Joe Bidens Überraschungsbesuch in der ukrainischen Hauptstadt wird in Moskauer pro-russischen Kreisen vergleichsweise abgeklärt kommentiert.

Dort zweifelt ohnehin niemand, dass der gründlich misslungene russische Blitzkrieg vor einem Jahr sich in einen zähen westlich-russischen Krieg verwandelt hat. Es ist dieser Umstand, der die verbissene Kriegsunterstützung breiter Bevölkerungsteile auch zwölf Monate nach dem Einmarsch in das ostslawische Bruderland erklärt.

Russische Nachrichtenagenturen melden, Bidens Reise (zehn Stunden von Polen aus mit der Bahn) sei mit Moskau abgesprochen und von dort abgesegnet gewesen. Der kremlnahe Politologe Sergei Markow schreibt: «Biden kommt nach Kiew, nicht weil er mutig ist, sondern weil sein Feind Putin ehrlich und zivilisiert ist.»

Laut der in Paris lebenden Carnegie-Politexpertin Tatjana Stanowaja bestätige das Treffen «zum wiederholten Mal», wie sehr die USA eine strategische Niederlage Russlands anstrebten – und wie sehr der Krieg zwischen Russland und dem Westen unwiderruflich geworden sei.

Das Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften Alexander Gusew schlägt in die gleiche Kerbe und meint, Bidens Kiew-Reise «demonstriert, dass der kollektive Westen zur Konfliktpartei geworden ist». Russland kämpfe nicht mit der Ukraine und «erst recht nicht mit dem ukrainischen Volk». Die Kiewer Machthaber verkörperten ein Instrument des kollektiven Westens.

In der Talkrunde «Wetscher» des Kreml-Propagandisten Wladimir Solowjow behauptete der russisch-israelische Politiker und Diplomat Jakow Kedmi, Polen werde zur «wesentlichen kriegerischen Faust» gegen Russland aufgebaut. Deutschland und Frankreich seien beide dazu nicht mehr fähig. Er forderte, russische Truppen in der Westukraine bei Rowno kurz vor der polnischen Grenze zu stationieren.