Jeffrey D. Sachs, Wirtschafts-Professor an der Columbia Universität und ehemaliger Uno-Berater, hielt diese Rede am 20. November vor dem Uno-Sicherheitsrat. Wir dokumentieren seinen Gastbeitrag im Wortlaut und übersetzt.

Das heutige Treffen findet in einer Zeit statt, in der mehrere grosse Kriege im Gange sind.

In meiner Rede werde ich auf vier davon eingehen: den Krieg in der Ukraine, der 2014 mit dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch begann, den Krieg zwischen Israel und Palästina, der seit 1967 immer wieder aufflammt, den Krieg in Syrien, der 2011 begann, und die Sahel-Kriege, die 2012 in Mali begannen und sich inzwischen auf die gesamte Sahelzone ausgeweitet haben.

Diese Kriege scheinen unlösbar, aber das sind sie nicht. Ich würde sogar behaupten, dass alle vier Kriege durch eine Einigung im UN-Sicherheitsrat schnell beendet werden könnten.

Ein Grund dafür ist, dass grosse Kriege von aussen unterstützt werden müssen, sowohl mit Geld als auch mit Waffen. Der Uno-Sicherheitsrat könnte sich darauf einigen, diese schrecklichen Kriege zu beenden, indem er Geld und Waffen von aussen zurückhält. Das würde eine Vereinbarung zwischen den Grossmächten voraussetzen.

Der andere Grund, warum diese Kriege schnell beendet werden könnten, ist, dass sie durch wirtschaftliche und politische Faktoren verursacht werden, die durch Diplomatie und nicht durch Krieg gelöst werden können.

Indem sich der Sicherheitsrat mit den zugrundeliegenden politischen und wirtschaftlichen Faktoren befasst, kann er die Voraussetzungen für Frieden und nachhaltige Entwicklung schaffen. Lassen Sie mich kurz auf jeden der vier Kriege eingehen.

Der Krieg in der Ukraine

Der Krieg in der Ukraine hat im Wesentlichen zwei politische Ursachen. Die erste ist der Versuch der Nato, sich in der Ukraine auszubreiten, trotz der rechtzeitigen und wiederholten Einwände Russlands. Russland betrachtet die Nato-Präsenz in der Ukraine als ernsthafte Bedrohung seiner Sicherheit.

Ein zweiter politischer Grund ist die ethnische Teilung der Ukraine in Ost und West, die zum Teil auf sprachlichen, zum Teil auf religiösen Gründen beruht. Nach dem gewaltsamen Sturz von Präsident Wiktor Janukowitsch 2014 spalteten sich ethnisch russische Regionen von der nach dem Putsch eingesetzten Regierung ab und forderten Schutz und Autonomie.

Das Minsk-II-Abkommen, das der Sicherheitsrat in seiner Resolution 2202 ohne Gegenstimme verabschiedet hatte, forderte die Verankerung der regionalen Autonomie in der ukrainischen Verfassung. Das Abkommen wurde jedoch von der Ukraine nie umgesetzt, obwohl es vom UN-Sicherheitsrat unterstützt wurde.

Die wirtschaftliche Ursache des Krieges liegt darin, dass die ukrainische Wirtschaft sowohl nach Westen in Richtung Europäische Union als auch nach Osten in Richtung Russland, Zentralasien und Ostasien ausgerichtet ist.

Als die EU versuchte, ein Freihandelsabkommen mit der Ukraine auszuhandeln, äusserte Russland die Befürchtung, dass sein eigener Handel und seine Investitionen in der Ukraine untergraben würden, wenn es nicht zu einem dreiseitigen Abkommen zwischen der EU, Russland und der Ukraine käme, um sicherzustellen, dass der ukrainisch-russische Handel und die ukrainischen Investitionen neben dem Handel zwischen der EU und der Ukraine aufrechterhalten würden.

Dies ist ein bekanntes Verfahren bei Handelsverhandlungen. Leider war die EU offensichtlich nicht bereit, ein solches dreiseitiges Abkommen mit Russland auszuhandeln, und die konkurrierende Ost-West-Ausrichtung der ukrainischen Wirtschaft wurde nie geklärt.

Der Rat könnte den Krieg in der Ukraine schnell beenden, indem er sich mit den zugrunde liegenden politischen und wirtschaftlichen Ursachen befasst.

