So erfinderisch der kämpfende Mensch sein mag, die Tiere haben fast alle Angriffs- und Verteidigungstechniken schon längst entwickelt. Der Schützenfisch lebt in den Mangrovensümpfen Südostasiens. Sieht er ein verlockendes Insekt auf einem Blatt über der Wasseroberfläche, schwimmt er in eine Position direkt unterhalb der Beute und schiebt sein Maul knapp über die Wasseroberfläche. Dann folgt eine ballistische Meisterleistung: Der Schützenfisch drückt seine Zunge gegen eine tiefe Rinne am Gaumendach und feuert mit kräftiger Kontraktion der Kiemendeckel einen Wasserstrahl mit solcher Wucht durch den biologischen Gewehrlauf, dass die Beute von der Unterlage gefegt wird und dem wartenden Schlund entgegentaumelt. Der etwa handgrosse Fisch trifft seine Beute noch auf zwei Meter.

Sollte der erste Schuss danebengehen, korrigiert der Fisch den Abschusswinkel und trifft beim zweiten Versuch dann sicher. Dabei knallt er den Mundvoll Wasser dem Opfer nicht einfach als geballte Ladung auf den Körper. Die Zungenspitze als rasches Ventil nutzend, zerteilt er den Wasserstrahl in einen Hagel einzelner Tropfen. Mit der Zungenspitze steuert er auch die genaue Schussrichtung. Als Ziel wählt der Fisch nicht den Körper des Opfers, sondern den Ort zwischen Insekt und Blattunterlage, wodurch die Beute durch eine Flutwelle um den Halt gebracht wird.

Noch verblüffender ist die Schiesstechnik der Bombardierkäfer, einer in Afrika und Mittelamerika heimischen Unterfamilie der Laufkäfer. Sie haben das Prinzip der binären chemischen Kampfstoffe und den Raketenantrieb entwickelt. Der Käfer produziert in Nebenafterdrüsen Hydrochinon und Wasserstoffperoxid und lagert die beiden Chemikalien getrennt in Sammelblasen. Fühlt sich der Käfer bedroht, leitet er die Stoffe in eine grosse, muskulöse Mischkammer und über ein Ventil in eine kleinere, äussere Kammer – dem Raketentriebwerk.

Dort warten oxidativ wirkende Enzyme, die sofort mit den Chemikalien reagieren. Hydrochinon verwandelt sich explosionsartig in Benzochinon, einen stechend riechenden und die Schleimhäute reizenden Kampfstoff. Aus dem Wasserstoffperoxid aber wird Knallgas und treibt durch das Endventil der Drüse jetzt raketenartig das üble Zeug dem Störenfried entgegen. So vermag der kleine Käfer seine Feinde bis auf einen halben Meter weit zu treffen – wo immer sie auch auftauchen, denn der Käfer kann die Spitze des Hinterleibs wie einen Geschützturm rasch in jede Richtung drehen. Selbst grosse Tiere spucken einen Bombardierkäfer umgehend wieder aus: Der Kampfstoff schmeckt nicht nur ätzend, sondern ist durch die Reaktion auch 100 Grad Celsius heiss geworden.

 

Pulsstrahltriebwerk

Um 1990 entdeckte eine amerikanische Biologengruppe ein weiteres erstaunliches Detail: Ein zeitliches Auflösen von Tonaufnahmen des Käferfeuerwerks ergab nicht einen Einzelknall, sondern eine rasche Folge von Mini-Explosionen. Hochgeschwindigkeits-Filmaufnahmen bestätigten den akustischen Befund: Der Bombardierkäfer bringt es fertig, seine Rakete mit der extremen Wiederholungsrate von 500 Explosionen pro Sekunde zu feuern.

Damit hat die Natur auch das Prinzip des Pulsstrahltriebwerks vorweggenommen. Die deutschen Raketenpioniere entwickelten nach diesem Prinzip ihre fliegende Bombe V1, die ab 1944 den Engländern schlaflose Nächte bereitete. Wie bei der V1 regelt sich auch das Triebwerk des Käfers automatisch: Je nach Druckdifferenz zwischen Mischkammer und Reaktionskammer schliesst oder öffnet sich das Rückschlagventil zwischen den beiden Kammern und schickt die Chemikalien portionenweise zur Verbrennung.

 

Herbert Cerutti ist Autor und Tierexperte.