Mit den Kraftwerken, die heute in Betrieb stehen und gebaut werden, kann die Kernenergie einen wesentlichen Beitrag zur Deckung des wachsenden Energiehungers der Menschheit sowie zum Klima- und Umweltschutz leisten. Die aktuellen Reaktortechnologien liefern Antworten auf die gängigen Sicherheitsbedenken. Auch an älteren Nuklearanlagen geht die Weiterentwicklung nicht vorbei. In der Schweiz ist es sogar gesetzlich vorgeschrieben, die Kernkraftwerke auf den Stand der Technik nachzurüsten. Die Schweizer Anlagen sind deshalb heute um ein Vielfaches sicherer als bei ihrem Bau.

Nach den grossen sicherheitstechnischen Fortschritten soll die nächste Generation einen noch geringeren Ressourcenbedarf und die Reduzierung der radioaktiven Abfälle bringen. Kleinere, modular einsetzbare Reaktoren können veränderte und neue Anforderungen der Strom- und Wärmeproduktion abdecken. Die Kernfusion verspricht schier unbegrenzte Energie fast ohne Abfälle. Diese drei Innovationsfelder stehen zwar in unterschiedlichen Stadien, haben aber eines gemeinsam: Im Gegensatz zur bestehenden Technologie müssen sie den Schritt von der Forschung in die Praxis noch schaffen.

 

Bewährte Technologien vorhanden

Wie jede andere Technik entwickelt sich auch die Kerntechnik immer weiter. Inzwischen werden vier Generationen von Kernkraftwerken unterschieden: Nach der Entdeckung der Kernspaltung 1938 entstand in den 1950er Jahren die erste Generation von Prototypen. Ihnen folgten die heute in der Schweiz und in zahlreichen weiteren Ländern kommerziellen Kernkraftwerke, welche der zweiten Generation zugeordnet werden. In der Schweiz sind diese Anlagen in den vergangenen Jahrzehnten laufend auf den Stand der modernen Sicherheitstechnik nachgerüstet worden. Technische Neuerungen wie auch Erfahrungen aus dem Betrieb und Lehren aus den weltweiten Störfällen erhöhen kontinuierlich das Sicherheitsniveau. Die jüngsten energiepolitischen Entscheide von Bundesrat, Parlament und Volk, wonach die Schweizer Kernkraftwerke trotz Ausstiegsbeschluss noch für Jahrzehnte weiter genutzt werden sollen, anerkennen diesen Leistungsausweis.

Die aktuelle dritte Generation hat erstmals Standards definiert, welche aus den Nachrüstungen, Erfahrungen und dem Stand der Forschung zusammengetragen wurden. Die heutigen Reaktorsysteme genügen höchsten Sicherheitsansprüchen und liefern Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen. Diese Kernkraftwerke bieten gegenüber der zweiten Generation eine nochmals verbesserte Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. Dazu zählen der französische EPR, der amerikanische AP1000, der chinesische HPR1000, der südkoreanische APR-1400 und der russische WWER-1200.

 

Auf dem Weg zur Kommerzialisierung

Die beiden ersten Kernkraftwerke dieser fortgeschrittenen dritten Generation haben 1996 und 1997 in Japan den Betrieb aufgenommen. Modernste Typen sind inzwischen auch in Finnland, China, Indien, im Iran, in Russland und in Südkorea am Netz. Aktuell sind fast sechzig Kernkraftwerke modernster Bauart im Bau, in Frankreich und Grossbritannien, ebenso in Bangladesch, China, Japan, Pakistan, Russland, Südkorea, in der Türkei, in den USA, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Weissrussland. In Ländern wie Ägypten, Polen oder Ungarn soll mit dem Bau solcher Anlagen in den kommenden Jahren begonnen werden.

Der grosse Schritt in der Sicherheit von Kernkraftwerken hat mit der Entwicklung zur dritten Generation stattgefunden. Diese Kernkraftwerke sind so konzipiert, dass bei allen betrieblich vorstellbaren Unfällen keine massgeblichen Mengen radioaktiver Stoffe in die Umgebung freigesetzt werden können und der Boden nicht auf Dauer kontaminiert werden kann. Die maximalen Auswirkungen dürfen für die Anwohner nicht grösser sein als bei anderen zivilisatorischen Risiken wie bei Chemieunfällen, Gasexplosionen oder Dammbrüchen.