Auf politischer Ebene sollten sich die P-5 (die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates) darauf einigen, der Ukraine eine Sicherheitsgarantie zu geben und gleichzeitig zu vereinbaren, dass die Nato nicht auf die Ukraine ausgedehnt wird, um Russlands Bedenken gegen eine Nato-Erweiterung Rechnung zu tragen.

Der Rat sollte auch versuchen, eine dauerhafte Lösung für die ethnische Spaltung der Ukraine zu finden.

Auf der wirtschaftlichen Seite gibt es zwei Überlegungen, eine politische und eine finanzielle.

Politisch gesehen hat die Ukraine ein starkes wirtschaftliches Interesse daran, der Europäischen Union beizutreten und gleichzeitig offene Handels- und Finanzbeziehungen mit Russland und dem Rest Eurasiens zu unterhalten. Die Handelspolitik der Ukraine sollte integrativ sein und alles daransetzen, dass die Ukraine als lebendige wirtschaftliche Brücke zwischen dem Osten und dem Westen Eurasiens fungieren kann.

Auf der Finanzierungsseite benötigt die Ukraine Mittel für den Wiederaufbau und für neue physische Infrastrukturprojekte wie Hochgeschwindigkeitszüge, erneuerbare Energien, 5G und die Modernisierung der Häfen.

Wie ich weiter unten erläutern werde, empfehle ich, dass der Sicherheitsrat einen neuen Fonds für Frieden und Entwicklung einrichtet, um die Mittel zu mobilisieren, die der Ukraine und anderen Kriegsgebieten helfen werden, den Krieg zu beenden und zu einer langfristigen, nachhaltigen Erholung und Entwicklung überzugehen.

Krieg in Israel und Palästina

Denken wir auch an den Krieg in Israel und Palästina. Auch hier könnte der Krieg schnell beendet werden, wenn der Rat die zahlreichen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates der letzten Jahrzehnte umsetzen würde, in denen die Rückkehr zu den Grenzen von 1967, der Stopp der israelischen Siedlungstätigkeit in den besetzten Gebieten und die Zwei-Staaten-Lösung gefordert werden, wie in den Resolutionen 242, 338, 1397, 1515 und 2334.

Es ist offensichtlich, dass Israel und Palästina nicht in der Lage sind, Vereinbarungen zu treffen, die diesen Resolutionen des Uno-Sicherheitsrates entsprechen, da die Hardliner auf beiden Seiten die gemässigten Kräfte, die einen Frieden auf der Grundlage der Zwei-Staaten-Lösung anstreben, immer wieder daran hindern.

Deshalb ist es aus meiner Sicht höchste Zeit, dass der UN-Sicherheitsrat seine Beschlüsse durchsetzt und eine gerechte und dauerhafte Lösung im Interesse Israels und Palästinas beschliesst, anstatt zuzulassen, dass die Hardliner auf beiden Seiten das Mandat des Rates ignorieren und damit den Weltfrieden gefährden.

Ich empfehle dem Rat, innerhalb weniger Tage oder Wochen den Staat Palästina anzuerkennen und Palästina als Vollmitglied in die Vereinten Nationen aufzunehmen, mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt und souveräner Kontrolle über die heiligen Stätten des Islam.

Der Rat sollte eine Friedenstruppe unter starker Beteiligung der arabischen Nachbarstaaten aufstellen, um die Sicherheit in Palästina zu gewährleisten. Ein solches Ergebnis entspricht dem überwältigenden Willen der internationalen Gemeinschaft und dem offenkundigen Interesse sowohl Israels als auch Palästinas, trotz der lautstarken Einwände der entschiedenen Gegner auf beiden Seiten der Grenzlinie.

Die politische Strategie muss von einer wirtschaftlichen Strategie begleitet werden. Das Wichtigste ist: Der neue souveräne Staat Palästina muss wirtschaftlich lebensfähig sein. Ich werde einige Beispiele nennen, wie dies erreicht werden kann. Vor allem aber sollten sowohl Israel als auch Palästina Teil eines integrierten Plans für die nachhaltige Entwicklung des östlichen Mittelmeerraums und des Nahen Ostens werden, der die Klimaresilienz und den Übergang der Region zu grüner Energie unterstützt.

Der Krieg in Syrien

Ebenso könnte der Rat den Krieg in Syrien beenden. Der Krieg in Syrien brach 2011 aus, als sich mehrere regionale Mächte und die Vereinigten Staaten zusammenschlossen, um die Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu stürzen.

