Im französischen Parlament sitzt eine Sympathisantin der Hamas. Während des Wahlkampfs gab sie an, von ihrem Lebensgefährten und Genossen vergewaltigt worden zu sein – daraufhin wurde er in Untersuchungshaft genommen. Auf X kommentierte Alice Cordier, die Gründerin des «Collectif Némésis» gegen Masseneinwanderung und sexuelle Gewalt, den Fall mit «Antifaschist und Vergewaltiger». Cordier machte den Fall öffentlich, und später nannten die Zeitungen den Namen des Opfers: Ersilia Soudais.

Für Cordier war Köln ein Schock, der ihr Unbehagen gegenüber der islamischen Einwanderung bestätigte.

Zwei Wochen vor der Wahl stellte Cordier eine Tonaufzeichnung ins Netz, in der sie von Raphaël Arnault, ebenfalls Kandidat von Jean-Luc Mélenchons «La France insoumise» (LFI), als «Witzfigur» bezeichnet wird. Arnault droht ihr darin mit «einer Kugel in den Kopf». Weder diese Morddrohung noch die Tatsache, dass er vom Verfassungsschutz im geheimen «S»-Register potenzieller Terroristen geführt wird, konnten seine Wahl verhindern. Die Echtheit der Aufzeichnung bestreitet er nicht.

 

«Jetzt wird zurückgeschlagen»

Praktisch jede Woche sorgt in diesem Sommer eine Enthüllung oder Aktion des Collectif Némésis für Aufsehen. Cordier, 28, gründete die Bewegung vor fünf Jahren: «Wir sind die Generation Köln», verkünden die 200 Mitglieder im ersten Satz ihres Manifests. In Köln wurden in der Nacht vom 31. Dezember 2015 auf den 1. Januar mehr als tausend Frauen sexuell attackiert. Behörden und Medien verharmlosten lange das Ausmass dieses kollektiven Verbrechens. Dass diese Verharmlosung aufgedeckt wurde, ist auch dem algerischen Schriftsteller Kamel Daoud zu verdanken. Er beschrieb das sexuelle Elend der Migranten und ihr Verhalten ohne Rücksicht auf politische Korrektheit: «In den Ländern Allahs herrscht ein krankes Verhältnis zur Frau und zum Begehren. Das muss jeder wissen, der über die Kölner Silvesternacht spricht und nicht naiv erscheinen will.»

Auch für Cordier war Köln ein Schock, der ihr Unbehagen gegenüber der islamischen Einwanderung bestätigte. Es liegt nahe, sie als Rechtsextremistin zu bezeichnen: Sie ist Mitglied der «Action française», einer während der Dreyfus-Affäre von französischen Nationalisten und Royalisten gegründeten Bewegung, die ihre faschistische Vergangenheit nie verleugnet hat. Heute wird die Action française von Nostalgikern am Leben erhalten, ihr Einfluss ist gering. Das Logo des Nemesis-Kollektivs zeigt eine gewisse ideologische Verwandtschaft, die Cordier nicht abstreitet. Doch die Geschichte von Nemesis ist auch eine Emanzipation von dieser Vergangenheit. «Jetzt wird zurückgeschlagen» könnte man sie überschreiben.

«Meine Wurzeln liegen in der Bretagne» – eine katholische Region, die dem Rassemblement national länger widerstand als andere. Noch heute verbringt sie ihre Ferien auf einem Bauernhof dort. In Orléans, der Stadt der heiligen Johanna, ging sie zur Schule und absolvierte einige Semester Jura. Um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, hütete sie Katzen und ging mit Hunden spazieren. Dabei lernte sie einen behinderten ehemaligen Unternehmer kennen, zu dem sie eine Vater-Tochter-Beziehung aufbaute: «Er hat mir vermittelt, wie wichtig Arbeit und Disziplin sind. Und dass es im Leben darum geht, einen Sinn zu finden und das zu tun, was einem entspricht.»

 

Raffiniert wie Femen

Cordier brach ihr Studium ab und absolvierte in Paris eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin. Gerne wäre sie Leiterin eines Obdachlosenheims geworden. Doch sie machte eine Erfahrung, die ihre Überzeugungen bestätigte und sie veranlasste, «politisch aktiv zu werden», wie sie in einem Porträt der Zeitschrift Causeur erklärte: «Der Druck der Behörden, für Migranten Platz zu schaffen, ist gewaltig. Sie wurden den Franzosen, für die wir lange Wartelisten hatten, systematisch vorgezogen.»

Nach der Kölner Silvesternacht gründete Cordier zusammen mit anderen jungen Frauen eine Facebook-Gruppe. «Wir diskutierten über die Verlogenheit der Neofeministinnen.» Zur Gründung des Collectif Némésis entschloss sie sich nach einer Vergewaltigung in Nantes: «Die Zeitung Ouest-France interessierte sich mehr für das Schicksal der Migranten als für die Tat selbst», sagt sie, «es war, als ob man den Vergewaltigern mildernde Umstände zugestehen wollte.» An diesen Tag werde sie sich ihr ganzes Leben lang erinnern. «Ich war im Garten und rief alle meine Freundinnen an: ‹Wir müssen etwas tun!› Ich kochte vor Wut.» Ihre Freundinnen machten mit, und sie benannten das Komitee nach der griechischen Rachegöttin Nemesis.

