Die Naturgeschichte zeigt uns einen
angstvollen Kampf ums Dasein,
und dieser nämliche Kampf erstreckt sich
bis weit in Völkerleben und Geschichte hinein.

Jacob Burckhardt,
«Weltgeschichtliche Betrachtungen»

 

Die Welt brennt. Flammensäulen steigen auf, lodernde Bestien. Die Grossmächte taumeln von einem Krieg in den nächsten. Wir werden bombardiert mit extremen Bildern. Extreme Bilder produzieren extreme Gefühle. Wenn alles hochpeitscht, muss man kühlen Kopf bewahren.

Nichts ist weniger selbstverständlich als die Schweiz. Der Mensch ist so gebaut, dass er in guten Zeiten vergisst, warum es ihm gut geht. Die grössten Zivilisationen gingen an ihrem Leichtsinn zugrunde. Hochmut ist aller Untergänge Anfang.

Kriege und Konflikte haben etwas Gutes: Sie zwingen uns zur Frage, wer wir sind. Erst dann, wenn wir wirklich gefordert, herausgefordert und in Frage gestellt werden, beginnen wir zu spüren, vielleicht, hoffentlich, worauf es ankommt. Nur Krisen und Kämpfe offenbaren das Wesentliche.

Oder aber das unvermeidliche Ende.

Die Schweiz ist das verwöhnteste Land der Welt. Man kann den Schweizern keinen Vorwurf machen, dass sie die Grundsätze verlernt haben, nach denen ihre Vorfahren erfolgreich waren. Schon Goethe wusste: «Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Folge von guten Tagen.»

Mittlerweile hat es sich herumgesprochen: Es wird wieder ernst, und die Politik rückt nach rechts. Auch das ist nichts Neues. Immer schon legten in Zeiten des Wohlstands linke Modeparteien wie die Grünen zu. Sobald es wirtschaftlich bergab geht, kehrt das Solide, Bürgerliche zurück.

Heilsame Ernüchterung.

Die grösste und wichtigste Konfliktlinie der Schweizer Politik betrifft nicht die Migration. Da sind sich inzwischen alle mehr oder weniger einig. So kann es nicht weitergehen. Masslose Zuwanderung ruiniert auf Dauer jeden Staat, die kleine Schweiz erst recht. Viele Politiker scheinen es gemerkt zu haben.

Der weitaus bedeutendere und viel heftiger umkämpfte Streitpunkt ist die Aussenpolitik. Da bahnt sich Verhängnisvolles an. Der Bundesrat gedenkt, die Schweiz der EU «institutionell» zu unterwerfen. Die meisten Parteien haben die Lust an der Neutralität verloren. Tödliches Blockdenken zieht ein.

Haben die Schweizer die Kraft, ihr einzigartiges Erfolgsmodell zu bewahren? Oder geben sie auf?Mehr Amerika, mehr Nato und EU. Weniger Welt, weniger Schweiz.

Vernunft, formulierte sinngemäss der schwedische Schriftsteller Henning Mankell, ist die Fähigkeit, sich dem Gesetz des Überlebens zu unterstellen. Handle immer so, dass du dich nicht selber umbringst. Diese Einsicht droht im allgemeinen Wohlstand zu verschwinden.

Geschichte ist kein Hauptfach in der Schweizer Politik. Seit Russlands Einmarsch in der fernen Ukraine reden unsere hochbezahlten Volksvertreter gerne von «schweizerischen Werten». Zwei der wichtigsten Schweizer Werte aber erwähnen sie mit keinem Wort: Neutralität und Unabhängigkeit.

Die Neutralität verbietet den Behörden kriegerische Abenteuer. Sie bremst die Regierenden und zwingt den Staat, seine Zäune nicht zu weit zu machen. Sie ist auch das völkerrechtliche Siegel unserer Unabhängigkeit. Nur eine unabhängige, institutionell eigenständige Schweiz ist frei.

Selbstsucht ist die Krankheit unserer Zeit. Und das Gegenteil der Vernunft. Die Schweiz ist ein anstrengendes Konzept. Freiheit ist anspruchsvoller als Knechtschaft. Und eine Willensnation lebt, ausschliesslich, vom Willen ihrer Bürger, an der Freiheit festzuhalten.

Zwei Lager stehen sich jetzt politisch gegenüber. Die grosse Mehrheit, die Meinungsgeneräle in Politik und Medien predigen die Anbindung, Anpassung statt Widerstand. Die Schweiz soll sich einfügen in die westliche Phalanx von USA und EU gegen die angeblichen Schurkenstaaten aus dem Osten.

Die Minderheit, die an den letzten Wahlen allerdings zulegte, fordert das Gegenteil: Die Schweiz soll ihre Freiheit und Unabhängigkeit in einer vielfältiger werdenden Welt verteidigen, sich aus den Konflikten der Grossmächte heraushalten und ihre Neutralität als Instrument des Friedens pflegen.

Gerade in explosiven Zeiten.

Krieg oder Frieden, Neutralität oder Blockdenken, Schweiz oder Nichtschweiz: Das ist die Schicksalsfrage. Haben die Schweizer die Kraft, ihr einzigartiges Erfolgsmodell zu bewahren? Oder geben sie auf, eingelullt von ihren Politikern, die den Mut zur Freiheit verloren haben?