Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Vergessenes deutsches Sprichwort

 

Berlin

Mehr Mut und mehr Freude – das wünschen wir Deutschland. Aber Tristesse beherrscht die Bundesrepublik. Der novembertrübe Ampel-Blues hat das stets fiebrige Berlin erfasst. Unter dunklen, nassen Wolken verbreitet sich politische Trostlosigkeit. Der einzige Lichtblick ist, dass inzwischen alle Beteiligten eingesehen haben, dass es so nicht weitergehen kann.

Solche Bilder habe ich im Bundestag noch nie gesehen. Mit ausdruckslosen, graugrünen Gesichtern lauschten Kanzler Scholz, Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner dieser Tage bleiernen, nicht mehr enden wollenden Debatten. Da war kein Feuer, kein Wille, keine Überzeugung mehr zu spüren, lebende Mumien, Wachsfiguren der Melancholie.

Die Umfragewerte sind vernichtend. In Scharen wenden sich die Leute ab. Und soeben versetzte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, angesehener Wächterrat der Demokratie, den Ampel-Männern einen brutalen Schlag. Sechzig Milliarden Euro seien widerrechtlich umgeschichtet worden. Die wilde Schuldenakrobatik von Habeck und Lindner werten die Richter als Verfassungsbruch.

Doch der Grossangriff der Politik aufs Portemonnaie der Bürger geht ungehindert weiter: Die Mehrwertsteuern im Gastgewerbe steigen ab Januar von 7 auf 19 Prozent. Massiv teurer wird dadurch das Essen. Die Regierung verdoppelt die Lastwagen-Maut, die Gas-Steuern steigen, und auch die CO2-Abgabe schiesst nach oben. Der Mittelstand verarmt. Der Staat füllt sich die Kassen.

Die Frage ist, wann die geplünderten Bürger auf die Barrikaden steigen. Vorerst demonstrieren in Deutschlands Städten erst die Islamisten, doch der deutsche Verfassungsschutz befasst sich lieber mit den Reichsbürgern und der AfD. Das ungelöste Migrationsproblem gibt vielen Deutschen das Gefühl, sie seien die Indianer im eigenen Land. Muss Deutschland pleitegehen, bevor sich etwas ändert?

Kriege bieten immer eine willkommene Ablenkung von der heimischen Misere. Es ist bemerkenswert, wie viel Energie deutsche Politiker in die rhetorische Bewirtschaftung von internationalen Krisen investieren, zu deren Beendigung sie ja doch nichts beitragen. Roderich Kiesewetter (CDU) dominierte diesen Schönheitswettbewerb der Moralisten: «Wir müssen bereit sein, für Israel zu sterben!»

Immer mehr Deutsche beschleicht bei solch gratismutigen Parolen ein mulmiges Gefühl. Anders als die schneidigen Talkshow-Generäle dürften sie es differenzierter sehen. Jeder Krieg hat viele Väter. Eindimensionale Schuldzuweisungen greifen immer zu kurz. Lieber früher als später braucht es politische Lösungen, Kompromisse, muss man wieder miteinander reden.

Doch gerade daran krankt es in Deutschland besonders. Jedes falsche Wort ist ein Verbrechen. Die etablierten Parteien verschanzen sich, bunkern sich ein hinter «Brandmauern» und verweigern das Gespräch mit der Opposition. Gegen das klirrende, imperiale Berlin von Baer-bock und Co. war die Bonner Republik von Adenauer, Strauss und Brandt ein Eldorado der Toleranz und Meinungsfreiheit.

Es kommt eben nicht gut, wenn sich Medien und Politik auf zu engem Raum verklumpen. Einst sassen die Politiker in Bonn, die Journalisten in Hamburg, und Westberlin war weit weg, eine geteilte Stadt, die in damals feindseliger Umgebung als bunte Wohngemeinschaft faszinierte. Heute hocken alle aufeinander. Die Distanz geht verloren. Die Milieus bestätigen sich in ihren Vorurteilen.

Dabei liegt Deutschlands Charme, seine durch Windräder und Solarplatten leider zusehends verschandelte auch landschaftliche Romantik in der Dezentralität, der Vielfalt der Stämme und der Regionen. Das streberhaft hochgetriebene Berlin, man verzeihe diesen vielleicht auch ahnungslosen Seufzer aus der Schweiz, hatte immer schon etwas Aufgesetztes, undeutsch Überdröhntes.

Wie in der Schweiz sind die Städte an die Rot-Grünen verloren. Aus dem Land, aus der Provinz müssten die Bürgerlichen ihre Werte, ihre Grundsätze, das Erfolgsrezept der Republik, in Erinnerung rufen. Der Osten ist dabei, anders, als die Bewohner der Berliner Blase trompeten, nicht Hindernis, sondern Leuchtturm der Demokratie. Ex oriente lux. Aus dem unterschätzten Osten kommt das Licht.

Deutschland macht schlapp. Statt Leistung gilt Freizeit. Von 84 Millionen Einwohnern ziehen nur noch 14 Millionen Netto-Steuerzahler den Wagen. Die «Work-Life-Balance» ist aus dem Gleichgewicht: Es gibt kein «Work», nur noch «Life». Das aber scheint gewollt: Deutschlands Sozialstaat belohnt Faulheit. Fleiss und Arbeit werden bestraft. Aus dem «Home-Office» kommen keine Wirtschaftswunder.

Das traurigste Kapitel ist die FDP. Finanzminister und Parteichef Lindner, ein Virtuose der selbstgefälligen Eloquenz, verantwortet als oberster Schuldenjongleur den von Karlsruhe verurteilten Verfassungsbruch. Der Partei droht, erneut, ein fürchterlicher Absturz. Lindner wirkte diese Woche etwas entrückt, als denke er bereits über einen lukrativen Wechsel in die private Wirtschaft nach.

Natürlich ist Deutschland noch lange nicht verloren. Es grenzt an ein Wunder, was die unter behördlichen Bleiplatten begrabenen Unternehmen, industrielle Familienbetriebe mit langer Tradition, vor allem im Süden des Landes nach wie vor an Wertschöpfung zustande bringen. Täglich trotzen sie dem Wahnsinn aus Berlin. Längst hätten sie den Wirtschaftsnobelpreis verdient.