Dieser zutiefst fehlgeleitete Versuch eines Regimewechsels scheiterte, löste jedoch einen lang anhaltenden Krieg aus, der zu einem enormen Blutvergiessen und zu grosser Zerstörung, auch des reichen antiken Kulturerbes Syriens, führte.

Der Rat sollte deutlich machen, dass alle ständigen Mitglieder des Uno-Sicherheitsrates – China, Frankreich, Grossbritannien, Russland und die USA – und die Nachbarländer Syriens sich darin einig sind, dass alle Versuche eines Regimewechsels nun endgültig beendet sind und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beabsichtigt, eng mit der syrischen Regierung beim Wiederaufbau und der Entwicklung zusammenzuarbeiten.

In wirtschaftlicher Hinsicht besteht die beste Hoffnung für Syrien darin, sich eng in die Region des östlichen Mittelmeers und des Nahen Ostens zu integrieren, insbesondere durch den Aufbau einer physischen Infrastruktur, die Syrien mit der Türkei, dem Nahen Osten und den Mittelmeerländern verbindet.

Der Krieg in der Sahelzone

Der Krieg in der Sahelzone hat ähnliche Wurzeln. So wie die regionalen Mächte 2011 das Regime von Baschar al-Assad stürzen wollten, versuchten die Nato-Mächte, das Regime von Muammar al-Gaddafi zu stürzen.

Dabei überschritten sie in eklatanter Weise das Mandat der Resolution 1973 des Uno-Sicherheitsrates, das zwar den Schutz der libyschen Zivilbevölkerung, nicht aber einen Regimewechsel unter Führung der Nato erlaubte.

Der gewaltsame Sturz der libyschen Regierung griff schnell auf die verarmten Länder der Sahelzone über. Allein die Armut machte diese Sahelländer sehr anfällig für den Zustrom von Waffen und Milizen. Die Folge waren anhaltende Gewalt und zahlreiche Staatsstreiche, die die Chancen auf wirtschaftlichen Aufschwung ernsthaft untergraben.

Die Länder der Sahelzone bilden einen natürlichen Verbund für regionale Wirtschaftsinvestitionen in die Infrastruktur. Die gesamte Region benötigt dringend Investitionen in die Elektrifizierung, den digitalen Zugang, die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, den Strassen- und Schienenverkehr sowie in soziale Dienstleistungen, insbesondere in Bildung und Gesundheit.

Die Sahelzone ist eine der ärmsten Regionen der Welt, wenn nicht sogar die ärmste, und die lokalen Regierungen sind völlig ausserstande, die notwendigen Investitionen zu finanzieren. Auch hier ist die Sahelzone, vielleicht mehr als jede andere Region, auf externe Finanzierung angewiesen, um den Übergang von Krieg zu Frieden und von extremer Armut zu nachhaltiger Entwicklung zu schaffen.

Lösung eins: Der Sicherheitsrat beendet diese Kriege

Die fünf ständigen Mitglieder China, Frankreich, Grossbritannien, Russland und die USA, ja die ganze Welt leidet unter den negativen Folgen der Fortsetzung dieser Kriege. Alle Länder zahlen einen hohen Preis in Form von finanziellen Belastungen, wirtschaftlicher Instabilität, Terrorismusgefahr und der Gefahr weiterer Kriege.

Der Sicherheitsrat ist in der Lage, entschlossene Massnahmen zu ergreifen, um diese Kriege zu beenden, denn es ist klar, dass alle Mitglieder des Sicherheitsrates, vornehmlich die fünf Veto-Mächte, ein Interesse daran haben, diese lang andauernden Kriege zu beenden, bevor sie zu noch gefährlicheren Konflikten eskalieren.

Der Sicherheitsrat ist durch die Uno-Charta mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, wenn seine Mitglieder dazu entschlossen sind. Er kann Friedenstruppen und notfalls auch Armeen einsetzen. Er kann Wirtschaftssanktionen gegen Staaten verhängen, die sich nicht an die Resolutionen des Sicherheitsrates halten.

Er kann Staaten Sicherheitsgarantien geben. Er kann den Internationalen Strafgerichtshof anrufen, um Kriegsverbrechen zu verhindern. Kurz: Der Sicherheitsrat ist durchaus in der Lage, seine Resolutionen durchzusetzen, wenn er sich dazu entschliesst.

