Der Partykiller am Sommerabend des 14. August war die AEW AG mit Sitz in Aarau. Kurz vor 23 Uhr löste eines ihrer Elektrizitätswerke eine Schutzabschaltung aus, deren Ursache die Fachleute damals nicht erklären konnten, sieben Fricktaler Gemeinden sassen im Dunkeln. Im Werkhof der Brauerei Feldschlösschen in Rheinfelden wurde die Open-Air-Kinoveranstaltung mit tausend Gästen abgebrochen und die Feuerwehr aufgeboten, die mit ihren Notstromaggregaten das Gelände ausleuchtete und für eine sichere Heimkehr der Kinobesucher sorgte. Die Bierproduktion wurde «für einige Stunden unterbrochen», die Kühlprozesse waren jedoch nicht betroffen, wie die Feldschlösschen AG bestätigte. Noch nicht. Nüchtern schreibt das Unternehmen auf die Frage der zukünftigen Risikobewertung in der Energieversorgung: «Wir nehmen zur Kenntnis, dass von einem erhöhten Risiko für Stromausfälle auszugehen ist.»

Auf Blackout-Ereignisse haben sich die Bierbrauer jedenfalls vorbereitet. «Schon 2021/22 wurde ein Krisenstab mit internen Spezialisten gebildet, die jederzeit kurzfristig zum Thema zusammenkommen können», schreibt die Feldschlösschen AG.

In diesem Jahr, in dem die Stauseen gefüllt sind und die Flüsse ausreichend Wasser führen, kam es in der Schweiz schon zu mehreren grösseren und auch spektakulären Stromunterbrüchen. An einem Samstagabend im März stand für fast 50.000 Baselbieter die Welt während mehrerer Stunden still. Heizungen fielen aus. Die Wirte schickten die Gäste nach Hause, während der Energielieferant Primeo Energie im Kanton Baselland das Problem zu lokalisieren versuchte. 23 Mal versuchten die Verantwortlichen die Stromversorgung wiederherzustellen, bis der Schadensverursacher ermittelt war – ein Transformator, dessen Toleranz zu gering eingestellt war, als er zufliessenden und abfliessenden Strom verglich, und der sich daraufhin selbst vom Netz nahm.

Sind solche Ereignisse die Vorboten grossflächiger Blackouts, vor denen Bundesrat Guy Parmelin im Herbst 2021 die Wirtschaft warnte und sie zur Vorsorge aufrief? Im Zuge der bundesrätlichen Informationskampagne vor drei Jahren wurde eine internationale Mangellage für das Jahr 2025 prognostiziert. Gemäss den jüngsten Lagebeurteilungen des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung sei jetzt genügend Elektrizität vorhanden: «Die Energieversorgung der Schweiz ist derzeit sichergestellt.» Alle Kraftwerke sind am Netz, die Produktion der Flusskraftwerke liegt über der Norm.

 

Mehr Anzeichen von Instabilität

Sämtliche Statistiken zu den Interventionen – in der Fachsprache «Redispatch-Massnahmen» –, um das europäische Stromnetz stabil zu halten und Blackouts zu verhindern, lassen jedoch nichts Gutes erahnen. Mussten in Deutschland 2014 Stromzu- und -abschaltungen im Umfang von 4,249 Gigawattstunden vorgenommen werden, hat sich die Anzahl der Interventionen exponentiell vervielfacht – auf 24,813 Gigawattstunden im Jahr 2023, wie das Prognosen- und Studienunternehmen Statista veröffentlicht hat.

Auch das Archiv über die Redispatch-Massnahmen der Swissgrid, die für die Planung, den Einsatz und den Ausbau der Infrastruktur des Übertragungsnetzes in der Schweiz verantwortlich ist, zeigt in diese Richtung. Alleine die Anzahl archivierter Dateien zu den Ereignissen lässt Rückschlüsse auf das gestiegene Risiko zu: Im Jahr 2021 sind 167 Tabellen archiviert, die teilweise mehrere Ereignisse enthalten. Im Jahr 2023 mussten 548 Datensätze archiviert werden.

