, schnellere Verfahren einzusetzen, um Krankheitsresistenzen zu erzeugen. Wer weiss, vielleicht werden Medien dereinst ähnlich über Pflanzenkrankheiten berichten wie über menschliche Krankheiten.

Weltwoche: Ist die künstliche Erzeugung von Nahrungsmitteln ein vielsprechender Weg?

Walter: Es gibt Universitäten und Forschungszweige, die daran arbeiten, ackerbauliche Pflanzen in Gewächshäusern, in Klimakammern zu produzieren. Reis oder Weizen aus dem Gewächshaus mit Kunstlichtbedingungen – ich glaube, das ist ein Irrweg. Technisch geht das, möglich ist auch eine Verzehnfachung des Weizenertrags, aber der Energieeinsatz für Beleuchtung, Klimatisierung, Gebäudetechnik ist unglaublich hoch. Das mag interessant sein für Mond- oder Marsmissionen, aber nicht für die Ernährung eines grossen Teils der Bevölkerung.