Eine längere Lebensarbeitszeit angesichts zusammenbrechender Rentensysteme und Fachkräftemangel – das gehört bei Konzernlenkern und Verbänden zur Standardargumentation, wenn sie fordern, was sich am Standort Deutschland verbessern muss. Gehen sie dann zurück ins Büro, machen sie das Gegenteil: Der vorgezogene Ruhestand als Mittel, Stellen zu streichen, ist gerade ganz gross in Mode.

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Rainer Dulger, appelliert an die Bundesregierung, die Lebensarbeitszeit zu flexibilisieren: «Stoppt umgehend die Frühverrentungsanreize.» Telekom-Chef Tim Höttges fügt hinzu: «Wohlfühlthemen» wie die Viertagewoche seien «absurd angesichts der zurückgehenden Produktivität». Und VW-Chef Oliver Blume erklärt, Diskussionen um mehr Work-Life-Balance oder eine Viertagewoche bei gleicher Bezahlung gingen «in die falsche Richtung». Die Deutschen müssen nicht weniger, sondern mehr arbeiten, lautet die einhellige Analyse der Wirtschaftsführer in Interviews, auf Podien und bei Reden.

Wirklich? Wenn ein paar dieser Firmenchefs montags wieder an ihre Schreibtische zurückkehren, treffen sie Entscheidungen, die so gar nicht zu dem passen, was sie eben noch verkündet haben. Zum Beispiel VW-Chef Oliver Blume: Der Konzern hat gerade ein grosszügiges Altersteilzeitangebot für Beschäftigte des Jahrgangs 1965 angekündigt. Bislang nehmen durchschnittlich 70 Prozent eines Jahrgangs bei VW das Angebot an. Allein seit Februar sind 4800 Anfragen zum Altersteilzeitprogramm eingegangen.

Tatsächlich ist der vorgezogene und finanziell gut abgefederte Ruhestand eine der beliebtesten Regelungen dafür, «sozialverträglich» Stellen zu streichen. Beim Autozulieferer Bosch sollen 1500 Stellen in der Antriebssparte wegfallen. Wie das geht? Nicht zuletzt durch Vorruhestands-Regelungen, heisst es von Bosch. Mit Elan geht Bayer ans Werk. Der Leverkusener Chemiekonzern will in Deutschland massiv Stellen abbauen. Den betroffenen Beschäftigten werden hohe Angebote für Vorruhestands-Regelungen gemacht. Der Konzern bietet älteren Beschäftigten die Möglichkeit zur Frühverrentung – schon ab 57 Jahren. In einigen Fällen ist es möglich, dass die Zahlungen bis ans Erreichen der Regelaltersgrenze dauern.

Deutschland verabschiedet sich damit in den Vorruhestand. Auch wenn die Konzernchefs eigentlich das Gegenteil wollen – aber eben nur sonntags.