Mirna Funk: Von Juden lernen. DTV. 160 S., Fr. 27.90

Hört es jemals auf? Der Gazastreifen steht im Zentrum eines blutigen Kriegs, und das bereits zum fünften Mal innerhalb der letzten zwanzig Jahre. Ein Landstrich als Dauerkonfliktherd. Wobei auch fast reflexartig Antisemitismusdebatten hochkochen. Daher tut es dringend not, sich dem zuzuwenden, was das Judentum an Schätzen in sich birgt.

Die Autorin und Philosophin Mirna Funk, 1981 in Ostberlin geboren, schreibt bei Vogue online seit sechs Jahren über ihr jüdisches Leben. Ihr Debütroman «Winternähe» erhielt den Uwe-Johnson-Förderpreis, das Sachbuch «Who Cares!» wurde ein Bestseller. In der DDR wuchs Mirna Funk zunächst ohne jüdische Traditionen auf, als Tochter einer nichtjüdischen Mutter und eines jüdischen Vaters. Für sie ging es irgendwann darum, «überhaupt erst zu verstehen, was Judentum ausser Holocaust eigentlich bedeutet». Sich also «erst mal von all dem loszusagen, was gemeinhin mit dem Jüdischen assoziiert wird: Antisemitismus, Shoah, der arabisch-israelische Konflikt».

Für sie ging es darum, «überhaupt zu verstehen, was Judentum ausser Holocaust eigentlich bedeutet».

In «Von Juden lernen» streift Mirna Funk essayistisch durch acht Theorien der jüdischen Ideengeschichte, unter Bezugnahme auf diverse jüdische Denker, und zeigt deren Relevanz für das Heute auf. Man würde fehlgehen, wenn man von einem philosophischen Ratgeber spräche, zugleich schält die Autorin auf ihrer Spurensuche das Lebenspraktische deutlich heraus. Anders gesagt, ihr gelingt es, das im Heute Anwendbare aus der ältesten der monotheistischen abrahamitischen Religionen zu extrahieren – zwar mit einer übertriebenen Vorliebe für Anglizismen, aber stets flott und kokett.

Wahr ist sicher, dass viele Erkenntnisse, die dargelegt werden, auch aus anderen Kulturen und Philosophien vertraut sind – aber ist nicht genau das letztlich irrelevant? Verbindet nicht gerade das die Menschen, dass sie unabhängig von Religion und Herkunft zu verwandten Schlüssen kommen? Im Judentum gehört dazu unter anderem machloket, das «Richtig-Streiten-Lernen», und eser kenegdo, was meint, «den Partner als echte Antwort» zu verstehen. Wesentlich ist auch tikkun olam, der Antrieb und die Notwendigkeit, die Welt zu verbessern.

Wie gewohnt nimmt Mirna Funk kein Blatt vor den Mund. So lesen sich die 160 Seiten mitunter auch als Provokation, etwa wenn sie über «deutsche Männer» lästert. Was das da zu suchen hat, versteht man nicht unbedingt, steht es doch konträr zu dem von ihr ausgeführten Grundsatz lashon hara, dem Verbot der üblen Nachrede. Solche Widersprüche tauchen immer wieder auf, aber das löst sie auf, indem sie geistige Flexibilität als jüdische Tugend interpretiert und auch vom Leser verlangt.

Dass sie auch über Sex spricht, ist naheliegend – in der Cosmopolitan ist Mirna Funk seit 2021 Sex-Kolumnistin. Mit diesem Thema hat sie auch deshalb keine Berührungsängste, weil sie Jüdin ist. Ihr zufolge gibt es weniger Hemmungen, weniger Getue unter Juden, wenn es um sexuelle Belange geht, weil dieses Bedürfnis gleichgesetzt ist mit dem Bedürfnis nach Essen und Trinken. Zitiert wird dazu ein Rabbiner aus dem 18. Jahrhundert: «Mann und Frau dürfen tun, was immer sie wollen. Sex ist nicht schmutzig oder schändlich. Sex zwischen einem Mann und seiner Frau ist Torah und Gebote.» Was bedeute, er sei auch spirituell.

 

Rückkehr des Messias

Das arg Schematische, in das die Autorin bisweilen hineinrutscht, bereitet ein gewisses Unbehagen. Auch weil sie immer wieder Vergleiche zum Christentum zieht, und zwar derart, als wäre das eine rückständige Glaubensgemeinschaft, die in vielerlei Hinsicht verklemmt und träge ist. Christen würden im Grunde nur auf die Rückkehr des Messias warten und quasi die Hände in den Schoss legen. Eine Lebenshaltung, die für Juden nicht in Frage käme. Auf diese Vergleiche zu verzichten, hätte dem Buch besser getan. Sie nehmen den jüdischen Weisheiten ein Stück weit ihre Kraft. Trotzdem wird die Neugierde geweckt, sich noch tiefer damit beschäftigen zu wollen.