Die erste Aktion war ungeschickt: Die Feministinnen schlichen sich in eine Demonstration ein und entrollten ihre Plakate, auf denen sie die Vergewaltigungen durch Einwanderer anprangerten. Sie wurden beschimpft und verjagt, doch die Aktion sorgte für viel Publizität. «Ich wurde interviewt, war darauf aber nicht vorbereitet», gesteht Cordier ein. «Und die Rechten haben uns nicht unterstützt – sie huldigen primär ihrem Antifeminismus.»

Némésis bezeichnet sich als «die Insel, auf der die Schiffbrüchigen des Feminismus Zuflucht finden».

Sie hat gelernt, wie man mit Journalisten umgeht, und ist regelmässig auf dem konservativen Sender CNews zu sehen. Sie wurde interviewt, nachdem ein jüdisches Mädchen von seinem muslimischen copain und zwei Freunden vergewaltigt worden war – zur Strafe für ihre Religion, die sie verschwiegen hatte. Die Inszenierungen des Collectif Némésis sind inzwischen so raffiniert und plakativ wie die von Femen – obschon die rechten Aktivistinnen auf das Entblössen ihrer Brüste verzichten. Ihre Auftritte beim Karneval von Besançon, an der woken Pariser Eliteschule Sciences Po und beim Filmfestival in Cannes sind im öffentlichen Bewusstsein präsent. Regelmässig veranstaltet das Kollektiv als Reaktion auf den weltweiten «Hijab Day» seinen «No Hijab Day». In Lille wurden die Aktivistinnen wegen eines Spruchbands, das sie aus dem Fenster des Hotels «Carlton» hängten, festgenommen. Klagen wurden gegen den Slogan «Rapefugees not welcome» erhoben – eine Wortschöpfung, die «Vergewaltigung» (rape) und «Flüchtling» (refugee) kombiniert. «Ja, wir wollen die Ausschaffung der Vergewaltiger», twitterte Cordier als Antwort an einen Stadtpräsidenten: «Und Sie?»

 

Von linken Soziologen schubladisiert

Neben der Fremdenfeindlichkeit wird Cordier auch der Transphobie bezichtigt: Sie kritisiert die Selbstbestimmung und Transformation des biologischen Geschlecht («Man wird als Frau geboren»). In Bezug auf Abtreibung gibt es innerhalb der «Nationalfeministen», wie sie die linke Soziologie schubladisiert, unterschiedliche Meinungen. Cordier stellt das Recht auf Abtreibung nicht grundsätzlich in Frage, bedauert jedoch die hohe Zahl der Abbrüche. Sie strebt keine Gleichheit der Geschlechter an, sondern plädiert für ihre «Komplementarität» und ist überzeugt, dass unsere Zivilisation, die sie als durch den Islam bedroht ansieht, am meisten zur Emanzipation der Frauen beigetragen hat. Gegen die Bezeichnung «identitärer Feminismus» hat sie keine Einwände. Bei der Präsidentschaftswahl gab sie eine Empfehlung für Marine Le Pen ab.

Das Collectif Némésis bezeichnet sich selbst als «die Insel, auf der die Schiffbrüchigen des Feminismus Zuflucht finden», so steht es im Manifest der «Generation Köln». Zuflucht fand hier auch Mila, die sich als Lesbierin outete und den Islam kritisierte. Wochenlang wurde die Schülerin in den sozialen Netzwerken gejagt und bedroht. Nicht ihre Verfolger wurden bestraft – Mila musste die Schule wechseln und untertauchen. Nun ist Mila landesweit bekannt und gehört zum Kollektiv der Rächerinnen. Vor einem Jahr wurde sie Zeugin der Morddrohungen, die der neue Abgeordnete Arnault gegen Cordier aussprach, und hat seine Tirade heimlich mit dem Handy aufgenommen.

Dass das Kollektiv Nemesis über die Vergewaltigung von Soudais informiert war, verdeutlicht die Bekanntheit des Kollektivs. Jüngst hat es einen Täter, der Frauen an der Côte d’Azur belästigte, unschädlich gemacht. Nach einem ersten Video im Internet meldeten sich mehrere Opfer. «Wir wissen alles über ihn», sagt Cordier. Der Mann wurde festgenommen. Vor mehr als einem Jahr war er zum Verlassen des Landes verurteilt worden – und ist untergetaucht.

 

Enormer Einfluss

Männer werden vom Kollektiv Nemesis nur als Sympathisanten aufgenommen: Sie dürfen Geld spenden und eventuell als Schutztruppe bei Demonstrationen mitwirken. Zwei aktive Mitglieder leben in der Schweiz – eine Französin im Waadtland und eine Walliserin. Sie treten auf X und Instagram in Erscheinung. Bei einer Demonstration des «Frauenstreiks» gegen sexuelle Gewalt in Lausanne wurden sie als Eindringlinge unsanft vertrieben, worüber in der welschen «Tagesschau» berichtet wurde.

Der Einfluss des Kollektivs Nemesis ist enorm. Jetzt will man in weiteren Teilen Europas tätig werden. «In fünf Jahren», ist Alice Cordier überzeugt, «werden alle so denken wie wir.»