Enrico Pieranunzi, Marc Johnson, Joey Baron: Hindsight. Live At La Seine Musicale. Cam Jazz CAMJ 7977-2

Enrico Pieranunzi ist eine der kapitalen Instanzen des italienischen Jazz. 1949 in Rom geboren, erreichte er, wie sonst vielleicht nur noch der Trompeter Enrico Rava oder der Saxofonist Gianluigi Trovesi, Anerkennung weit über Italien hinaus. Als Pianist mit einer klassischen Ausbildung machte er ab 1975 den Jazz, seine alte Leidenschaft, zum Beruf. Ohne freilich seine breite abendländisch-klassische Formation zu verleugnen. Als Persönlichkeit kultiviert zurückhaltend, entwickelte er in der Folge einen ungewöhnlichen Drang zur Veröffentlichung. Bis heute sind von Pieranunzi mehr als siebzig Alben erschienen – unter eigenem Namen; nicht mitgezählt Produktionen, bei denen er als Partner unzähliger «Americans in Europe» agierte: Chet Baker, Art Farmer, Phil Woods, Lee Konitz, Jim Hall, Johnny Griffin. Welches name dropping anzeigen mag, was Pieranunzis stilistisches Heimatgewässer war und ist: der Jazz eines modernen Mainstreams, eines kreativ weitergesponnenen «Post Bop». Sein Vorbild, auf das er (vielleicht etwas vorschnell) verhaftet wurde, war Bill Evans. Wie der liebt er das Spiel mit Bass und Schlagzeug, das gute, alte, zeitlose Format des Pianotrios; wie der integrierte er die Harmonik des klassischen Impressionismus und der verwandelten Neo-Romantik in sein Spiel. Kein Zufall, dass er die Zusammenarbeit mit Marc Johnson suchte, dem Bassisten von Bill Evans’ letztem Trio vor dessen Tod. Mit ihm und dem Drummer Joey Baron nahm Pieranunzi schon 1984 das Album «New Lands» auf.

Sie sind noch seine Partner auf «Hindsight», Pieranunzis jüngstem Album, dem Live-Mitschnitt eines Konzerts in Paris. Das Trio ist, wenig erstaunlich, eine ungemein kompakte Einheit: Johnson ein sicheres Fundament und wunderbar sonor in den wenigen solistischen Ausflügen; Baron ein transparenter, polyvalenter, subtiler und solistisch starker Drummer. Pieranunzi lässt in sieben eignen Kompositionen und Cole Porters «Everything I Love» sein ganzes pianistisches Potenzial rauschen. Introspektive (und interaktive) Momente gibt es auch («Don’t Forget the Poet» heisst ein Stück). Aber in grossen Teilen ist seine Musik sehr auf die Macht und Pracht des Pianos zentriert. Sie ist expressiv und extrovertiert.

Was sie denn doch von Bill Evans unterscheidet. Sie sucht den Applaus, und sie findet ihn.