 

Spitäler als Lückenbüsser?

Die Instabilität im Netz ist folglich nicht einfach auf Mangellagen zurückzuführen. Dazu sollte man wissen: Das Angebot an Elektrizität und deren Nachfrage im gesamten Netzverbund müssen sich die Waage halten. Wird zu wenig Strom produziert beziehungsweise zu viel verbraucht, sinkt die Netzfrequenz, die bei fünfzig Hertz liegt. Kann das Gleichgewicht von Stromproduktion und -nachfrage nicht aufrechterhalten werden, droht das System zu kollabieren; Generatoren ziehen sich gegenseitig auf ein niedrigeres Frequenzniveau und werden dabei beschädigt. Hier kommen die erwähnten Redispatcher ins Spiel: Sie organisieren in Minutenschnelle sogenannte Regelenergie zur Stabilisierung des Stromnetzes oder weisen Kraftwerke an, ihre Produktion zu drosseln. Sie schalten Transportleitungen zu oder ab.

Die Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), die die Ereignisse in den deutschsprachigen Ländern Österreich, Schweiz und Deutschland beobachtet, bewertet die Lage zunehmend kritisch. Dies, obwohl der Stromverbrauch leicht rückläufig ist, was nicht zuletzt auf die Deindustrialisierung Europas zurückzuführen ist. «Die Entwicklungen in den letzten Monaten geben Anlass zur Sorge. Wir beobachten im europäischen Übertragungsnetz, das 29 Länder umfasst, immer mehr Schwachstellen und Fragilitäten», sagt GfKV-Präsident Herbert Saurugg. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis ein Aspekt nicht mehr beherrschbar sei und Europa von einem Blackout betroffen sein werde. «Ich gehe davon aus, dass dies in den nächsten fünf Jahren, eher früher als später, der Fall sein wird.»

Im Juni kam es bereits im Balkan zu einem länderübergreifenden Blackout. Die Experten hatten zwei Stunden Zeit, um die Stromversorgung wiederherzustellen. Aufgrund der Komplexität in Mitteleuropa geht Saurugg davon aus, dass es dort länger dauern könnte, einen Ausfall einzugrenzen.

Es ist volatil geworden. Um das Stromnetz stabilisieren zu können, wurde im Baselbiet auch schon spontan die Kapazität der Notstromaggregate der Kantonsspitäler abgerufen. Not macht erfinderisch und sorgt für originelle Lösungen.

Aber ob es sinnvoll ist, mit den Dieselmotoren der Spitäler das Schweizer Stromnetz zu stabilisieren, ist eine andere Frage, die jedoch in den Chefetagen der Stromproduzenten mit Händereiben beantwortet wird: Wer spontan die Regelenergie zur Stabilisierung des Netzes zur Verfügung stellen kann, erhält Spitzenpreise. Je länger die Motoren laufen, desto mehr wird verdient. «Die Ausfälle bieten enormes Potenzial, gerade für moderne, hoch flexible Händler», schreibt der Strommarkt- und Netzbeobachter Gridradar: «Fehlmengen durch Ausfälle führten zu kurzfristig hohen Preisen.»

Ein Garant für die Stabilität im Übertragungsnetz des europäischen Verbundsystems waren bisher die Synchrongeneratoren der stromerzeugenden Grosskraftwerke. Sie sind eine Art Stossdämpfer und gleichen kurzfristige Energieüberschüsse oder -defizite aus. Mit dem Zubau von Solar- und Windenergie und der gleichzeitigen Abschaltung fossiler Grosskraftwerke kam es jedoch zu einer starken Reduktion dieser Synchrongeneratoren, der systemrelevanten Stossdämpfer. Verschärfend kommt hinzu: Wenn die grossen und plötzlich auftretenden Windenergiemengen von der Nordsee nicht zu den Verbrauchern abtransportiert werden können, weil unter anderem die Transportleitungen fehlen, gehen in Deutschland weitere Grosskraftwerke mit ihren Synchrongeneratoren vom Netz – mit weitreichenden Folgen für Süddeutschland, wie Saurugg ausführt. Dort muss der fehlende Strom ad hoc organisiert werden.