Um des Weltfriedens willen sollte der Rat jetzt beschliessen, diese Kriege zu beenden.

Lösung zwei: Einen neuen Fonds für Frieden und Entwicklung schaffen

Der Uno-Sicherheitsrat kann sein Instrumentarium auch dadurch stärken, dass er sich neben den üblichen Entscheidungen über Grenzen auch für wirtschaftliche Friedenssicherung, Friedenstruppen, Sanktionen und so weiter einsetzt.

Ich habe schon mehrfach die Idee erwähnt, einen neuen Friedens- und Entwicklungsfonds zu schaffen, den der Uno-Sicherheitsrat nutzen könnte, um eine positive Dynamik für nachhaltige Entwicklung zu schaffen.

Dieser Friedens- und Entwicklungsfonds könnte mit anderen Investoren wie der Weltbank, dem IWF, der regionalen Entwicklungsbank, regionalen Entwicklungsbanken wie der NDB und anderen zusammenarbeiten, um gemeinsam zur Konsolidierung und Stärkung von Friedensabkommen beizutragen.

Drei Leitlinien für den Fonds

Ich empfehle drei Leitlinien für einen solchen Fonds: Erstens sollte er von den Grossmächten finanziert werden, indem sie einen Teil ihrer Militärausgaben für die globale Friedensförderung zur Verfügung stellen. Die USA zum Beispiel geben derzeit etwa eine Billion Dollar pro Jahr für das Militär aus, während China, Russland, Indien und Saudi-Arabien die nächstgrössten Geldgeber sind und zusammen etwa die Hälfte der Militärausgaben der USA ausmachen. Nehmen wir an, diese Länder würden ihre Militärausgaben nur um 10 Prozent kürzen und die Einsparungen in Friedens- und Entwicklungsfonds umleiten. Allein das würde rund 160 Milliarden Dollar pro Jahr freisetzen.

Zweitens würde der Fonds einen Schwerpunkt auf regionale Integration legen. Diese ist sowohl für die Friedenssicherung als auch für eine erfolgreiche Entwicklung von grösster Bedeutung. Die Ukraine würde bei der Integration zwischen West und Ost unterstützt.

Israel, Palästina und Syrien würden bei der Integration in ein Netzwerk des östlichen Mittelmeerraums und des Nahen Ostens unterstützt. Die Länder der Sahelzone würden durch ein Infrastrukturnetzwerk bei der Überwindung ihrer Isolation und des Mangels an Dienstleistungen unterstützt.

Drittens würde der Friedens- und Entwicklungsfonds mit anderen Finanzierungsströmen wie Chinas «Belt and Road Initiative», dem «Global Gateway» der Europäischen Union, der Globalen Partnerschaft für Infrastruktur und Investitionen der G-7 und einer verstärkten Kreditvergabe durch die Bretton-Woods-Institutionen und die regionalen Entwicklungsbanken zusammenwirken, wie es der Generalsekretär in seinen SDG-Vorschlägen (Sustainable Development Goals, zu Deutsch: Ziele für nachhaltige Entwicklung) fordert.

Interessant: Der Fonds für Frieden und Entwicklung könnte ein Vehikel für grössere Investitionspartnerschaften zwischen China, der EU, den USA und den G-7 sein. Auch das wäre ein Beitrag zum Frieden, nicht nur zur Beendigung der Kriege von heute, sondern auch zu mehr Kooperation zwischen den Grossmächten der Welt.

Biblischen Appell beachten

Vor unseren Augen steht die Jesaja-Wand mit den visionären Worten: «Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spiesse zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.»

Es ist an der Zeit, die Worte in Ehren zu halten, indem wir diese sinnlosen und zerstörerischen Kriege beenden, die Militärausgaben kürzen und die Einsparungen in neue Investitionen in Bildung, Gesundheitsfürsorge, erneuerbare Energien und sozialen Schutz umleiten.

Als US-Amerikaner bin ich stolz darauf, dass unser grosser Präsident Franklin Delano Roosevelt ein Visionär war, der die Gründung der Vereinten Nationen, dieser grossartigen Institution, angeregt und unterstützt hat. Ich glaube fest an die Fähigkeit der Vereinten Nationen und dieses Sicherheitsrates, den Frieden zu wahren und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern.

Wenn alle 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen – mit dem Beitritt Palästinas werden es 194 sein – die Charta der Vereinten Nationen einhalten, werden wir in ein neues globales Zeitalter eintreten.