Am 18. Oktober 2020 nannte Bundeshaus-Redaktorin Camilla Alabor im Sonntagsblick den Tessiner Freisinnigen Ignazio Cassis den «liebenswertesten» aller Bundesräte. Doch dann stellte sie folgende Frage in den Raum: «Wie kommt es, dass er dennoch die schlechteste Presse hat?»
Die Protokolle der Einvernahmen, die Sonderstaatsanwalt Peter Marti geführt hat und die CH Media vorliegen, beantworten diese Frage. Cassis’ schlechte Presse dürfte daher kommen, dass der engste Mitarbeiter von Bundesrat Alain Berset (SP) – sein Kommunikationschef Peter Lauener (SP) – den Aussenminister beim Sonntagsblick aktiv angeschwärzt und schlechtgemacht hat.
Erneut bemühte das Blatt damals im Fall Cassis das Bild des «Praktikanten»; es sprach von seinen «unbedachten Äusserungen», «zerschlagenem Geschirr», «Fehltritten» und «Fettnäpfchen». Aber auch von einem «Spin der politischen Gegner». Die jetzt in Auszügen publizierten Einvernahmen geben deutliche Hinweise, um welche Spins und welche politischen Gegner es sich gehandelt hat.
Speziell kritisierte der Sonntagblick Cassis’ «Zickzackkurs», den der studierte Arzt in der Corona-Politik angeblich verfolgt habe: «Zum Beispiel, als der Tessiner während des Lockdowns im Bundesrat entgegen seiner vorherigen Linie plötzlich auf eine schnellere Öffnung drängte.»
Es liegt nahe, dass diese Kritik und die damit verbundenen Indiskretionen aus dem Bundesratszimmer auf das Gesundheitsdepartement zurückgehen. Redaktorin Alabor hatte nämlich vor ihrem Artikel Bersets Medienchef Peter Lauener um ein Hintergrundgespräch und eine Einschätzung gebeten, warum Cassis «im Bundesrat immer noch nicht recht angekommen scheint» und sich «fortwährend im Verteidigungsmodus» befinde. Laut CH Media hat Lauener wenig später geantwortet, er werde sich melden.
Sonderermittler Peter Marti befragte Peter Lauener, wie er eine solche «Destabilisierung von Bundesrat Cassis» beziehungsweise einen entsprechend entstehenden Eindruck beurteile. Dessen Antwort lautete: «Ich sage nichts.»
Auch Bundesrat Berset mochte zum Mailverkehr zwischen Alabor und Lauener nicht Stellung nehmen: «Ich mache keine Aussage. Ich bin hier in einer ungemütlichen Situation, weil ich nicht weiss, was dieses Thema soll. Ich möchte mich ja nicht strafbar machen.»
Auch auf weitere Fragen zum Thema ging Berset nicht ein, etwa, als ihm Sonderermittler Marti vorhielt: «Wie würden Sie reagieren, wenn Sie von derartigen Destabilisierungsversuchen von anderen Departementen gegenüber Ihnen erführen?»
Bundesrat Alain Berset unternahm also noch nicht einmal den Versuch, abzustreiten, dass er in die Intrigen seines Intimus gegen einen Amtskollegen eingeweiht war. Dabei war das Bundesratskollegium gerade damals – auf dem Höhepunkt der Covid-Pandemie – ganz besonders auf ein kollegiales Miteinander angewiesen.
Die neue Wendung macht die Affäre Berset/Lauener endgültig zum politischen Skandal. Alain Berset hat jetzt mehr als das Vertrauen der Landesregierung verspielt. Ihm droht der Vertrauensverlust des ganzen Landes, dem er als Bundespräsident vorstehen müsste.
PS: Es gilt die Unschuldsvermutung.