Während zurzeit die leistungsstarken Reaktoren der dritten Generation in Bau und in Betrieb stehen, wächst das Interesse an kleinen, modularen Reaktoren (sogenannte Small Modular Reactors oder kurz SMR). Sie zeichnen sich durch erhöhte Flexibilität, fabrikbasierte Serienfertigung sowie einen tieferen Wartungsbedarf aus. Wegen ihrer geringen Grösse und der kleineren Menge an Kernbrennstoff können SMR unterirdisch gebaut oder auch in unmittelbarer Nachbarschaft von Verbrauchern betrieben werden. Das können Siedlungen sein oder Grossindustrien mit hohem Wärme- und Strombedarf. Je nach Bedarf können viele SMR-Module zu grösseren Produktionsanlagen erweitert werden. Sie eignen sich für Regionen mit wenig ausgebautem Stromnetz, als Energiequelle für Anlagen zur Entsalzung von Meerwasser und zur Herstellung von Trinkwasser sowie zur Stromversorgung von Inseln.

SMR haben in den letzten Jahren auf dem Weg zur Kommerzialisierung beachtliche Fortschritte erzielt. Derzeit sind über achtzig SMR-Technologien weltweit in Entwicklung. Einige sind bereits in Bau oder in Betrieb, weitere werden folgen, und andere werden es nicht auf den Markt schaffen. SMR lassen sich prinzipiell in zwei Gruppen einteilen:

1. Wassergekühlte kleine, modulare Reaktoren der dritten Generation, im Prinzip also kleinere Versionen der in Betrieb stehenden Reaktoren. Die Entwicklung ist bei diesen Reaktoren am weitesten fortgeschritten. Die ersten von ihnen werden voraussichtlich Ende der 2020er Jahre den kommerziellen Betrieb aufnehmen.

2. Fortgeschrittene, modulare Reaktoren der vierten Generation, die neuartige Kühlsysteme und/oder Brennstoffe verwenden. Die innovativen Reaktorkonzepte sind teilweise schon seit Jahren bekannt. Die fortgeschrittenen SMR können Strom, Wärme und Wasserstoff liefern und sollen Vorteile hinsichtlich Brennstoffkreislauf bieten. Einige erfordern noch Forschung, neue Materialien oder neue Arten von Brennstoffen. Ihre Markteinführung könnte in den 2040er Jahren erfolgen.

Wenig beachtet von der Öffentlichkeit stehen Dutzende von SMR seit Jahrzehnten im Alltagseinsatz und haben dort ihre Zuverlässigkeit und Robustheit bewiesen – vornehmlich als Schiffsantriebe in Eisbrechern, in U-Booten oder Flugzeugträgern. Aber nicht nur: Erste SMR-Demonstrationsanlagen zur Strom- und Wärmeerzeugung sind bereits in Betrieb und weitere im Bau. Das weltweit erste schwimmende Kernkraftwerk, die Akademik Lomonossow, ist in Sibirien zur Strom- und Fernwärmeproduktion im Einsatz.

In Westsibirien wird zudem der weltweit erste bleigekühlte Reaktor BREST-OD-300 gebaut. Im Osten Chinas ist seit Ende 2021 mit dem HTR-PM eine Demonstrationsanlage mit zwei Hochtemperatur-Kugelhaufenreaktoren in Betrieb. Seit Juli 2021 läuft im Süden Chinas der Bau des Druckwasser-SMR Linglong One. In Argentinien befindet sich mit Carem-25 der Prototyp eines kleinen Druckwasserreaktors im Bau. In den USA, in Kanada und in Grossbritannien befinden sich die ersten Auslegungen im Lizenzierungsverfahren.

Bereits arbeiten Wissenschaftler an den Reaktoren der vierten Generation. Ziel ist, für die Zeit nach 2040 neue Reaktoren und Brennstoffkreisläufe zu entwickeln, die den Ressourcenverbrauch drastisch reduzieren und die Menge des stark radioaktiven Abfalls erheblich vermindern. Das «Generation IV International Forum» hat sechs Reaktorsysteme für die Weiterentwicklung ausgewählt. Drei davon sind sogenannte schnelle Reaktoren. Die Funktionsweise der schnellen Reaktoren ermöglicht den Einsatz von neuen Kühlmitteln wie flüssigem Natrium, flüssigem Blei oder geschmolzenem Salz. Dadurch können höhere Temperaturen erreicht werden, was für die Produktion von Wasserstoff oder Prozesswärme von Vorteil ist.

