Trump hat die Wahl verbockt. So der Tenor, der bis tief ins rechte Lager ertönt und von konservativen Medien plakativ verbreitet wird. Doch sind Trumps Kandidaten tatsächlich reihenweise durchgefallen, wie überall berichtet wurde?

Nein. Hunderte von Pro-Trump-Kandidaten quer durchs Land haben gewonnen. Gemäss Umfragen reüssierten 80 Prozent von ihnen. Selbst die New York Times beklagt, dass 220 «Wahlleugner» in den Kongress gewählt worden seien.

Die ehrliche Bilanz lautet: Trump ist nicht der alleinige Sündenbock, auch die Republikanische Partei hat versagt. Ihre Kandidaten – auch ausgesprochene «Nicht-Trumper» – verloren eine unverhältnismässig grosse Zahl knapper Rennen.

Tatsächlich auf Trump fällt zurück, dass seine Schützlinge in den Schlüsselstaaten Pennsylvania, Arizona und Nevada scheiterten und die Republikaner damit eine Mehrheit im Senat verpassten. Dennoch: Wer Trump die Alleinschuld am Debakel zuschiebt, macht es sich zu einfach.

Blick in den Spiegel

Mitverantwortlich sind Schlüsselfiguren der Republikaner. Da ist einmal Mitch McConnell, der Anführer der Republikaner im Senat. Während die Demokraten bereits vor Monaten ihre Kandidaten mit viel Kapital aufbauten, hielt McConnell Geld aus dem Senate Leadership Fund zurück. Es ist ein Muster, das er seit einem Jahrzehnt praktiziert und die Partei bereits in früheren Wahlen Sitze gekostet hat.

Ebenfalls einen tiefen Blick in den Spiegel werfen muss Kevin McCarthy. Weniger als fünfzig Tage vor der Wahl stellte der republikanische Anführer im Repräsentantenhaus das «Commitment to America» vor, einen politischen Plan, der das Land wieder auf den richtigen Weg bringen sollte. Er orientierte sich am «Contract with America», mit dem sein Vorgänger Newt Gingrich 1994 eine «republikanische Revolution» auslöste. Doch der Zauber von damals wirkte nicht. Das «Commitment» kam zu spät und war zu wenig fundiert.

Die Amerikaner sind nicht heillos zerstritten, eine Mehrheit sehnt sich nach Normalität.

Die Parteielite scheint keine Zeit für eine solide Wahlanalyse aufwenden zu wollen. Sie plant den Vatermord. Sie möchte sich von Trump abhalftern und sich hinter Ron DeSantis scharen, den gefeierten Sieger der Gouverneurswahl in Florida.

Ebenso die Geldgeber. Casino-Unternehmer Steve Wynn und andere potente Spender der Republikaner wollen angeblich «von Trump wegkommen». Gemäss Medienberichten planen sie ein Treffen mit dem Ziel, Trumps Nomination 2024 zu verhindern.

Doch mit der radikalen Abkehr vom Ex-Präsidenten begehen sie möglicherweise einen fatalen Fehler. Trumps Basis löst sich nicht einfach in Luft auf. Und seine loyalen Anhänger lassen sich auch nicht wie Güterzüge umrangieren und einem anderen Kandidaten ankoppeln.

Die Republikanische Partei befindet sich in einem Dilemma. Ohne Trump droht sich ein substanzieller Wählerblock von der Partei abzuwenden. Und mit Trump an der Spitze scheint man nationale Wahlen nicht gewinnen zu können.

Denn die Midterms haben noch einen anderen Fakt an den Tag gebracht. Zwischen den verfeindeten Polen gibt es eine solide Mitte. Genau in dieser Mitte haben die Republikaner die Wahlen verloren. Wähler, die sich als Unabhängige bezeichnen, machen je nach Bundesstaat einen Viertel bis 40 Prozent des Elektorats aus, wie eine Gallup-Umfrage zeigt. Bei Zwischenwahlen neigen Wechselwähler traditionell dazu, gegen die regierende Partei zu stimmen. Dieses Jahr kam es anders. Gemäss den exit polls haben 49 Prozent der unabhängigen Wähler für die Demokraten und bloss 47 Prozent für die Republikaner gestimmt.

Verzerrung der Realität

Für die amerikanische Nation sind dies good news. Denn die endlos wiederholte Darstellung vom unversöhnlich gespaltenen Land ist eine Verzerrung der Realität. Die Amerikaner sind nicht heillos zerstritten, eine Mehrheit sehnt sich nach Normalität. Viele Zentrumswähler sind für konservative Themen empfänglich, aber «die trumpschen Kandidaten für den Senat waren oft eher chaotisch als seriös und vernünftig», wie der Spectator World treffend analysiert.

Die überragenden republikanischen Sieger der Wahl – Greg Abbott (Texas), Brian Kemp (Georgia) und Ron DeSantis (Florida) – setzen zentrale Punkte der Trump-Agenda um: tiefe Steuern, sichere Strassen, dichte Grenzen, Schluss mit dem Woke-Wahn. Sie tun es diszipliniert, nachhaltig und ohne narzisstische Allüren.

Mit anderen Worten, das Rezept der Republikaner für den Sieg und für die Zukunft lautet: Trumpismus ohne Trump. Doch wird sich das Original der Partei unterordnen und sich mit der Rolle des loyalen Patenonkels abfinden? Es wäre naiv, darauf eine Bank zu setzen. Erst recht, wenn Trump jetzt als alleiniger Sündenbock für die Wahlschlappe verantwortlich gemacht wird.