Treibt ein Schiffbrüchiger im Rettungsboot tagelang im Meer, kann er verdursten, obwohl er von riesigen Wassermassen umgeben ist. Denn unser Körper kann mit Salzwasser nicht umgehen. Trinkt der Verdurstende in der Verzweiflung Meerwasser, fliesst durch Osmose die weniger salzhaltige Flüssigkeit der Körperzellen durch die Zellmembran zum getrunkenen Meerwasser, wodurch der Mensch innerlich austrocknet. Seemöwen, Pinguine und andere Vögel leben während Monaten auf kargen Felsen im Meer. Oder sie kurven wie der Albatros Tausende Kilometer über Wellenkämme und durch Wellentäler, ohne je festen Boden unter den Füssen zu haben. Wie kommen diese Tiere zum lebensnotwendigen Süsswasser? Die Natur hat für diese Meeresbewohner eine geniale Entsalzungsanlage entwickelt.

 

Per Salzdrüse zur Schnabelspitze

Trinkt das Tier Salzwasser, gelangt die Flüssigkeit erst ins Blut. Oberhalb der Augen sitzt links und rechts je eine Salzdrüse. Die Drüsen bestehen aus mehreren tausend Tubuli, von denen jeder von einem Transportepithel ausgekleidet und von Blutkapillaren umsponnen ist. Die Entsalzung erfolgt im Gegenstromprinzip durch eine Kombination von passiver Osmose und aktivem Ionentransport durch das Tubulusepithel, wodurch das Salz aus dem Blut schliesslich als Konzentrat in einen Zentralkanal und über eine Rinne zur Schnabelspitze fliesst, wo es heruntertropft oder durch die Nasenlöcher als feiner Nebel ausgeblasen wird. Die Salzkonzentration kann das Doppelte von Meerwasser erreichen. Die Industrie nutzt das gleiche Prinzip, um aus Meerwasser trinkbares Süsswasser zu produzieren, wobei hier semipermeable Membranen das Salz zurückhalten.

Solche Salzdrüsen finden sich bei verschiedensten Tierarten in unterschiedlichem Design. Seeschlangen scheiden überschüssiges Salz durch Drüsen unter der Zunge aus, Knorpelfische besitzen Salzdrüsen im Enddarm. Aber auch meeresbewohnende Säugetiere wie die Robben müssen mit dem Salz fertig werden. Sie regulieren den Salzhaushalt über die Niere und scheiden einen stark salzigen Urin aus.

Ein spezielles Problem hat der Atlantische Lachs. Er ist nämlich sowohl Meer- als auch Süsswasserfisch. Nach seiner Jugend in der Heimat der Eltern im Oberlauf europäischer Flüsse wandert er stromabwärts in den Atlantik und schliesslich bis in die Sargassosee vor der amerikanischen Ostküste. Dort bleibt er bis zur Geschlechtsreife und wandert zielgenau zum europäischen Heimatgewässer zurück, um selber Nachwuchs zu zeugen.

Das Problem: Im Süsswasser hat sein Körper eine grössere Salzkonzentration als das umgebende Wasser, das laufend durch Haut und Kiemen in den Körper dringt und den Lachs aufzuquellen droht. Die Niere hält nun das eigene Salz im Körper zurück, scheidet das zusätzliche Wasser aber mit einem stark verdünnten Urin aus. Im Meerwasser hat der Lachskörper hingegen eine geringere Salzkonzentration als das umgebende Wasser. Jetzt entzieht das Meerwasser dem Körper durch Haut und Kiemen laufend Flüssigkeit. Um nicht innerlich zu verdursten, muss der Lachs Meerwasser trinken. Das Salzproblem wird gelöst, indem die Niere Süsswasser zurückhält und das Salz als stark konzentrierten Urin ausscheidet.

Mit Salzwasser fertig werden müssen auch Pflanzen in salzhaltigem Milieu, etwa Mangroven oder Pionierpflanzen wie Strandflieder oder das Schlickgras. Hier sitzen die zu Salzdrüsen spezialisierten Zellen in der Epidermis, der äussersten Zellschicht der Blätter. Die Salzausscheidung erfolgt aktiv durch einen Ionentransport durch die Zellmembran. Das Salz klebt schliesslich in Form von Kristallen auf der Blattoberfläche. Um Energie zu sparen, nutzt die Pflanze den Entsalzungsmechanismus nur bei stärkerem Salzüberschuss, etwa nach Überflutungen.

 

Herbert Cerutti ist Autor und Tierexperte.