Genf

Unheil braut sich zusammen. Der in Bern stationierte US-Botschafter Scott Miller attackierte und verletzte aufs empfindlichste die Schweiz. Sie sei das Loch in der Mitte eines «Donuts», das Nichts inmitten eines fettigen amerikanischen Süssgebäcks. Haben unsere Vorfahren das Loch eines Donuts gegen die faschistischen Diktaturen Europas verteidigt? Der Undiplomat forderte die vollständige Preisgabe der Neutralität und die Beschlagnahmung russischer Vermögen. Es war eine bemerkenswerte Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Staates. Bern hätte Miller umgehend rüffeln sollen. Keinen Pieps allerdings vernahmen wir vom Bundesrat.

Nun legen die US-Behörden nach. Das Nachrichtenportal Bloomberg meldet, das Department of Justice habe die zwangsfusionierte Riesengrossbank UBS im Visier, den mächtigsten Stützpfeiler unserer international ausgreifenden Finanzindustrie, immerhin fünf Prozent des schweizerischen Bruttosozialprodukts. Die amerikanischen Staatsanwälte planen Untersuchungen, Anklagen, Drohungen, ein klassisches Schwitzkastenmanöver, bei dem Moralismus, Geopolitik und Rechtsimperialismus Hand in Hand gehen. Man will der Grossbank an den Kragen, weil sie angeblich «russischen Oligarchen», was immer das ist, geholfen habe.

Der Angriff trifft die Bank, aber er zielt auf die Schweiz, auf die Herzkammern unseres Landes, auf die Neutralität. Die Amerikaner haben sich in ihrem Weltkrieg gegen Russland und China völlig verrannt. In Washington gibt eine linke Corona von Gutmenschen und Moral-Kreuzrittern den Ton an. Im Glauben, das Gute und Wahre zu verkörpern, dulden sie keinen Widerspruch. Man ist entweder für sie oder gegen sie. Im biblischen Heilsplan Washingtons kann, darf es keinen neutralen Staat geben wie die Schweiz – dieses «Nichts» inmitten eines Donuts. Die Amerikaner, Imperium im relativen Niedergang, fühlen sich bedroht, von Feinden umzingelt. Paranoia befeuert die Aggression.

Unter der Sonne nichts Neues: Im August 1936 zog sich Deutschlands Diktator Hitler auf seinen Berghof zurück, bedrängt von düsteren Ahnungen. Der Westen, brachte er zu Papier, steuere auf eine «geschichtliche Auseinandersetzung» mit dem Osten zu, wie einst die Römer gegen die Barbaren oder die Christen gegen den Islam. Es gelte, die westliche Zivilisation, ihre Werte gegen die Mächte der Finsternis, Russland und Asien, zu verteidigen. Niemand könne sich der «Unvermeidlichkeit des Kriegs» entziehen. Für die Schweizer Neutralität brachte auch Hitler null Verständnis auf. Die wilden Fantasien des «Führers» lesen sich wie die Horrortrip-Variante heutiger Leitartikel.

Von solch irrer Endzeit-Rabulistik, egal, wer sie äussert, hat sich die Schweiz bis jetzt nie verführen lassen. Wir sind kein Land, das zu einer religiösen Deutung der Geschichte neigt. Wir sind Pragmatiker, bereit und aus Gründen des Wohlstands auch dazu verdammt, mit möglichst allen gut auszukommen: neutral zu sein. Es ist verrückt, eine wirtschaftlich, touristisch, politisch und technologisch zusammenwachsende Welt in einen brennenden Balkan der Konflikte zu verwandeln. Wir erleben das absurde Vorspiel zu einer Wiederholung der Tragödien des letzten Jahrhunderts, als beseelte Wahnsinnige wie Hitler, Mao oder Stalin glaubten, ihre Heilspläne seien Millionen Tote wert.

Die Schweiz muss höllisch aufpassen, dass sie im allgemeinen Kriegsstrom, im «Kriegsrausch» – Bundespräsident Berset hatte recht – nicht mitgerissen wird. Das CS-Debakel kommt zur Unzeit. Jahrelanges Missmanagement, die Blindheit der Aufsicht, der panische Notrecht-Despotismus der Regierung haben nicht nur dem Schweizer Rechtsstaat einen schweren Schaden zugefügt und damit dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Sie sind auch ein Axthieb an die Wurzeln des nationalen Selbstvertrauens. Nachdem die eidgenössischen Führungseliten vor zwanzig Jahren die Swissair, diese glorreiche Globalbotschafterin unseres Wappens, kaputtgewirtschaftet haben, grounden sie nun den einstigen Stolz der Schweizer Finanzindustrie.

Wie so oft, wenn die Schweiz schwächelt, sind Politiker zur Stelle, die das Übel mit der falschen Medizin kurieren wollen. Die CS war das Inbild einer Zeitgeist-Bank, politisch auf Internationalismus getrimmt, Geschlecht und Hautfarbe vor Leistung, schweizvergessen, amerikasüchtig, dekadent in der Geldgier ihres Managements. Auch deshalb ging die noble Firma unter. Nun möchte die FDP der Schweiz die CS-Formel des Misserfolgs verordnen: Preisgabe schweizerischer Werte, Ende der Neutralität, noch mehr Unterwerfung unter die EU, Anpassung überall. Die Linke ruft derweil nach Planwirtschaft. Beides geht fehl. Die Schweiz sollte aus dem Crash die richtigen Lehren ziehen.

An Inspirationen fehlt es nicht. Dieser Tage läuft in Genf der internationale Uhrensalon. Die Schweizer Uhrenindustrie ragt auf, wo die Banken in ihrem eigenen Sumpf versanken.

Die «Gnomen von Zürich» sind zu den Griechen der Schweiz geworden. Dafür machen die Fabrikanten aus der Westschweiz vor, wie es geht. Die Hayeks, Sterns, Bucherers, Beyers und Kerns sind die Repräsentativschweizer von heute, Patrons und Patrioten. Ihre Weltmarken Rolex, Hublot, Omega, Swatch, Breguet, Patek Philippe oder Breitling markieren, einsamer denn je, den bewunderten Schweizer Industriestandard.

Das Zürcher Bankenzentrum am Paradeplatz ist ein Ground Zero des unternehmerischen Hochmuts und der Heimatmüdigkeit. In Genf lässt sich derzeit das Gegenteil besichtigen. Hier ist noch Schweiz drin, wo Schweiz draufsteht. Das inspiriert und macht Mut. Auf die Schweiz, auf die Welt kommen ungemütliche Zeiten zu. Deutschland streikt, Frankreich brodelt. Die Atommächte schlittern in eine absurde Version des Kalten Kriegs. Da ist es wichtig, zu wissen, was man ist und woher man kommt, was man will und was man kann. In schwierigen Zeiten stehen die Schweizer zusammen, geben sie sich gegenseitig Kraft. Das Trennende und Unwichtige tritt in den Hintergrund. Mut zur Schweiz: So lautet das Gebot der Stunde.