Dieser Text erschien zuerst auf dem Onlineportal Nius.de.

Es begann als selbsternannte «Fortschrittskoalition» und endet als Chaostruppe auf der Flucht vor der Realität: Knapp drei Jahre nach ihrer Vereidigung am 8. Dezember 2021 ist die Ampelkoalition bundesdeutsche Politik-Geschichte. Und keine gute.

Politische Gemeinsamkeiten gab es schon lange nicht mehr, nun ergreift die FDP von Bundesfinanzminister Christian Lindner die Flucht, um nicht in den Abwärtsstrudel von SPD und Grünen gezogen zu werden. Schon vor Beginn des Koalitionsgipfels am Mittwoch stand fest, dass Lindner nicht länger Teil der Bundesregierung sein wollte.

Plötzlich brechen alle Dämme

Nach Nius-Informationen schlug er Kanzler Olaf Scholz (SPD) vor, den Bundespräsidenten um vorgezogene Neuwahlen Anfang 2025 zu bitten. Er würde bis dahin im Amt bleiben. Die Verfassung sieht eine Auflösung des Bundestages ohne Grund allerdings nicht vor. Scholz dagegen verlangte von Lindner, aufgrund des Ukraine-Kriegs eine Haushaltsnotlage auszurufen, die zur Aufnahme zusätzlicher Schulden berechtigen würde. Lindner lehnte ab – mit Verweis auf das Bundesverfassungsgericht. Ein Krieg, der bereits zwei Jahre dauere, sei keine «aussergewöhnliche» Notlage.

Scholz vermeintliches «Angebot» ist in Wahrheit eine Frechheit: Lindner soll den verbleibenden Wählern der Liberalen den Bruch seines Versprechens zumuten und neue Schulden machen.

Dann brechen bei den Ampelmännern alle Dämme der Zurückhaltung und des höflichen Umgangs. Ganze Dreckskübel schmutziger Vorwürfe schütten die bisherigen Partner übereinander aus. Showdown im Kanzleramt!

Dass Scholz gleich zu Beginn des Koalitionsausschusses am Mittwochabend gemeinsam mit einem Redenschreiber und seinem Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt gesehen wurde, war ein früher Hinweis, dass Scholz von Anfang an den Rauswurf des Finanzministers im Rahmen einer grösseren Ansprache plante. Um 21:22 Uhr tritt Scholz vor die Presse, spricht ungewöhnlich schnell, will kraftvoll und entschlossen klingen und jagt seinen Finanzminister mit Schimpf und Schande vom Hof. Er sehe sich «zu diesem Schritt gezwungen, um Schaden von unserem Land abzuwenden».

Hier das Scholz-Statement im Video:

Vertrauensfrage im Januar

Lindner habe allzu oft Gesetze aus sachfremden Gründen blockiert, «kleinkariert parteipolitisch taktiert» und Vertrauen gebrochen, sei nicht «seriös», um sich in die Büsche zu schlagen, die eigene Klientel zu befriedigen. Lindner habe eine andere Politik gewollt, die «nicht anständig, nicht gerecht gewesen» sei und Sicherheit und Soziales gegeneinander habe ausspielen wollen. Einem Minister das Vertrauen zu entziehen, ist das eine, ihn menschlich öffentlich vernichten zu wollen, etwas ganz anderes.

Scholz’ Plan: Nach dem Rauswurf der FDP will er bis zum Ende des Jahres mit einer Minderheitsregierung aus SPD und Grünen noch einige Gesetze zur Abstimmung stellen (Abschaffung der Kalten Progression, Stabilisierung der Rente, EU-Asylregeln, Hilfen für die Industrie), bei denen er sich Unterstützung etwa von der Union erhofft, um dann am 15. Januar 2025 die Vertrauensfrage zu stellen, um dann gegebenenfalls Neuwahlen Ende März herbeizuführen.

Motto: Den eigenen Abgang so lange wie möglich hinauszögern.

Endlich mal ein ehrlicher Ampel-Moment

Wenig später holzte Lindner gegen Scholz zurück. Einer der wohl ehrlichsten Momente der verflossenen Koalition: SPD und Grüne hätten seine Vorschläge nicht einmal als Beratungsvorlage angenommen. Scholz sei matt, unambitioniert und leiste keinen Beitrag zum Aufschwung des Landes. «Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen.» Es sei ein «kalkulierter Bruch der Koalition» gewesen. Scholz führe Deutschland in eine Phase der Unsicherheit und habe der FDP Entscheidungen «bis an den Rand des Sinnvollen und Verantwortbaren» zugemutet.

Auch die Grünen treten vor die Mikrofone. Aussenministerin Annalena Baerbock spricht minutenlang über die Unsicherheit, die die Wahl von Donald Trump in die Welt gebracht habe, und vor allem darüber, in den Hilfen für die Ukraine nicht nachlassen zu wollen. Auch SPD-Chefin Saskia Esken begründet die Notwendigkeit neuer Schulden in der ARD vor allem mit dem Ukraine-Krieg. Eine durchaus riskante Argumentation angesichts der Stimmungslage im Land, die Parteien wie AfD und BSW mit ihrer Ablehnung des Krieges zu Höhenflügen verhelfen.

Der Fluch des Donald Trump

Immer wieder wird an die Wahl von Donald Trump erinnert. Sein Schatten liegt wie ein Fluch über den drei Ampelkoalitionären. Es gehört zu den bizarren Realitäten dieser Tage, dass die deutsche Koalition an ihrer eigenen Volksferne scheitert und am selben Tag hinweggefegt wird, an der Angstpartner Trump von den Wählern ins Weisse Haus getragen wird. Das Ampelaus als erstes Trump-Opfer in Europa.

Aufatmen kommt noch am Abend aus den Landesverbänden der FDP. Thüringens FDP-Chef Thomas Kemmerich sagte Nius: «Endlich das Ende ohne Schrecken. Die FDP stellt die richtigen Forderungen für die wirtschaftliche Gesundung Deutschlands, SPD und Grüne negieren die wichtigen Massnahmen. Das Spiel, sich gegenseitig jetzt den Schwarzen Peter zuzuspielen, sollte nicht davon ablenken, dass Lindner und die FDP den längst überfälligen Neustart für Deutschland einfordern. […] Ein guter Tag für Deutschland.»

Dass die Union das Hinauszögern der Vertrauensfrage nicht akzeptieren wird, macht CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gegenüber Nius klar: «Es braucht die Vertrauensfrage so schnell wie möglich. Regierungsvakuum ist keine Option für Deutschland. Wir sind bereit für schnelle Neuwahlen.»

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.