Die Schweizer Politik wirft sich dem ukrainischen Präsidenten um den Hals. Mit einer Umarmung und auf Ukrainisch empfing den Kriegsteilnehmer unser Aussenminister Ignazio Cassis am Flughafen. Kurz darauf stellte Wehrministerin Viola Amherd dem Präsidenten ein Schweizer Hilfspaket in Höhe von 1,5 Milliarden Franken in Aussicht, ursprünglich war von 6 Milliarden die Rede. Das sind Ozeane auf die Mühlen der AHV-Initiative. Viele Schweizer werden sich sagen: Solange die Schweiz einem korrupten Staat so viele Steuermilliarden nachwerfen kann, muss doch noch haufenweise Geld in der Kasse sein für unsere darbenden Rentner.

Das Gegenteil ist der Fall, aber die Wirklichkeit hat es wieder einmal besonders schwer in Bundesbern. Amherd versprach im Beisein Selenkyjs «hochrangige Friedensgespräche», doch «hochrangig» wären diese Gespräche nur, wenn auch die russische Seite daran teilnähme, was nicht der Fall ist aufgrund der offensichtlichen Einseitigkeit und Parteinahme der Schweizer Regierung in diesem Krieg.

Die angeblichen Friedenskonferenzen, wie sie die Schweiz unter Führung von Ignazio Cassis anbietet, ergeben null Sinn. Denn es handelt sich ausschliesslich um ukrainische Maximalforderungen wie seinerzeit bei den Tagungen von Teheran und Jalta am Ende des Zweiten Weltkriegs, diesmal mit der Forderung der totalen Kapitulation der Russen mit anschliessendem Kriegsverbrechertribunal à la Nürnberg.

Nur wird dies nie und nimmer funktionieren, denn die Russen gewinnen diesen Krieg, können militärisch nicht geschlagen werden, die Krim und ein Streifen in der Ukraine werden russisch bleiben, weil die dortige Bevölkerung gar nicht unbedingt zur Ukraine will. Was sie will, ist ein Ende des Abschlachtens und des Krieges.

Vor Weihnachten erklärte Russlands Präsident Putin, Charkiw und Odessa seien ebenfalls russische Städte und das Regime der Nationalisten in Kiew, das jahrelang die eigene, russischsprachige Bevölkerung im Osten beschossen habe, müsse weg. Cassis’ Umarmungen Selenskyjs werden an der Entschlossenheit des Kremlführers nicht das Geringste ändern, wohl aber zertrümmern sie den Ruf der Schweiz als ehrlicher neutraler Vermittler.

Die Frage ist: Wann endlich will man mit den Russen reden? In einem Jahr, in fünf oder in zehn Jahren?

Geht es nach dem Bundesrat, soll sich die Schweiz den unrealistischen Forderungen der Ukraine unterwerfen, während sich zum Beispiel die USA schon überlegen, wie sie sich wieder aus dem Staub machen können. Die Amerikaner haben ihr Kriegsziel längst erreicht, nämlich Europa massiv geschwächt, von der günstigen russischen Energie abgenabelt und in amerikanische Abhängigkeit getrieben, ohne auch nur ein amerikanisches Menschenleben aufs Spiel zu setzen. Von dieser abgefeimten Cleverness sind unsere Zauberer in Bern gerade Lichtjahre entfernt.

Die Frage ist: Wann endlich will man mit den Russen reden? In einem Jahr, in fünf oder in zehn Jahren? Sollen weitere Hunderttausende ihr Leben lassen? Die rauschhafte Gutmenschlichkeit, die unsere Aussenpolitik bis weit ins bürgerliche Lager erfasst hat, ist leider bis jetzt ziemlich unempfänglich für realpolitische Überlegungen, die einem zwar den Magen umdrehen können, aber am Ende das einzig Vernünftige bleiben.

In eigener Sache: Die Weltwoche war das einzige Organ in der Schweiz – ich wiederhole –, das einzige Organ in der Schweiz, das diesen Ukraine-Krieg von Anfang an realistisch und von vielen Seiten beurteilt hat. Was deshalb weite Teile unserer Öffentlichkeit ausblenden, gar nicht zur Kenntnis nehmen wollen: Die Ukraine hat sich unter Selenskyj zu einer Autokratie entwickelt, die kaum demokratischer ist als Putins Russland, die andere Ethnien unterdrückt, die Kirchen gängelt, die Medienfreiheit einschränkt, kritische Journalisten verfolgt und einsperrt, die Oppositionen plagt und wo die Oligarchen regieren.

Etwas weniger laut als auch schon bejubeln unsere Medien und Politiker ausgerechnet diesen Staat als heilige Verteidigungsbastion unserer angeblich von aussen bedrohten Zivilisation. Der Westen ist akuter von innen gefährdet, solange wir uns solche Fehldeutungen zu eigen machen.

Im Hinblick auf den Wiederaufbau und die versprochenen Milliarden ist zu sagen: Die Schweiz darf erst aktiv werden, wenn der Krieg vorbei ist und das neu Erbaute nicht wieder zusammengeschossen wird. Der Marshallplan wurde auch nicht mitten im Krieg lanciert. Ausserdem sollte kein Schweizer Franken direkt an die Ukraine fliessen, sondern nur in Schweizer Firmen, die dort beim Wiederaufbau helfen.

Insgesamt wird einem etwas mulmig, wenn man unsere Bundesräte Cassis und Amherd vor den Kameras herumzappeln sieht, eingebildete Riesen, die sich wie auf einem Hollywood-Laufsteg als grosse Friedensbringer inszenieren. Die beiden heben ab und scheinen sich gerade für grosse Gestalter der Weltpolitik zu halten, dabei verärgern sie nur die ausgegrenzte und boykottierte Nuklearsupermacht Russland.

Grössenwahn und Grössenfantasien aber haben in der Schweizer Aussenpolitik keinen Platz. Die Schweiz muss auf der Weltbühne nicht am Hauptportal auf dem roten Teppich glänzen, sondern den Lieferanteneingang nehmen. Hoffen wir auf eine Rückkehr zur Bescheidenheit und auf das Comeback unserer bewährten, vollständigen Neutralität.