Jakobinische Eiferer des linken Wochenblatts Woz haben den Mann aus Schenkon LU, den Fernsehreporter Sascha Ruefer, als Rassisten angeprangert, weil er in einem ohnehin weggeschnittenen Statement zu einer Dokumentation über die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft eine sarkastische Bemerkung über den Captain Granit Xhaka fallenliess: «Er ist vieles, aber kein Schweizer.»
In diesem Urteil, das Ruefer so nicht mehr gelten lässt, steckt auch der Wahrheitskern von Xhakas Zerrissenheit, von seinen ihm auferlegten und auch von seinen selbstgewählten Rollen, die er gleichzeitig durchlebt.
Granit und Taulent
Er ist in Basel zur Welt gekommen. Aber seine Lippen bleiben beim Schweizerpsalm geschlossen. Er ist Muslim. Für wen er während der Hymne die Hand aufs Herz legt, scheint klar, bei 113 Länderspielen im Dienste der Schweiz. Aber Xhakas Vaterland bleibt, wörtlich, seines bewunderten Vaters Land, der den Krieg erlebte: das Kosovo, der unlöschbare Konfliktherd zumindest für die Generation Xhaka. Er macht, trotz seines als schwierig wahrgenommenen stolzen oder egomanischen Charakters, manches richtig. Die Bilderbuchkarriere und viel Geld bei Arsenal London. Er engagiert sich, mittlerweile als Captain und nicht immer gentlemanlike, für die Nationalmannschaft. Er bekennt sich zu diesem idealistischen Traum, dass eines Tages das Kosovo als unabhängiges, freies Land existiert. Die kosovarische Diaspora der Geflüchteten und Ausgewanderten liebt und verehrt ihn als Helden. Damit wird er zur politischen Figur, mit jeder Faser.
Dafür verdient Granit Xhaka Respekt. Sein älterer Bruder Taulent hat sich für Albaniens Pass und Nationalmannschaft entschieden. Ihn lässt man in Ruhe.
Übrigens: Sascha Ruefer, der Mann aus Schenkon, hat eine slowenische Mutter.
Roger Federers Mutter Lynette ist ursprüngliche Südafrikanerin, Martina Hingis kam als Tschechoslowakin in die Schweiz. Der Doppelbürger Ignazio Cassis gab seine italienischen Papiere erst zurück, als er für den Bundesrat kandidierte. Sie haben alle kein Identitätsproblem. Aber Fussballer ticken möglicherweise anders. Der Pass ist für sie auch ein Chancenöffner.
Ivan Rakitic ist vier Jahre älter als Xhaka und schweizerisch-kroatischer Doppelbürger. Geboren in Rheinfelden AG und Junior des FC Basel, wie Xhaka, durchlief er sämtliche Schweizer Nachwuchs-Nationalteams, aber als er neunzehn wurde, rief der kroatische Nationalcoach Slaven Bilic schneller bei ihm an als sein zögerliches Schweizer Pendant Köbi Kuhn. Nach der Weltmeisterschaft 2014 bot ihm der FC Barcelona die Bühne zur grossen Karriere (er stand damals noch beim FC Sevilla unter Vertrag).
Schon in der ersten Saison mit Barça gewann Rakitic das Triple Meisterschaft, Pokal und Champions League. Und er hatte das Privileg, fünf Jahre als unermüdlicher Ballschlepper mit dem genialen Lionel Messi zusammen zu spielen, der ihn auch als privaten Freund sehr schätzt. An der WM 2018 scheiterte Rakitic mit Kroatien erst im Final an Frankreich. Als erster (halber) Schweizer im Endspiel, aber hierzulande wird er eher als Fahnenflüchtling betrachtet.
Das bürokratische Passspiel haben die Italiener erfunden, nicht nur den Catenaccio; schon immer waren sie schlauer als die andern bei der Auslegung von Reglementen und Gesetzen. Die Klubs lockten nach dem Zweiten Weltkrieg, mit dem Duft von Ruhm und hohen Gagen, Spieler aus Südamerika mit italienischen Wurzeln, sogenannte oriundi, Nachkommen von Auswanderern. Die Serie A beschäftigte eine veritable Fremdenlegion, die Nationalmannschaft profitierte von Ausnahmekönnern wie José Altafini (Brasilien), Omar Sivori (Argentinien) und Alberto Schiaffino (Uruguay).
Schon vor 115 Jahren spaltete sich im Mailänder Ristorante «L’Orologio» die Internazionale vom Platzhirsch AC Milan ab und hat bis heute die Etikette als der fortschrittlichere Klub bewahrt, der Grossbürgertum wie Intellektuelle anzieht: Inter öffnete sich damals erstmals auch für Ausländer.
Reisläufer aus Osteuropa
Alfredo Di Stéfano, laut Augenzeugen wie dem früheren Fifa-Präsidenten Sepp Blatter der beste Fussballer aller Zeiten, war Argentinier mit einem italienischen Vater und einer französisch-irischen Mutter, spielte für Argentinien, danach kurz für Kolumbien und schliesslich als Star von Real Madrid für Spanien. Aber auch aus Osteuropa strömten Reisläufer in die Fussballmetropolen. Ladislav Kubala, ein Slowake, trug nacheinander das Trikot der Tschechoslowakei, das Ungarns und das Spaniens. Nach dem gescheiterten Aufstand in Ungarn von 1956 sprang die ganze Nationalmannschaft ab. Der ehemalige Armeeoffizier Ferenc Puskás, nun ebenfalls mit spanischem Pass, wurde an der Seite des Weltbürgers Di Stéfano zur unvergleichlichen Angriffswaffe Real Madrids.
Übrigens: Sascha Ruefer, der Mann aus Schenkon, hat eine slowenische Mutter.
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