Bern

Die Begeisterung war greifbar. «Selenskyj kündigt Friedensgespräche in der Schweiz an» titelten die Medien nach einer Ankündigung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus dem fernen Buenos Aires. Der Kriegspremier hatte die Amtseinführung von Argentiniens Staatschef Javier Milei besucht und en passant angekündigt, dass in der Schweiz «Friedensgespräche» stattfinden würden.

Aussenminister Ignazio Cassis nahm den Ball nur zu gerne auf. Sichtlich stolz sprach der FDP-Bundesrat «von einem guten Moment für die Schweizer Diplomatie». Das Treffen am 14. Januar am Rande des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos könne dazu beitragen, einer möglichen Friedenslösung näherzukommen. Er werde das Treffen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba präsidieren.

 

Sondertribunal und Wiederaufbau

Ist die Eidgenossenschaft zurück im Geschäft? Kann sie in diesem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, bei dem eine militärische Lösung täglich unrealistischer wird, ihre Guten Dienste anbieten? Bei dieser für Europa zentralen Auseinandersetzung spielten bisher vor allem die Türken als Vermittler eine Rolle – Cassis und sein EDA standen im Abseits.

Das Problem: Cassis und Selenskyj werden nicht mit den Russen, sondern über die Russen sprechen.

Das Problem: Der Aussenminister, sein ukrainisches Pendant und die eingeladenen Länder werden – wie bei ähnlichen erfolglosen Beratungen in der Vergangenheit – nicht mit den Russen, sondern über die Russen sprechen. Entsprechend kritisch gibt sich der russische Botschafter in Bern, Sergei Garmonin: «Wir betrachten diese Gespräche als wertlos und ohne jeglichen Zusatznutzen. Sie werden den Frieden nicht näherbringen. Ich möchte daran erinnern, dass das Kiewer Regime selbst Verhandlungen mit der russischen Staatsführung untersagt hat, nachdem Selenskyj am 4. Oktober 2022 den entsprechenden Erlass unterzeichnet hatte. Daher ist von der Diskussion über ‹Friedensinitiativen› in Davos kein Nutzen zu erwarten.»

Der Ambassador spricht Selenskyjs sogenannte Friedensformel an. Eine Idee, die Russland rundweg ablehnt. Das ist wenig erstaunlich, denn sie käme einer totalen Kapitulation gleich. Ähnlich wie nach der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland 1945 sieht Selenskyjs Plan neben einem Abzug russischer Truppen aus der gesamten Ukraine ein Sondertribunal gegen russische Kriegsverbrecher und Reparationszahlungen an die Ukraine zum Wiederaufbau vor. Eine weitere Forderung lautet, dass Russland, eine Siegermacht des Zweiten Weltkriegs, sein Vetorecht im Uno-Sicherheitsrat verliert.

Voraussetzung für solch weitreichende Kriegsziele Selenskyjs und seiner westlichen Verbündeten ist – wieder ähnlich wie bei Nazideutschland –, dass Russland ein militärisches Desaster bereitet wird. Kein Wunder, hat Moskau diesen Plan gleich nach Ankündigung als absurd zurückgewiesen und betont, man sei nur zu Friedensgesprächen bereit, wenn die Ukraine anerkenne, dass die annektierten Gebiete im Osten künftig zur Russischen Föderation gehörten.

Dass die offizielle Schweiz die Absichten von Selenskyj mitträgt, sorgt für Ärger und Enttäuschung auf russischer Seite. Botschafter Garmonin: «Wir sind überrascht, dass sich die Schweizer Diplomatie aktiv an dieser zum Scheitern verurteilten, einseitigen und weltfremden Initiative beteiligt.» Er stellt grundsätzlich in Frage, wie die Eidgenossenschaft ihre traditionelle Unparteilichkeit in diesen Konflikt interpretiert. «Wenn man das in Bern unter Vermittlung und Neutralität versteht, dann haben wir in der Tat unterschiedliche Auffassungen darüber, was diese Begriffe bedeuten.»

 

Stunden im Rampenlicht

Man braucht keine Kristallkugel: Der Konflikt wird in den Bündner Bergen weder gelöst, noch rückt ein Ende des Blutvergiessens näher. Für die Schweiz hat das Treffen aber Konsequenzen. Das Verhältnis mit Russland steuert wegen dieses vermeintlichen diplomatischen Befreiungsschlags einem neuen Tiefpunkt entgegen.

Garmonin zu den Beziehungen beider Staaten: «Derzeit können wir kaum auf eine Entspannung der Beziehungen hoffen, denn die Schweiz hat sich allen Paketen illegitimer antirussischer Sanktionen angeschlossen, beteiligt sich aktiv an den Konsultationen über die Einrichtung eines Tribunals gegen Russland.» Gleichzeitig würden im Schweizer Parlament Optionen für die Unterstützung Kiews, darunter auch militärische Hilfe, diskutiert.

Cassis und seine Beamten werden im Januar in Davos für einige Stunden im Rampenlicht stehen. Sie können auch erwarten, dass ihnen die Delegationen aus der Ukraine und einigen westlichen Staaten auf die Schulter klopfen werden. Dafür brüskieren der FDP-Mann und seine Entourage Russland ein weiteres Mal. Cassis erklärte diese Woche im Nationalrat, das EDA werde Russland über die Ergebnisse des WEF-Treffens informieren. Vielleicht sollten die Diplomaten das besser bleibenlassen.