Ein weiteres grosses Problem ist die Einspeisung grosser Mengen Solarenergie ins Netz. Über Mittag kommt es zu Spitzenproduktionen, im Winter aber reicht deren Erzeugung nie aus, und mittlerweile verlässt sich ganz Europa zur Deckung der Solarstromlücke auf französische Atomenergie. Stabilität sieht anders aus.

Um das Problem der Solarstrom-Überproduktion im Griff zu behalten, behält sich Primeo Energie das Recht vor, private Solarstromanlagen ferngesteuert abschalten zu können. Der Traum vom autarken Eigenheim ist in der Welt der erneuerbaren Energien zur Fata Morgana verkommen.

Erste Erfahrungen damit hat auch der Kaffeemaschinenproduzent Thermoplan aus Weggis (LU) gemacht. Auf dem Shuttlelagerdach liess das renommierte Unternehmen eine Fotovoltaikanlage mit 558 Paneelen installieren, mit der im Jahr 2019 «6300 Elektroautos hätten geladen werden können». Über ihre Energiesicherheit will Thermoplan keine Aussagen machen. Mitarbeiter erzählen jedoch, dass die Produktion bei einem Stromunterbruch, der auf einen Bergrutsch an der Axenstrasse zurückzuführen war, komplett zum Erliegen kam. Die Neustartprozesse der Produktionsanlagen dauerten mehrere Stunden, sodass die Mitarbeiter am Nachmittag nach Hause geschickt wurden.

Die Energieanalysten von Gridradar stellen für die Wirtschaft und die Wissenschaft Prognosen und Daten zur Netzstabilität zur Verfügung. Immer öfter dokumentiert die Organisation Frequenzanomalien im europäischen Übertragungsnetz und Zwischenfälle, die nicht mehr erklärt werden können. Gridradar spricht von «ungewöhnlichen Phänomenen», «überraschend starken und kurzen Frequenzabweichungen». Man sucht nach Erklärungen. Wie stabil das europäische Übertragungsnetz ist, sei schwer messbar, sagt Herbert Saurugg: «Die Zahlen zeigen einfach, dass das System sehr verletzlich geworden ist.»

 

Hoffen auf die Batterie

Die Tatsache, dass sich nun Wirtschaftskapitäne bereit erklären, in der Schweiz Milliarden in einen neuen Batteriespeicher – den grössten der Welt – zu investieren, offenbart die grosse finanzielle Bereitschaft, das Problem Netzstabilität anzupacken. Die Batterie mit einer Kapazität von 500 Megawatt soll auf dem ehemaligen Swissgrid-Areal in Laufenburg (AG) errichtet werden. Die Realisierungspläne sind sportlich: Das 170 Meter lange und 80 Meter breite Gebäude soll im Sommer 2028 in Betrieb genommen werden. Zur Steuerung werde künstliche Intelligenz verwendet.

Die Gesellschaft für Krisenvorsorge zeigt sich skeptisch. Eine Frequenzabweichung von 0,2 Hertz entspricht im europäischen Verbundsystem einer Leistungsdifferenz von rund drei Gigawatt. Wird eine 500-Megawatt-Batterie da ausreichen? «Auch grosse Batteriespeicher könnten aus heutiger Sicht die Synchrongeneratoren nicht ersetzen», sagt Saurugg und ergänzt: «Künstliche Intelligenz kann eine Unterstützung sein, ist aber fehleranfällig. Ein System, das nahezu keine Toleranzen hat, erträgt nicht den geringsten Fehler.»

 

Daniel Wahl ist Journalist in Basel.