 

Nächste Stufe in der Pipeline

Bei fast allen diesen Projekten handelt es sich um Demonstrationsanlagen, welche die Wirtschaftlichkeit noch nicht nachgewiesen haben. Unabhängig vom GIF hat Russland Ende 2016 einen natriumgekühlten Schnellen Reaktor mit 800 Megawatt elektrischer Leistung in Betrieb genommen. Auch China und Indien wollen in Zukunft Schnelle Reaktoren einsetzen. Verschiedene Reaktorkonzepte vereinen die Merkmale von SMR und der vierten Generation. Bereits im Betrieb ist der erwähnte HTR-PM in China. Das dänische Unternehmen Copenhagen Atomics mit seinem modularen Salzschmelzreaktor steht kurz vor dem Bau einer Testanlage. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das kanadische Unternehmen Moltex, das von der kanadischen Aufsichtsbehörde schon erste Vorüberprüfungen bestanden hat. Weit fortgeschritten ist auch die Entwicklung des Xe-100, eines modular einsetzbaren, gasgekühlten Hochtemperaturreaktors.

Von der Kernfusion behaupten böse Zungen, dass sie schon seit den 1970er Jahren immer in fünfzig Jahren einsatzbereit sein werde. Glaubt man den mutigeren Prognosen, könnte sie schon vor der vierten Kernkraftgeneration Energie liefern. Die Kernfusionstechnik, das Verschmelzen von Atomkernen, hat in den letzten Jahrzehnten grosse Fortschritte gemacht. Dabei werden enorme Energiemengen freigesetzt. Ein schwerer Unfall mit relevanter Freisetzung von radioaktiven Stoffen kann nach heutigem Wissen ausgeschlossen werden.

 

Mach es wie die Sonne und die Sterne

Zudem erzeugt der Fusionsprozess selbst keine radioaktiven Abfälle. Während des Betriebs werden einzig die Komponenten im Reaktorinnenraum radioaktiv. Ein wesentlicher Vorteil der Kernfusion liegt darin, dass die dafür nötigen Brennstoffe auf der Erde in praktisch unerschöpflicher Menge vorhanden sind. Unter allen möglichen Fusionsreaktionen bietet das Verschmelzen von schwerem Wasserstoff (Deuterium und Tritium) zum Edelgas Helium die günstigsten Voraussetzungen.

Um die grossen technischen Herausforderungen zu bewältigen, haben Europa, China, Indien, Japan, Russland, Südkorea und die USA beschlossen, gemeinsam in Südfrankreich den Internationalen Thermonuklearen Experimentalreaktor (ITER) zu bauen. Mit dieser Grossanlage soll die Machbarkeit eines Fusionskraftwerks gezeigt werden. Parallel dazu wird in Greifswald an der deutschen Ostseeküste ein alternatives Konzept geprüft. Die 2013 in japanisch-europäischer Zusammenarbeit begonnene Montage der Fusionsanlage JT-60SA wurde Ende März 2020 abgeschlossen. Sie soll ITER ergänzen und die Datenbasis für ein späteres Demonstrationskraftwerk vergrössern. Der Joint European Torus (JET) im englischen Culham wurde zwischen 1983 und 2023 von mehr als 31 europäischen Forschungseinrichtungen gemeinsam genutzt. Im Dezember 2021 hatten die Forschenden am JET einen Rekord von 59 Megajoule an anhaltender Fusionsenergie erzielt. Den Rekord des längsten stabilen Plasmas hält eine chinesische Anlage: Der Experimental Advanced Superconducting Tokamak (EAST) steht in Hefei im Osten Chinas. Die Forschenden des Institute of Plasma Physics der Chinese Academy of Sciences (Asipp) konnten mit dieser Fusionsanlage das Fusionsplasma für 403 Sekunden stabil halten und ihren Rekord von 101 Sekunden aus dem Jahr 2017 übertreffen.

Kernenergie als Technologie hat ihren Leistungs- und Sicherheitsnachweis längst erbracht. Ihre Entwicklung wird weitergehen. Sie wird in der klimafreundlichen und sicheren Stromversorgung der Zukunft auf der ganzen Welt eine tragende Rolle spielen. Die Schweiz hatte in den letzten sechzig Jahren einen nicht unerheblichen Anteil daran. Die Frage ist, ob sie ihren Vorsprung leichtfertig aufgeben oder weiterhin an den vielseitigen Entwicklungen der Technologie dranbleiben sollte.